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II. Der große nordische Krieg. königliche Heer wieder weichen; dabei bewerkstelligte jedoch der Rcichsgraf Johann Matthias von der Sch ulen bürg, der ausgezeichnetste Feldherr in Augusts Diensten nach dein ruhmvollen Treffen bei Punitz einen so meisterhaften Rück- vn. >7g<. zug unter den schwierigsten Umständen, daß die sächsischen Truppen, ohne von den nacheilenden Schweden Schaden zu leiden, über die Oder entkamen. Warschau wurde nun wieder von den Schweden besetzt ; ein Versuch des General Pahkul, mit der sächsischen Reiterei und andern von Schulenburg herangezogenen Truppen die Weichselstadt noch einmal zu überraschen, schlug fehl; Pahkul wurde in dem Treffen bei Wohla überwunden und zum Gefangenen gemacht; und da er von^z^n Geburt ein Livländer war, ließ ihn Karl als Hochverräter zum Tode vcriirtheilen und hinrichten. Von Warschau aus wandte sich Karl, nachdem er die Krönung seines Schützlings Stanislaus auch in der Hauptstadt hatte vollziehen lassen, nach Litthauen und Volhynic», wo er trotz unsäglicher Schwierigkeiten und Be schwerden, welche ihm die ungünstige Jahreszeit, der morastige Boden, die Ar- inuth des Landes und die überlegene Zahl der Feinde bereiteten, die Russen zum Weichen brachte und dadurch die Autorität seines Königs Stanislaus in Polen befestigte. — Noch niemals war Europa in so tiefer allgemeiner Bewegung als in diesen Jahren. Nicht nur daß im Süden und Norden, im Westen und Osten die Länder von Kriegsherren durchzogen, Schlachten geliefert, Städte erobert, Menschen gepeinigt und getödtet wurden; auch an den Höfen, bei den Re gierungen, in den Kreisen der Diplomaten und Staatsmänner herrschte eine auf geregte Thätigkeit, ein wechselvolles Spiel von Ränken und Kabalen, von Bünd nissen und Täuschungen, von Ueberlistung und Gleißnerei. Besonders war Berlin der Schauplatz diplomatischer Geschäftigkeit: alle kriegführenden Thcilc suchten den neuen Königshof auf ihre Seite zu ziehen; Patkul arbeitete für einen Anschluß an den Zaren und den Kurfürst-König, die Conföderirten von Scndomir bemühten sich, den König von Preußen für einen Bund mit der Republik Polen zu gewinnen; die bedrohten Einwohner von Danzig richteten ihre Blicke und Bitten nach Berlin; mit Karl XII. waren Unterhandlungen im Gange. Aber wir haben früher gesehen, wie wenig die brandenburgischc Politik unter der Leitung eines Wartenberg diesen großen Aufgaben gewachsen war (S. 634). Ueber glän zenden Festen und Lustbarkeiten, worin der Berliner Hof mit dem Dresdener wett eiferte, über Jntrignen, Hofkabalen, Adelskliquen, complottircndem Parteitreiben verlor man das richtige Verständniß für höhere Staatszwecke. Ein Besuch des gewakidten Herzogs von Marlborough in Berlin hatte zur Folge, daß König Friedrich I. bei der seemächtlich-kaiserlichen Allianz festgehalten ward und den Ereignissen, die sich an den östlichen Grenzen seines Staats abspieltcn, lange Zeit fern blieb. Unterdessen wurde deutsches Blut für fremde Zwecke geopfert, ein schmählicher Soldatenhandcl gegen Subsidiengelder unterhalten, der Bürger und Bauer mit Lasten und Steuerdruck überbürdet.