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III. Deutsche Wissenschaft und Dichtung. 759 lichcn Licdcr belief sich allein auf siebenthalbhundcrt! Schon in seiner Jugend erschien von ihm eine Sammlung lyrischer Gedichte „dlnsa tentonica d. i. teutsche poetische Msccllanecn", thcils Eigenes, theils Ucbcrsetzung und Nachbildung, die einen frischen 3ug haben, von Liebe und von Landleben singen, Gustav Adolfs Tod beklagen und Bernhard von Weimar preisen. Auch sein „Poetischer Lustgarten", seine „Hirtcnlieder an Galnthea" und sein Singspiel „Florabclla" lasten noch in ihrem Tone die italienischen, spanischen und französischen Muster erkennen und haben noch eine volksthümliche Ader. Aber bald „zog er, als er zu Verstand kam, die junge Hand von Venus ab und trieb das große Werk der Engel, geistliche Licdcr zu schreiben". Er erklärte, daß die welt lichen Gedichte wider seinen Willen bekannt gemacht und ohne sein Wissen in Musik gesetzt worden. Ermuntert durch den Beifall, den ihm seine geistlichen Gedichte ein brachten, („Crmuntre dich, mein schwacher Geist"; „Hilf Herr Jesu laß gelingen", >,O Ewigkeit du Donnerwort"; „Werde neunter mein Gemüthe") widmete er sich fast ausschließlich dem religiösen Gesang und wünschte in der Vorrede zu seinem „poetischen Schauplatz" (1046), „daß alle seine Jugendversc, darin der Venus und Cupido's ge dacht werde, unverzüglich ins Feuer geworfen würden". Selbst die Alten sind ihm jetzt ein Acrgerniß; er will den Tcrcnz aus der Schule verbannen und meint in seinem „neuen deutschen Parnaß", aus den Schriften der Heiden müsse man die Weisheit wie aus «mm Misthaufen die Perlen aussuchcn; er verabscheut Leda und Jupiter, Hymen und Adonis und wie die „sauberen Bursche" alle heißen. Aber wie sehr immer die religiösen Gedichte, die er in vielen Sammlungen bekannt machte („Neue himmlische Lieder"; „der an das Kreuz geheftete Jesus Christus"; „Sabbathische Seclenlust"; „Alltägliche Haus musik frommer und gottseliger Christen"; „Musikalische Festandachten" u. a.) in ganz Deutschland, selbst in katholischen Kreisen gerühmt wurden und ihm eine Fülle von Ehrengedichten und Auszeichnungen aller Art eintrugen; mit wenigen Ausnahmen be wegten sie sich in gewöhnlichen christlichen Bildern und Vorstellungen, in trivialen from men Redensarten ohne Schwung und Innigkeit, schwankend zwischen gezierter Uebcr- schwenglichkcit und prosaischer Faßlichkeit. Rist machte aus der geistlichen Licdcrdichtung ein Geschäft, daher den meisten der handwerksmäßige Charakter anhaftet; sie sollten für alle Verhältnisse und Lagen des christlichen Lebens dienen. Viele waren oberflächlich hingeworsene breite und seichte Reimereien, eben so säst- und kraftlos wie seine moralischen oder belehrenden Gespräche in Prosa über „das allcredelste Naß" „die allcredclste Zeitver kürzung" oder seine allegorischen Schauspiele „das friedewünschende Teutschland" u. A. Ein frommer Eiferer auf der Kanzel scheute sich Rist doch nicht, seine Gegner zu ver dächtigen und zu verleumden. 5. Epigramm. Satire. Prosadichtung. Jede Uebcrtrcibung nach einer Seite erzeugt naturgemäß den Gegensatz als Cor- Wcst^d-s reciiv. So mußte sich auch gegenüber der gespreizten breiten Kunstdichtung der Opitz- m-s. ' scheu Schule, die glatt in den Formen aber arm und leer an Gedanken und Gehalt sich anmaßend in den Vordergrund drängte, eine reaktionäre Strömung geltend machen. Das Gemüths- und Phantasielebcn wählte das Kirchenlied zum Gesäß seiner Gefühle and Betrachtungen, die Verstandesschärfe suchte im Epigramm ihren Ausdruck. Sowohl die Griechen und Römer als die Schöpfer der Renaissancepoesie liebten eine Dichtungs gattung, in welcher häufig auf Grund einer Redensart, einer Anekdote, eines Sprich worts ein überraschender Gedanke mit einer witzigen Wendung (Pointe) in ähnlicher Weise zum Bewußtsein gebracht wird, wie in der Fabel die moralische Nutzanwendung. Die griechischen Anthologien und der römische Dichter Martialis (IV., 305 f.) boten