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858 6. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. solchen Umständen zu verwundern, daß der Tod des Königs mit fast freudigen Gefühlen vernommen wurde, daß die äußerliche Trauer nicht überall der Ausdruck der inneren Stimmung war? In einem Epigramm der Zeit hieß es, Ludwig solle nicht erstaunen, daß die Franzosen über seinen Tod nicht weinctcn; sic hätten während seines Lebens so viele Thränen vergossen, daß ihre Augen aus» getrocknet seien. Am Tage seiner Beerdigung feierte man in Paris Volksfeste. b. Die Regentschaft de- Herzog« von Orleans. m-ni un?-- Man hatte dem König Ludwig gcrathcn behufs der Bestätigung seiner stoßen, letztwilligcn Anordnungen die Gencralstände oder doch eine Notablcnvcrsammlung einzubcrufcn; allein das ging gegen seine Rcgierungsgruudsütze. Er hielt es für hinreichend, die Urkunden dem Parlament zu übergeben mit der Weisung, nach seinem Tode die Bestimmungen zur Ausführung zu bringen. Sollte aber ein Mann wie Philipp von Orleans, dessen Ehrgeiz und Herrschgicr eben so groß war wie seine politische Befähigung, seine Kenntnisse und Bildung und dessen Gewissenlosigkeit und bösartige Naturanlage vor keinem Staatsverbrechen zurück schreckte, sich mit der untergeordneten Stellung zufrieden geben, die ihm das königliche Testament zuwies? Das war nicht seine Absicht, er wollte nicht Vor sitzender in einem nach Stimmenmehrheit entscheidenden Rathe sein, sondern Regent nach dem ihn: durch seine Geburt zustchcnden Rechte. Die Prinzen von Geblüt begünstigten sein Streben aus Verdruß, daß die natürlichen Söhne Lud wigs ihnen an Rang gleichgestellt worden, und das Parlament ließ sich leicht durch die Freunde des Herzogs, den Generalprocurator d'Aguesseau und den ersten Generaladvokaten Joly de Fleury bestimmen, dem Beispiele vom I. 1643 zu folgen, zumal als ihm in Aussicht gestellt ward, daß die Beschränkung seiner Be fugnisse, die der verstorbene König ihm aufcrlegt hatte, beseitigt und ihm die frühere politische Bedeutung zurückgegeben werden sollte. So wurde in einer feierlichen Sitzung, der die Prinzen, die Pairs und die hohen Würdenträger an- r. Scpr wohnten, der Herzog von Orleans zum Regenten erklärt, das Gcburtsrccht über ' die testamentarische Verfügung gestellt, dem wenig befähigten Herzog von Maine, der sich bisher von aller militärischen Thätigkeit fern gehalten hatte, der Ober befehl über die Haustruppen abgesprochen. Zum Dank für die bereitwillige An erkennung seines Rechts gab der Regent dem Parlament die Besugniß zurück, nach altem Herkommen „über die Edikte des Königs vor ihrer Registrirung zu berathen und remonstrirende Vorstellungen dagegen einzubringen." Dann wurde die Verwaltung ihres bisherigen centralisirten Charakters entkleidet, indem dcr Regent für die verschiedenen Zweige der Staatsgeschäfte sechs Rathscollegien er richtete, die dem Regentschaftsrath untergeordnet sein, aber durch ihre Präsidenten an den Sitzungen und Bcrathuugen Theil haben sollten. Den Legitimirtcu wurde das Recht der Succession zur Krone wieder entzogen, da es im Falle eines