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II. Philosophie. 725 Gott und Welt, Geist und Materie auszugleichen versuchte und seine Kühnheit uiit dem Flamuieutod luchte (IX, 941). Schon im fünfzehnten Jahrhundert, als Eopcrnicus die Welt des Scheines mit gewaltiger Hand zerschlug und die Geister so mächtig aufrcgte, hatte der uns bekannte Cardinal Nicolaus Cusanus (VIII, 277) Bischof von Brixen eine Gottes- und Weltlchre aufgestellt, die auf skeptischen und mystischen Grundformen beruhend zu ähnlichen Resultaten und Spccnlationcu gelangt war, wie sie ein Jahrhundert später in den Schriften Bru»o's vorgctragcn wurden: allein in jenen Tagen der Morgcnröthe des Humanismus und der unbefangenen Hingebung der höheren Geistlichkeit an die Studien des Alterthums und an eine von der Kirche cmancipirte Weltweisheit erregten die lateinisch geschriebenen Werke des geistlichen Theosophen und Natur- weisen weniger Anstoß als in den Tagen resormatorisch-protestautischcr Kämpfe die meistens in italienischer Sprache abgefaßten Schriften Brnno's. Daß Italien, die Pflanzstätte des Humanismus, nicht unberührt bleiben würde von der geisti gen Sturm- und Drangperiodc des sechzehnten Jahrhunderts war natürlich; aber bei der raschen Lebendigkeit des Volkes gcrieth der Forschungsgcist leicht ins Schrankenlose, Unhaltbare und Schwärmerische. Giordano Bruno war ciu Bn^^o mit ungewöhnlichen Gaben und Kenntnissen ausgerüsteter Mann von dichterischen Anlagen, der dem Dominicanerorden entflohen ein bewegtes Wanderleben führte und zuletzt als er nach mancherlei Schicksalen in Genf, Paris, London und Wittenberg zu Padua philosophische Vorlesungen zu halten wagte, von den Benetianern der römischen Inquisition ausgelicfert ward, die ihn nach zweijäh rigen Kcrkerleiden öffentlich verbrennen ließ, auf dem Campofiore, da wo in unfern Tagen das geeinigte Italien dem Märtyrer der wissenschaftlichen Ueber- zengung und der freien Forschung ein Denkmal setzte. Fußend auf der Lehre des Platonikers Ficino, daß die Gottheit in zahllosen Formen oder Seelen über das Weltall ausgegossen sei, hat Bruno alle diese Seelen in Eine zusammcnge- saßt, in die Seele der Welt; sie ist Verstand (Intelligenz, Geist), Seele und Körper zu gleicher Zeit, ist Gott und Natur mit einenimal. Seine Lehre, daß die Welt (das Universum) als die geschaffene Natur Eins sei mit der Gottheit als der schaffenden, und beide ewig und unvergänglich, ist eine geistreich ent wickelte und mit Kraft und Wärme vorgetragene Erneuerung des althellenischcn Pantheismus. Zu gleicher Zeit wurden auch die übrigen philosophischen Systeme des Alterthums in verjüngter Gestalt vorgetragen, der Stoicismus durch Justus Lipsius, der Cpicureismus mit seiner materialistischen Weltanschauung durch Gassendi, der Skepticismus in milderer, populärer Form durch Montaigne und durch de» Geistliche» Charron, der wie Lcssing, „das Suchen der Wahr heit, die in Gottes Schooß wohnt", als die Aufgabe des Menschen und die Be- gränzung des forschenden Geistes aufstellte. Aristoteles wurde als das Haupt der katholischen Schulphilosophie, als „die gottlose Wehr der Papisten" Anfangs von den rcformatorischcn Begründern des neuen Geisteslebens verworfen und