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V. Preuße» und das deutsche Reich. 937 und Gebreche» zu Tage, daß die ganze Ration dadurch in Schmach und Er niedrigung sank. Eine Menge kleiner Höfe, die in äußerer Pracht und ver schwenderischem Aufwand den glänzenden Königssitz in Versailles nachahmten, übten auf das öffentliche Leben, aus Sitten und Ansichten, auf Charakter und Bildung einen verderblichen Einfluß. Bei der Ohnmacht des Kaisers und dem geringen Ansehen der Reichstage und Reichsgerichte erlangte» die zahllose» Fürsten und rcichsnnmittclbare» Standcshcrrcn eine völlig selbständige Stellung und übten die Rechte der Landeshoheit fast ohne alle Beschränkung. Eitel und eifersüchtig suchte immer Einer den Andern an Pracht der Hofhaltung, an ver schwenderischen Festlichkeiten und Jagdpartien, an kostspieligen Baute», Gartcn- anlngen, Wildgchcgen und Kunstwerke» zu überbictcn. Die Residenzstädte und fürstlichen Lustorte mehrten sich mit jedem Jahr; jeder Fürst hielt eine größere oder kleinere Anzahl gemicthctcr, durch verschmitzte Werber zusammcngetriebcner Truppen, mehr zum Soldatcnspiel als zum ernsten Waffendienst, und Schaarcn von Lakaien, Hofbedienten, Stallburschen, Kammerdienern und Gesinde aller Art; ein Heer von Hofräthen, Beamten und Schreibern füllte die Hauptstädte und nährte sich vom Mark des Landes; Mätressen und Günstlinge, Schau spielerinnen und Sängerinnen mnschwärmtcn die Fürstenhöse, übten den unheil vollsten Einfluß auf die Regierung und bereicherten sich durch Stcllen-Handcl und durch Verkauf von Aemtern, Gunst und Protection. Während an den Höfen und in den Palästen der Edclleutc ein verschwenderisches Fest das andere drängte, rohe Sinnenlust und äußerer Glanz die Hülfsquellen des Landes er schöpften, wurde der Bürger und Bauer durch Steuerdruck, durch Abgaben und Leistungen, durch Zolle und Sporteln in Armuth gestürzt und durch gewissenlose Amtleute, Advokaten und Richter zur Verzweiflung gebracht ohne daß ihnen irgend ein Weg der Abhülfc oder der Klage offen gestanden hätte. Man begnügte sich nicht, den Ständen die Disposition über die Landessteuern zu entziehen, die Befugnisse der ständischen Ausschüsse, wie sie in Würtemberg und Hannover bestanden, einzuschränken, es sollte zugleich jeder Versuch eines gesetzlichen Wider standes gegen die Uebergriffe des Absolutismus unmöglich gemacht werden. Ueberall herrschte Willkür und Bedrückung des Schwachen durch den Starken, eine Mißrcgierung, „welche die Geduld Gottes und der Menschen ans die Probe stellte." Das wirthschaftliche Leben beugte sich unter dem Druck der Armuth und der Zerrüttung. Wie sollte nach langen Jahren der Noth und Bedrängniß der Landban gedeihen, so lange Fcudalität und Leibeigenschaft fortbcstand, so lange die Steuern und Abgaben nur auf dem Bürger und Bauer lasteten, die Adels güter frei waren; wie sollte das Gewerbe aufkommen im Zwange veralteter Zunftordnungen, hoher Gebühren und Lasten, ohne Sporn und ohne Wetteifer, in zahllose Schranken eingezwängt, an den engen Raum der Erdscholle gebunden, meistenthcils von confessioncllcr Ausschließlichkeit niedcrgehalten! Wie sollte der Handel blühen, bedrängt von der Fiscalität der herrschenden Steuersysteme,