Volltext Seite (XML)
762 IQ Literatur und Geistesleben. Abrciham a S. Clara 1042—1709. so wenig auch der heitere französische Lebcnsphilosoph mit dem ernsten deutschen Mann, dem unter den Trübsalcn des Daseins „die Fröhlichkeit sehr eng gesponnen war", gemein hatte, und Owens Epigramme hat er ins Deutsche übertragen. Alle Eindrücke und Er fahrungen hat Moscherosch in dem satirischen Sittengemälde zusammengcfaßt, in welchem ec auf Grund einer französischen Ucbcrsctzung der „SucnoS" von Oucvcdo in einer Reihe von Träumen oder Visionen, wie sic jenem an übernatürliche Kräfte und Gehcimlchrc glaubenden Geschlcchtc zusagten, die Hauptgcbrcchcn seiner Zeit in allgemeinen Schilde rungen und Bildern lebendig darstcllte. Es ist ein „turbulenter Jahrmarkt" vvn häß lichen Tagcscrscheinungen, in welchen Philandcr cinsührt. Nicht die Laster und Leidenschaf ten einer rohen, derben, urwüchsigen Natur werden ausgestellt, sondern „die feineren Laster einer falschen Bildung und die Verirrungen des Kopfes". Der Satiriker steigt nicht in die Tiefe des menschlichen Gcmüthes hinab, um die bösen Triebe zu zeichnen, sondern er kämpft in der Sprache des Witzes und Verstandes gegen die Verkehrtheiten des Tages, die schlechten Sitten und Modcgewohnhcitcn, die Thorhciten und schlimmen Eigenschaften der verschiedenen Stände. In der Vision „Todtenhccr" macht er die Rcchtsgclchrtcn mit ihrer juristischen Pedanterie und Terminologie, die Quacksalber, die Astrologen, das Hös- lingswesen lächerlich und läßt den alten Eulcnspiegel fragen, ob er solche Thorhciten, die einzeln als Gebrechen des Tages aufgezählt werden, jemals begangen habe; in der Vision Alamode Kehraus werden von dem Erzkönig Ariovist und den altdeutschen Helden die neumodischen Trachten, die Perrückcn, Schminken und drgl. und vor Allem die deutsch! Bastardsprachc, das Kennzeichen einer vatcrlandslosen Bastardnatur verspottet. Beson ders ist dem Dichter die „Reputation", die Modctugcnd und Modcchrc des Adels mit der daran haftenden Unsitte der Duelle verhaßt. In der Vision vom „Soldatcnlcbcn" wer den Züge aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges, in lebensvollen Schilderungen und w der ganzen Schauerlichkcit jener Schreckcnszcit vorgesührt. Wie sehr dem wackeren Mann dabei das Herz blutete, ersieht man auch an einigen Gedichten, in denen er das Un glück des Vaterlandes beklagt: „O du armes Deutschland du, wie bist du gerichtet zu! Vor warst du an allen Gütern reich, jetzt bist du mehr als einer Wittwe gleich !" Seine mit lateinischen Versen und französischen, italienischen, spanischen Worten und Redens arten ungefüllte Sprache und Darstellungsart gibt ein charakteristisches Bild der Zeit; sie ist aber nicht als seine eigenthümliche Schreibweise auszusasscn, sondern als Nach bildung und Verspottung des gemischten Sprachstils der Zeit: denn wo er wie in seinem Vermächtnis ernst blieb, schrieb er eine musterhafte Prosa. Wie groß die Wirkung von Philanders Sittcngcmälde auf die Zeit gewesen ist, erkennt man aus der weiten Ver breitung und den zahlreichen Nachahmungen und Fortsetzungen. Der Lucianische Schupp, dessen wir oben gedachten, hat für die schönsten seiner Discurse, den Regenten- spicgel, den Hiob, die Einkleidung in Visionen gewählt. Auch Ulrich Megcrlin, bekannt unter dem Namen Pater Abraham a Sancta Clara, Hofprcdiger in Wien hat seine Reden und Erbauungsschristcn in der alten Volks manier mit Witzen und Schwänken untermischt s„Huy und Pfuy der Welt"; „Mercks Wien"; „Judas der Erzschelm" u. a.) zu satirischen Ausfällen auf die Gegenwart und die herrschenden Laster und Gebrechen benutzt, aber wie weit steht dieser „Caricaturschrist- stcllcr" hinter dem männlichen Ernst eines Philander zurück. „Die Schnurren seiner Predigten und Schriften in Verbindung mit finsteren katholischen Schrecknissen", so schildert Gervinus das Wesen dieses geistlichen Schriftstellers, „seine anekdotischen Possen gemischt mit dunklen Legenden, seine Aufklärung neben seinem Aberglauben, sc>^ Derbheiten neben seinen höfischen Schmeicheleien, seine Volksmanier in Erzählung, Wortspiel, Sprichwort und Schwank verbunden mit seinen lateinischen Brocken, st>oe Belesenheit in rohen deutschen Poeten vereint mit der in den Kirchenvätern, seine Kunst