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938 6. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. gebrandschatzt durch widcrsinnigeBinncnzölle, ohne genügende Wege und Verkehrs mittel, niedcrgehaltcn durch die kleinstaatlichc Mannichfaltigkcit der Handelspolitik, Gesetzgebung, Maaße, Gewicht- und Münzwesen, gestört durch die territoriale Zersplitterung der kleineren Herrschaften und Gebietsthcile, welche genährt durch dynastische Eifersucht „den natürlichen Blutninlauf hcinnitcn"! Die deutsche Tugend und Rechtschaffenheit wurde in den höher» Kreisen mißachtet und sran- zösischeni Witz und französischer Leichtfertigkeit nachgcstellt; das deutsche Volks- thum entwich ganz und gar, und französische Sprache, Literatur, Sitten und Moden herrschten in unbestrittener Geltung, Wer für fei» und gebildet äuge scheu werden wollte, mußte französisch sprechen, Natur, Freiheit und Männer würde waren unbekannte Dinge. Wie Alougcperrückc, Rcifroek, gepuderte Haare und die ganze abgeschmackte Tracht die Menschengestalt zum Unkenntlichen ent stellten, so wurde der Charakter und der Werth des Mannes nach Rang, Orden und Titel beurthcilt. Nur die künstlerische, wissenschaftliche und lite rarische Bildung zog ans der staatlichen Zerrissenheit und der politischen Ocdc Gewinn, Für das Aufblühen der Kunst und Literatur, für das Wachsthum der Bildung und Wissenschaft waren die deutschen Residenzstädte und die zahl reichen Fürstcnhöfc, namentlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, höchst förderlich, wäre nur dieser hohe Bildungsgrad und diese Litcraturblüthc ein genügender Ersatz gewesen für die Verarmung des Volks, für die Abnahme der Charakterstärke, der Thatkraft und der männlichen Tugend und für den Untergang aller politischen Freiheit, alles öffentlichen Lebens, aller praktischen Vvlksthätigkcit, alles vaterländischen Gefühles, Dabei hatten die Religions kämpfe und confessivnellen Streitigkeiten ihren ungehemmten Fortgang und störten allen politischen und vaterländischen Geincinsinn; und die ultramontane Propaganda setzte ihre Bemühungen fort, in den fürstlichen und aristokratischen Kreisen Prosclyten zu gewinnen, b, Pfalz. Baden. Hessen. i. Wie freute sich Johann Wilhelm von der Pfalz (S, 586), daß durch die Wilhelm Gnade Gottes nicht nur die rheinische, sondern auch die sächsische Kurwürde wieder in isso-17>«> katholische Hände gekommen war, daß durch seine eigene agitatorische Thütigkeit um dieselbe Zeit die Rpswicksche Clausel dem Friedensinstrunient beigcfügt und damit die rcformirte Pfalz dein Bckchrungseifer und der Verfolgungssucht der Jesuiten schutzlos preisgegcben ward! Er widerstrebte aus allen Kräften der Aufnahme des evangelischen Herzogs von Hannover in das Kurcollegium, Es machte ihm wenig Kummer, daß Frankreich seine Grenzen über pfälzische Ortschaften ausdehnte und drückende Zolistättcn errichtete; konnte er doch unter der Bcihülfe des „unvergleichlichen Monarchen" von Versailles in kurpfälzischen und zweibrückischen Orten die Kirchen ausschließlich drill römisch-katho lischen Cultus einräumen, inmehr als hundert andercn die reformirtcn Gemeinden zwingen, ihre Gotteshäuser mit einer kleinen Zahl cingcwanderter oder augcsiedclter Katholiken zu theilen und allenthalben Klöster und Ordenshäuscr als Werkstätten der Bekehrung