90V 6. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. großartige Anlagen und Bauwerke in Aufschwung gebracht, die hohen Adels- familien und reiche» Kaufherren und Gutsbesitzer zur Uebersiedelung nach der neuen Residenz bewogen und zur Errichtung ansehnlicher Häuser und Paläste angehalten. Durch Anlegung von Canälen und Landstraßen erleichterte Peter den inner» Verkehr seines unermeßlichen Reiches; mit den Scestaatcn des Aus landes wurden direkte Handelsverbindungen augeknüpft und zu dem Ende See häfen angelegt und die Schifffahrt befördert, die Einwanderungen geschickter, gebildeter und geschäftserfahrener Ausländer fortwährend ermuntert und belebt. Gewerbe und Manufakturen erfreuten sich besonderer Begünstigungen, und neu erschaffene Bergwerke förderten den inneren Reichthum des Landes zu Tage. Dies hatte zur Folge, daß am Ende des zweiundzwauzigjährigen Krieges der russische Staat nicht nur schuldenfrei war. sondern das Finanzwesen, durch zweckmäßigere Steuereinrichtung, durch Verbesserung des Abgabcsystcms und Vermehrung der Zolleinkünfte (S. 698), sich in so gutem Zustande befand, daß ,722-24. Kaiser unmittelbar nachher einen Krieg gegen das durch innere Ausstände und Abfälle zerrüttete Perserreich unternehmen konnte, um neue Handelsver bindungen zu schaffen und die längs des kaspische» Meeres gelegenen Provinzen „zur Sicherung der russischen Grenzen" unter de» Schutz des Kaisers zu stellen. Auch das ganze Staats- und Rechtsleben des Reichs bekam durch Peter eine neue Gestalt. Au die Stelle des alten Bojareuhofs trat der vom Kaiser ab hängige und von ihm ernannte Senat als oberste Reichsbchördc und Reichsgericht in Petersburg; und in den Ukasen wurde nicht mehr wie früher der Zustimmung der Bojaren zu dem Willen des Souveräns gedacht. Die alten Kanzleien (Prikas) in den einzelnen Landschaften wurden aufgehoben, und zehn neue Re- gierungs-Collegien mit bestimmtem Geschäftskreis leiteten die Verwaltung in den Provinzen. Eine nach französischem Muster eingerichtete Polizei sicherte die Hauptstadt, aber leider glaubte Peter, daß eine geheime Jnquisitionskanzlei auch zur guten Polizei gehöre, und ließ daher dieses von Iwan Wasiljewitsch gegrün dete schreckliche Institut bestehen. Die Verhältnisse der Leibeigenschaft wurden fest geregelt, wobei aber mehr der Kriegsdienst und der Vortheil des Staats als das Loos der Knechte und Gutshörigen ins Auge gefaßt ward. Dem Bauer war die Freizügigkeit genommen und kein persönliches Eigenthumsrecht an die von ihm bebaute Ackerstelle zugestanden, den: Herrn sogar die Befugniß gegeben, „die Bauern nicht blos mit der Scholle zu verkaufen, sondern sie auch zu jeder beliebigen Haus- und Fabrikarbeit zu verwenden." Ohne Rechtsschutz und Eigellthum mar der russische Leibeigene somit ganz der Willkür des Erbherrn verfallen; die Mahnung, daß der Gutsherr den Bauer „nicht über seine Kräfte" belasten und in Anspruch nehmen solle, fand wenig Beachtung. Mehrmals ver suchte Peter das Schicksal der Leibeigenen zu mildern; aber die Verordnungen des vielbeschäftigten Selbstherrschers wurden nicht ausgeführt. Vielmehr wurde durch die Ausdehnung der Kopfsteuer und der Kriegspflicht auf alle „männlichen