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V. Preußen und das deutsche Reich. 927 Lehnsverband beruhte, nicht mehr zu gebrauchen. Es lag nicht in der praktischen Na tur Friedrich Wilhelms I., Einrichtungen, die in der Neuzeit keinen Zweck mehr hatten, aus bloßer Ehrfurcht vor ihrem Alter aufrecht zu erhalten. Er beschloß, die „Lchnspferdc" »nd die sonstigen auf den Lchnsgütcrn haftenden Leistungen ganz aufzuhcbcn, den Lchns- besitz in freies Erb- und Allodialgut zu verwandeln, den Vassallen die beliebige Ver fügung über ihren Besitz, Veräußerung und Belastung desselben cinzuräumen, den Heimfall abzuschaffen. Dafür sollte der LehnSadel eine jährliche Abgabe zahlen. Trotz vielfachen Widerspruchs der Ritterschaft wurde im Laufe der Jahre die neue Einrichtung, mit Ucbecrcdung und Zwang, allenthalben durchgcführt. „Damit war ein Werk von der größten Bedeutung gelungen, dicKräftc des Adels zu dem allgemeinen Zweck der Landes- bcwaffnung hcrbcizuzichen, ohne denselben doch zu vernichten." Seitdem fand auch der preußische Adel seine Stelle unter den veränderten militärischen Verhältnissen: das Of fiziercorps in dem Heere Friedrich Wilhelms I. bestand ganz überwicgcud aus dem ein heimischen Adel, nicht wie anderwärts aus fremden Dicnstsuchcndcn, ein Umstand, der den nationalen Charakter dieses Heeres, seinen moralischen Gehalt und seine Ergeben heit an den Kriegs- und Landesherrn wesentlich erhöhte. Wie des Königs öffentliche Wallung, so war auch sein häusliches Leben AArvchks und seine Erholung: rauh, derb, urkräftig und unverdorben. An die Stelle der glänzenden Hoffestc traten Wachtparnden und Musterungen, an die Stelle der prunkenden Gnstmähler Hausmannskost und bürgerliche Geselligkeit; die Juwelen und kostbaren Geräthschaften, die der Vater mühsam erworben, verkaufte der Sohn; Alles, was an Luxus grenzte, wurde vom Hofe verbannt, die Diener schaft aufs Nothweudigstc beschränkt; die Königin und ihre Töchter mußten sich mit Handarbeiten und häuslichen Verrichtungen befassen. Wo sich nur irgend etwas sparen ließ, machte der König Abstriche und richtete seine persönliche Auf merksamkeit bis herab auf den Küchenzettel und die kleinsten Einzelheiten der Mode und Kleidertracht. Jetzt gab es keine Schauspiele und Concerte, keine Soireen und geistreichen Cirkcl mehr. Dafür besuchte der König das berühmte „T abakscollegium". Hier versammelte er seine Generale, Minister und Diplomaten und führte bei Bier und Tabak eine zwanglose Unterhaltung über ernste und scherzhafte Dinge, wobei freilich auch Rohheiten und Ausgelassenheiten nicht selten waren. Auch in der wildesten Parforcejagd in den Wäldern von Wusterhausen suchte er in seinen kräftigen Jahren Erholung; als er dieser Leiden schaft wegen großer Beleibtheit entsagen mußte, unterhielt er sich in seinem Zimmer mit Drechseln und Handarbeiten. In seinem ganzen Thun und Lassen glich er einem derben Landjunker. An dem bürgerlich-einfachen Hofe zu Berlin und Potsdam war keine Spur von jener sonst an den Fürstenhöfen überall herrschenden Nachahmung des französischen Wesens, von jener Verschwendung und Prunk sucht, jener Ucppigkeit und Mätressenwirthschaft. Unter der übermäßigen Bescheidenheit und Schmucklosigkeit dieses Lebens litten R-ligion und Mn meisten die Künste und Wissenschaften, wenn der König nicht sofort ihren praktischen Nutzen erkannte; Gelehrte und Künstler, die unter den vorigen Regierungen mit Mühe Und Kosten waren herangezogcn worden, wurden einfach entlasten oder in ihren Ge-