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III. Deutsche Wissenschaft und Dichtung. 743 Europa bekannt ward »nd für die jenes Zeitalter des Verstandes sich in ähnlicher Weise begeisterte, wie hundert Jahre später die Romantiker für den conteinplativen Quietis mus der Inder. — „Woiffs hauptsächlichste Leistung besteht darin, daß er der erste war, der cs in Deutschland unternahm, alle Wissensgebiete vom Standpunkt der mo dernen Philosophie zusammenhängend und methodisch in erschöpfender Vollständigkeit zu bearbeiten. Es war vom höchsten Werth, daß einmal mit dein Gedanken einer rein rationalen Weltbctrachtung Ernst gemacht, daß die Forderung, Alles aus seinen natür lichen Ursachen zu erklären, nicht blos ausgestellt, sondern auch in eingehender Unter suchung an dem ganzen Erkenntnißstoff durchgeführt wurde". Unter den wissenschaftlichen Größen, welche in der zweiten Hälfte des siebenzchntcn Jahrhunderts die Welt des Crkcnncns zu klären und zu bereichern suchten, nimmt auch Samuel Pufendorf, dem wir in früheren Blättern schon mehrfach begegnet sind, XI, 1030. XII, 631) eine hervorragende Stelle ein. Sohn eines Pastors aus Chemnitz hat der deutsche Gelehrte bald als Professor an verschiedenen Universitäten, bald als Staatsmann und Historiograph in Stockholm und Berlin gewirkt und zu gleich, angeregt von Hugo Grotius und Hobbes in mehreren bedeutenden Werken die Begriffe des Natur- und Völkerrechts und die Lehre vom Staat zu begründen gesucht. Auch Pufendorf bediente sich, um dem internationalen Charakter der damaligen Wissen schaft zu genügen, bei Abfassung seiner rcchtsphilosophischen und historischen Schriften der lateinischen Sprache, so warm auch sein Herz für das deutsche Volk schlug und so tief er die Erniedrigung empfand, zu der die Nation durch eigene und fremde Schuld herabgedrückt war. Wir wissen welchen Sturm der „Severinus de Monzambano" durch sein kühnes Wort über die Staatsform des deutschen Reiches erregte; erst nach Pufen- dorss Tod lernte man den wahren Verfasser kennen. In einer Reihe rechtsphilosophischer Werke „über Natur- und Völkerrecht" „über die Pflicht des Menschen und des Bürgers" suchte der deutsche Gelehrte zwischen Grotius und Hobbes eine vermittelnde Stellung über den Ursprung und das Wesen des Staats und des öffentlichen Rechts zu gewinnen, indem er von jenem das Prinzip der Geselligkeit, von diesem das des individuellen Interesses annimmt und durch den Satz vereinigt, „daß die Geselligkeit im Interesse eines jeden Einzelnen liege." Wie Grotius leitet auch Pufendorf die allgemeinen Rcchts- gesetze aus der Vernunft und der menschlichen Natur her, nicht von einem göttlichen Willen, einer Offenbarung; aber neben dein angeborncn Gcselligkeitstrieb legt er großen Nachdruck aus das Gcselligkeits bcd ürfniß, „indem er thcils an die Hülfs- iosigkeit des vereinzelten, auf sich selbst beschränkten Menschen, theils an die menschliche Leidenschaftlichkeit und Schlechtigkeit erinnert, welche den bloßen Naturzustand zwar "icht, wie Hobbes meinte, zu einem allgemeinen Kriegszustand, aber doch zu einein Lustand größter Unsicherheit mache", daher die letzte Quelle des Rechts in dem Selbst erhaltungstrieb zu suchen sei. Der Hauptgrund für die Bildung von Staaten ist ihm daher das Bedürsniß des Rechtsschutzes, die Sicherung des Friedens; „der Staat ent- sirht, wenn sich eine größere Anzahl von Menschen für diesen Zweck durch Verträge unter einer gemeinsamen Regierung vereinigt. Der Staat läßt sich daher nur mittelbar auf göttliche Stiftung zurückführcn und noch weniger darf der einzelne Regent seine Regierungsgewalt unmittelbar von Gott herleitcn. Pufendorf nimmt deshalb auch seinen Anstand, eine vertragsmäßige Beschränkung der fürstlichen Gewalt zuzulassen und selbst den gewaltsamen Widerstand gegen das Staatsoberhaupt will er, wenn auch iögernd, für gewisse äußerste Fälle gestatten." Noch schärfer verwirft er jeden Gewisscns- und Religionszwang, die Durchführung einer abgeschlossenen Staatskirche: außerdem Glauben an einen Gott und eine Vorsehung solle der Staat von feinen Bürgern nichts Erlangen, und jedem Bekenntniß freien Gottesdienst gestatten. Zn seinen historio-