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770 Literatur und Geistesleben. ernsten Stücke wurden häufig durch Posten und Volksscenen unterbrochen. In dieser burlesken Dichtung hatte Weise überhaupt seine Stärke, wie die Scherzspiele „die ver kehrte Welt", „der bäurische Machiavellus". „das Lustspiel von einer zweifachen Poc- renzunft" gegen die Dichtervereine und Sprachreiniger und das schon erwähnte Lustspiel „die triumphircnde Keuschheit" bewiesen. Der Weise'sche Naturalismus war um s» heilsamer als die zweite schlesische Schule immer mehr an Schwulst, Ucbertreibung und Künstelei Gefallen fand, immer weiter auf die Abwege und Irrgänge mit gesuchten und geschmacklosen Bildern und Beiwörtern nach ihren italienischen Vorbildern den Marinisten und Concettistcn sX., 353 f.) gericth. i ^bschatz Selbst die beiden Dichter, die sich noch vorwiegend an Gryphius hielten, Haut ^ 'Aßmann von Abschatz aus Breslau, durch harte Lcbensschicksale wie durch Bildung Christian und Reisen dem älteren Dichter ähnlich, und Christian Gryphius Sohn des An- isw—r?!w. dreas, blieben in ihren Gedichten nicht frei von der durch Hofsmannswaldau und Lohen- stein begründeten Uebcrschwenglichkeit und schwülstigen Redeweise, dem „galanten" Stil Zn den Ucbcrsctzungen und Gedichten von Abschah, in den „poetischen Wäldern" von Ghristian Gryphius wie in den geistlichen und vermischten Gedichten ihres Landsmannes ,n5g-A H"us v. Assig begegnet man dem bunten Spiel mit gezwungenen und verschrobenen N-ukirch Bildern und Gleichnisten. Erst ihr jüngerer Zeitgenosse Benjamin Neukirch wendete ivöb-nA. ^ allmählich von der Künstelei und der manicrirten Wortmalerei der Italiener ab und suchte dem französischen Geschmack Eingang zu verschaffen, die Concetti durch den französischen Esprit, die Gleichnisse durch Gedanken zu verdrängen. Seine Satiren u»b Episteln gaben Zeugniß, daß er neben Juvenal besonders Boilcau studirtc, und in seine» späteren Jahren machte er sogar den Versuch Fcnelons Tclcmach in ein deutsches EpoS mit gereimten Alexandrinern zu verwandeln. 7. Neue Richtungen D-r franz. Damit war der Anstoß zu einer neuen Richtung gegeben, die eben so sehr der schmack'Ueberschwcnglichkeit und dem Bombast der jüngeren schlesischen Schule als dem Natura lismus und der nüchternen Flachheit eines Weise entgegentrat. Denn weder die affektirü und gekünstelte Geziertheit verbunden mit einer Anhäufung ungeeigneter pedantische Gelehrsamkeit, wie sie in Breslau vorherrschte, noch der niedrige Standpunkt eiucS Weise, welcher die Dichtkunst nur als Dienerin der Redekunst ansah, alles Heroische und Erhabene verbannte und die ganze Poesie ihrer Würde und Bedeutung beraubte, oder seines Anhängers Morhof, der in seinen eigenen Gedichten und in seinci» „Unterricht von der deutschen Sprache und Poesie" ähnlichen Ansichten folgte, konnte» den neueren Kunstgeschmack, der am Ende des Jahrhunderts seinen Weg von PariS nach Deutschland nahm, befriedigen, der feineren Weltbildung der höheren Stäube Genüge thun. Wir wissen, wie mächtig die französische Hof- und Modcbildung unter Ludwig XIV. das gesammte Leben der europäischen Menschheit durchdrang und be stimmte ; wie abhängig die vornehme Gesellschaft aller Länder und Hauptstädte vo» den in Paris und Versailles ausgestellten Vorbildern und Lebensformen war. Hofdichter. Was war nun natürlicher, als daß auch in Dresden, Berlin und anderwärts Hofpoeten aufkamen, welche die französischen Dichter zum Muster nahmen, die Poetik des Horaz und Boileau der Opitzschcn entgegcnstcllten und in Oden, Fest- und Gele genheitsgedichten, in Epigrammen und Satiren die glatte Form, die elegante Dictia», den geistreichen witzigen Ton der Pariser Dichter und Schriftsteller nachzubüden D bestrebten? Am erfolgreichsten betrat diesen Weg ein Freund und Gönner von Neukirch, der Freiherr Fr. Rud. L. von Canitz, ein angesehener seingebildctcr Staatsmann