I. Der spanische Erbfolgekricg. 779 Generallinien, so vieler Arbeiten und Anstrengungen gespalten und zerrissen, das Fundament der politischen Größe zerschlagen werden! Wie wenig immer die despotische Hand der Habsburger iin Stande gewesen war, den Particularismus der einzelnen Provinzen und Länder zu ersticken und ein nationales Gesamnit- gefühl zu erzeugen; wie sehr noch immer der aragonisch-catalonischc Osten die angestammte Antipathie gegen das übermüthige und bevorzugte Castilien fest- halten mochte, die Spanier des Phrcnäenlandes waren von dem instinctiven Gefühle durchdrungen, daß mit der Theilung des Reiches ihre Wcltstellung, ihre nationale Größe und damit ihre persönliche Bedeutung auf immer verschwinden würde. Und selbst die spanisch-italienischen Staaten hatten bei einem dynastischen Wechsel wenig Gutes zu erwarten; wie unerfreulich immer die Zustände sein mochten, eine zweihundertjährige Gewohnheit übt eine conservative Gewalt. Und welches Schicksal drohte den brabantischen und flandrischen Provinzen, die wie ein Keil zwischen zwei eroberungssüchtige Großmächte cingetrieben von Süden durch eine politische, von Norden durch eine religiöse Propaganda bedroht waren? König Karl II. handelte daher ganz im Sinne der spanischen Völker, wenn Neue Ver, er im Umnuth über die fremde Anmaßung den bäurischen Großneffen Joseph '' ' Ferdinand auf Grund des Geburtsrcchts zum Gesamniterben seines Reiches einsetzte. Vielleicht hätte dieser Ausweg, der die Kompetenz der beiden Groß mächte ansschloß, eine friedliche Lösung der hochwichtigen Frage zur Folge ge habt. Aber das Schicksal zerriß alle Berechnungen politischer Klugheit. Noch ehe der junge Fürst das spanische Schiff besteigen konnte, das ihn von Antwerpen nach dem Sitze seiner künftigen Herrschaft führen sollte, starb er plötzlich an den»-br. rsgg. Pocken. „Graf Merode erzählt, er habe nie den jüdischen Medicus Don Luys vergessen können, den er in dem Krankenzimmer sah, den Rücken nach dem brennenden Kamin gewandt, denn diesen beschuldigte man, wahrscheinlich doch ohne Grund, die Krankheit durch Gift unterstützt zu haben." Kurfürst Max Emanuel stieß an der Leiche des Sohnes die härtesten Anschuldigungen gegen die österreichischen Verwandten aus. Dieses unerwartete Ereigniß öffnete den Jn- triguen und den diplomatischen Künsten von Neuein ein weites Feld; Madrid wurde ein großer Markt für Ränke und Schleichwege, wo Parteisucht und pcrsön- bche Zwecke , Verführung und Käuflichkeit, dynastische und politische Pläne ihre ^ziehende und abstoßende Kraft übten. Daneben tauchten neue Vorschläge von Lcindertheilungen und Austauschungen auf: Der mit dem französischen Königs haus verwandte Herzog von Lothringen sollte sein Erbland an Frankreich ab steten und dafür entweder Belgien oder Mailand erhalten; der König von Por tugal auch die Krone von Spanien erlangen u. dergl. in. Aber alle Entwürfe, b>e mehr die europäischen Interessen, als das Erbrecht oder die Wünsche des spanischen Königs und Volkes berücksichtigten, fanden wenig Anklang bei den behelligten Mächten. So weit ging freilich weder der habsburgische noch der bourbonische Ehrgeiz, daß Leopold oder Ludwig nach einer Vereinigung der ge-