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768 PH Literatur und Geistesleben. die Tragödie „Herodcs der Kinderniörder". Während eines längeren Aufenthaltes in Leyden und Amsterdam studirtc er die Holländer, einen Grotius und Heiniius, cim» Hooft und Van der Vondcl (XI., 68t ff.). Der letzte war von besonderem Einfluß auf den deutschen Dichter. Selbst das Fehlerhafte, dessen wir früher Erwähnung gc> than, das halb Antike, halb Bibelmäßige, die feierlichen Chorgcsänge u. A. entlehnte Gryphius dem fremden Poeten. Dabei ging er fleißig bei den Alten in die Schule. Unter den Tragödien, an denen Gryphius neben seinen Amtsgcschäftcn mit Eifer und Ausdauer bis an seinen Tod arbeitete, ist „Ermordete Majestät, oder Carolus Stuartuö König von Großbritannien", am bekanntesten wegen des der Zeitgeschichte angchörendcn Inhalts, steht aber an Anlage und Charakterzeichnung hinter andern zurück. Bedeutender ist „Leo der Armenier" (V, 248) und „Katharina von Georgien oder bcwährcte Bcstiii» digkeit" eine Märtyrergcschichtc. „Der sterbende Papinian" hat im Einzelnen viele Schönheiten, entbehrt aber eines einheitlichen Planes; „Cardcnio und Celinda" ist ein bürgerliches Jntriguenstück, reich an Handlungen und spannenden Verwickelungen aber von mangelhaftem Aufbau. — Dieses Stück bildet den Ücbergang zum Lustspiel, indem sich zwischendurch ein Scherzspiel „die geliebte Dornrose" schlingt, in ungebundener Rede und im schlesischen Volksdialckt, „ein Bauernprozeß voll Natur und treffenden Ausdrucks, bald der Derbheit, bald der Gutmüthigkeit und Naivetät". Mit Freuden sieht man den auf Stelzen cinhcrschrcitendcn und mit bombastischen Reden donnernden Dichter in die Sphäre der Natur und des Volkstones hcrabsteigen. Ein anderes Lustspiel Peter Squcnz, eine dem Shakespearischen Sommcrnachtstraum entnommene Figur, ist eine ge> lungcne Persiflage „der eingebildeten Bcttclpoeten und hochnäsigen Schulmeister", die sich für Autoren ausgaben; im „Horribilicribrifaz", einer Nachbildung des Miles glm riosus von Plautus, werden die prahlerischen Kriegsleute, die sich damals überall umhcrtriebcn, die Eisenfresser und Bramarbas der Verspottung prcisgegcbcn. M beiden Stücke bezeichnen einen merklichen Fortschritt aus der alten Fastnachtsposse z»r höheren Komik. „Glücklich in der Wahl der Stoffe, reich und sicher in der Anlage der Fabel, fest und treffend in der Zeichnung der Personen und unbefangen, gewandt und angemessen in der Sprache machen sie noch gegenwärtig einen frischen Eindruck". Auö! in den „Scherzgedichten" oder Satiren des vielseitigen Mannes begegnet inan ähnliche Tendenzen, die Verkehrtheiten im Geiste eines Philander zu strafen. In kcrnhaster gr' drungener Sprache hält er darin den „titelsüchtigen, lügenhaften modcverderbten SM der Gegenwart" die Einfalt der alten Zeit treffend entgegen. uscheS-luNe" Gryphius wird zu der zweiten schlesischen Schule gezählt, die von Opitzens gk' ^ 'lehrtcr und didaktischer Dichtungsweise und seinem pedantischen Formalismus abmen ehend mehr der Sinnlichkeit und dem Wcltleben Rechnung trug, mehr die leichtere Poes^ der Franzosen und Italiener als die antike zum Vorbild wählte, mehr der cpicureisch^ Lebcnsphilosophie als der stoischen Wcltverachtung das Wort redete. Als der Chorführer ^°^w-Udau^>rsrr Richtung kann Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau gelten, ein am gesehener durch große Reisen gebildeter Rathshcrr in Breslau. Im Gegensatz zu dem ernsten, schwermüthigen, der Weltlust abgewandtcn Gryphius huldigte HoffmannSwalda» den heiteren Göttern der Freude, der Liebe, des Genusses. Wenn man der Poesie du Licbessachcn entziehe, äußerte er sich, so versteche man ihr die Hcrzwurzcl und um») man der Liebe die Poesie entziehe, verschließe man ihr den lieblichsten Blumengarten. ^ Zahl seiner Dichtungen ist nicht groß; sie bewegen sich, außer einigen UebersetzuE')' ausschließlich auf dem Felde der Lyrik, und wurden zum Thcil nur auf Zureden sM Freunde der Ocffcntlichkcit übergeben. Freilich bilden seine Liebesgedichte in fließt eleganten Versen, aber voll Lüsternheit, Unzüchtigkeit und sinnlichein Muthwillcn M grellen Gegensatz gegenüber der strengreligiöscn asketischen Zcitrichtung; aber sein""