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932 6. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. S'u-ln«r. Die ranhe Hand des despotischen Königs lag erdrückend schwer auf der " Erichs, jugendlichen Entwicklung des Prinzen. Cr suhlte sich unglücklich, lcbensnber- drüssig, hoffnungslos. „Ich bin in der äußersten Verzweiflung", schrieb er einmal seiner Mutter, „der König hat ganz vergessen, daß ich sein Sohn bin und mich wie den gemeinste» Menschen behandelt. Ich trat diesen Morgen wie gewöhnlich in sein Zimmer, er sprang sogleich auf mich los, schlug mich mit seinem Stocke so wüthend, daß er nicht eher als vor eigener Ermattung anshörte. Ich Hab« zu viel Ehrgefühl, um eine solche Behandlung auszuhalte», bin aufs Acußerste gebracht und entschlossen, dem auf die eine oder die andere Weise ein Ende zu machen." Er trug sich seitdem mit dem Gedanken einer Flucht nach England oder Frankreich, der ihn nicht wieder verließ. Mit seinen Vertrauten, dem Lieutenant von Katte, einem talentvollen und geistreichen jungen Mann mit einem starken Anflug von genialer Wüstheit, und dem Lieutenant Kait wurde der Plan nach allen Richtungen besprochen. Auf einer Reise, die Vater und Juli,73». Sohn zum Besuche einiger süddeutschen Fürstenhöfe unternahmen, schien sich die Gelegenheit zu bieten, das Vorhaben auszuführen. In dein Dorfe Steinfurt unweit Mannheim wurde der Versuch gemacht zu entfliehen; allein an der Wachsamkeit der Umgebung, der schon vorher allerlei Warnungen zugekommen, scheiterte der unbesonnen angelegte Plan; und als man nun nach Mannheim kam, warf sich der Page Kait, des Lieutenants Bruder, der dem Prinzen die Pferde hatte liefern wollen, reuevoll dem König zu Füßen und bekannte Alles. Der König schäumte vor Wuth; er ließ den Kronprinzen in sichern Gewahrsam nehmen und nach Wesel, dann nach Berlin schaffen; er war entschlossen, die volle Strenge der Kriegsartikel gegen ihn als Deserteur in Anwendung zu bringen. Es war ganz in des Königs soldatischer Art, auch diese traurige Familienkata strophe vom Standpunkt des militärischen Ungehorsams und der Fahnenflucht zu betrachten. Schrecken und Bestürzung herrschten allenthalben; bei dem unbe zähmbaren Zorn des Königs mußte man auf das Aenßerste gefaßt sein; man zog bange Vergleiche mit dem Untergang der Söhne Philipps II. und Peters von Rußland. Alle Mitwisser und Förderer des Planes wurden verbannt, in Haft gebracht, ans dem Heere gestoßen, des Dienstes entlassen. Der Kronprinz wurde des Offizierrangs verlustig erklärt und als Staatsgefangener zu strenger Haft nach Küstrin gebracht. Ein Kriegsgericht sollte über ihn und Katte abur- theilen; der ältere Kait war glücklich entkommen. lieber den Prinzen weigerten sich die Offiziere des Kriegsgerichts einen Spruch zu fälle»; es gezieme ihnen als Unterthancn nicht, über Vorfälle in der königlichen Familie zu erkennen. Das Todesurtheil ist nicht, wie vielfach behauptet wurde, ausgesprochen worden, noch hat solches der König verlangt. Die Verwendungen des Kaisers und anderer nahestehender Höfe, die Bitte» wohlmeinender Freunde und die wicderkehrendc Ruhe nach der erste» Aufwallung stimmten auch den König mit der Zeit milder. Ein Opfer aber mußte fallen. Katte war von dem Kriegsrecht zu lebenslänglicher