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I- Frankreichs klassische Litcraturperiode. 715 nommcn ward, wurde in einem Epigramm bemerkt, daß zu der Zahl Vierzig eine Null gehöre. Von der stilistischen Ausbildung der schönen Prosa dieses klassischen Zeitalters M-moircn. geben auch die Denkwürdigkeiten und Briefe Zeugniß, die zum Thcil nicht ein mal für die Oeffenllichkcit bestimmt durch die Schilderungen der Persönlichkeiten und die scharfen Beobachtungen eine mächtige Anziehungskraft üben. Wir haben in den obigen Blättern mehrere dieser persönlichen Auszeichnungen kennen gelernt; viele haben nur Werth durch die historischen Mittheilungen, aber manche wie die Memoiren von Sully, Retz, Saint Simon u. a. tragen zugleich ein literarisches und künstlerisches Ge präge an sich. Die Denkwürdigkeiten Sullys sind freilich von augefochtcner Echtheit, aber immerhin ein herrliches Denkmal der Verdienste und hohen Gesichtspunkte des Ministers und Vertrauten des vierten Heinrich. Die Memoiren des gewandten geist reichen Kardinals de Rctz sind als treues Abbild der bewegten Zeit der Fronde eben ioivohl durch ihren Inhalt als durch ihren für die Kenntniß der Conversationssprache der vornehmen Kreise so wichtigen Stil merkwürdig. Seine Schriften zeigen eine Fein heit des Pinsels und eine Sicherheit der Conturen, wie man sie nur bei großen Meistern hadet, sind aber weniger zuverlässig in den Erzählungen. Die ausführlichen Memoiren des Louis deRouvroh, Herzogs von Saint-Simon sind erst in unserer Zeit in ihrer authentischen Gestalt der Oeffcntlichkeit übergeben worden, nachdem sic wegen ihrer schar en Urtheile über den Hof und hochgestellte Persönlichkeiten fast ein ganzes Jahrhundert ^Staatsarchiv unter Schloß und Riegel gehalten gewesen. Saint-Simon, dessen Vater d°n Ludwig XIII. den Herzogstitel erhalten hatte, machte unter dem Marschall von Luxemburg die niederländischen Feldzüge mit und focht bei Fleurus und Rcerwinden. damals faßte er den Entschluß, seine Erlebnisse aufzuzeichncn und legte zu dem 3>veck ein Tagebuch an, die erste Grundlage seiner Memoiren. Da er sich von Lud wig XIV. vernachlässigt glaubte, zog er sich vom Militairdienst zurück, ohne jedoch mit den, Hose zu brechen. Mitten in dem Partcitreiben stehend, mit der Maintcnon ver ludet, mit den herzoglichen Häusern der Orleans und Bourgogne in Beziehung, verlieh " seinen Memoiren, an denen er über fünfzig Jahre arbeitete, das Gepräge seiner Arsönlichen Eindrücke und Stimmungen, nicht ohne ein aufrichtiges Streben nach ^uhrhastigkeit, aber in seinen Urtheilcn von einseitigen Ansichten und Parteirücksichten Altes. Besonders wichtig ist sein Werk für die Zeit der Regentschaft, unter welcher er l^st wieder politisch thätig war. Nach dem Tode des Herzogs von Orleans zog er sich sein Landgut Laserte zurück, wo er bis zu seinem Tode (1755) an dem Werke lies Lebens arbeitete. Daß das Buch von großer Bedeutung sei sowohl in Beziehung "us dm historischen Inhalt als auf Sprache und Kunstform, darin stimmen alle über- wie sehr auch über die Glaubwürdigkeit die Urtheile auseinander gehen. Franzö- Literarhistoriker stellen St. Simon mit Tacitus zusammen. „Schon sehr ähn- ^ sagen sie, sei der Gegenstand, eine Epoche absoluter Regierung, in welcher alles T^sein der Menschen von der Gnade oder Ungnade der Fürsten abhänge, und des Vcr- Nes: St. Simon habe nicht die beredte Kürze, die Tiefe der Maximen des Tacitus, ^ auch er wisse dann und wann mit Einem Worte zu malen und nichts sei willkom- Arier als seine Ausführlichkeit; er habe sich eine Sprache geschaffen, welche incorrcct "w ordnungslos, alles ausdrücke; er wisse zugleich die äußere Erscheinung und das ^ne Leben von Personen vor die Augen zu bringen, alle verschiedenen und oft ein- widersprechenden Eigenschaften lasse er nach einander auf der Leinwand erscheinen, das Bild berichtige und ergänze". Aber auch selbst diejenigen Kritiker, ^ A die Unparteilichkeit und Gerechtigkeit seiner Urtheile anfechtcn und die Memoiren " ^ Denkmal eines betrogenen Ehrgeizes" nennen, nicht als Geschichte, sondern als ein