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I. Frankreichs klassische Lileraturperiode. 711 „Manch oder das besiegte Rom" sich der Schwcdenkönigin Christine empfehlen wollte, und der Jcsuitenpater Lern oine, der „den heiligen Ludwig oder die Wicdercrobcrung der heil. Krone" zum Gegenstand einer Epopöe machte, welche allenthalben die Nach ahmung Tasso's erkennen läßt. Erst Voltaire brachte durch seine Hcnriadc auch die epische Dichtung nach der Meinung der Franzosen zur Vollendung. Aber die historisch treue Schilderung eines Bürgerkriegs in wohllautenden Alexandrinern mit allegorischen Figuren ist von einem echten Heldengedicht noch sehr weit entfernt. Degcgcn wurde eine dem Epos verwandte Gattung, der Roman eifrig gepflegt und in verschiedene Formen ge- Roman, bracht: So hat Gauticr des Costcs de la Calprcnede aus der Gascogne, ein Mann von dichterischen Anlagen und südländischer Phantasie und Beredsamkeit, Begebenheiten aus der Geschichte des Alterthums im Geiste und in der Manier der älteren Ritterromanc aber im Spiegel der Gegenwart in redseliger Breite dargcstellt; in seine Fußtapfcn trat die schon erwähnte Madeleine de Scudery mit sieben bändcrcichcn Ronianen. Bald ging man jedoch von diesen antikromantischcn Darstellungen in allzu gedehnter Aus führlichkeit über zu den historischen Romanen, Novellen und Hofgcschichten, worin man Personen und Zustände der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit zum Gegenstand der erzählenden Darstellung wählte, bald mehr in freier Erfindung, wie die Damen La Force und Villcdieu in ihren geschichtlichen Romanen, oder wie Roger de Rabutin, Gras von Bussy in seinen unzüchtigen „Gallischen Liebesgeschichten" einer Act seandalöscr Chronik aus der vornehmen Welt ; bald in der Form von angeblichen Memoiren, Dich tung und Wahrheit verbindend wie die Gräfin von Lasayettc in ihrer „Geschichte derdafayme Herzogin von Orleans", in ihren Denkwürdigkeiten über den französischen Hof, in ihrer ^ „Prinzessin von Cleves". Nur in dem schönen Buch ,Laidc", dem trefflichsten histori schen Roman der Zeit, ist die hochgebildete Gräfin mehr ihrer eigenen Erfindungsgabe gefolgt. Bedeutender sind die Leistungen der Franzosen im komischen Roman, wobei ihnen die spanischen Dichter zum Vorbild dienten. Der uns als Gemahl der Frau von Maintenon bereits bekannte Paul Scarron, der trotz seines gichtbrüchigen gebrechlichen Scarron Körpers nie seinen Witz und Humor verlor und in der burlesken Poesie sich einen bc- ^ rühmten Namen erworben, hat außer seinen Lustspielen auch einen „komischen Roman" und eine „travestirtc Aeneidc" verfaßt, mustergültig durch Witz und Sprachgewandtheit. Den größten Ruhm aber in der Gattung des den Spaniern entlehnten komischen Ro mans erlangte Rene Lesage aus der Bretagne, der sich auch um die Einführung dcr^agc^^ spanischen Jntriguenstücke auf die französische Bühne und um die Ausbildung der komi schen Oper verdient gemacht hat. Die „Geschichte des Gil Blas von Santillana" ist wegen der klassischen Darstellung und fesselnden Diction fast so verbreitet und berühmt geworden wie der Don Quixote von Cervantes, und der „hinkende Teufel" erregte großes Interesse durch die zahlreichen Anspielungen auf Personen, Zustände und Geschichten von Paris zu jener Zeit. Zur epischen Dichtung gehört auch das merkwürdige, in poetischer Prosa schriebene Buch des uns bereits bekannten Bischofs Fenelon, die Abenteuer Tele- machs, ein Werk von edlem Geist und freisinnigen politischen Grundsätzen, das eine solche Verbreitung erlangte, daß es in alle europäischen Sprachen übersetzt worden ist und nächst der Bibel und der Nachfolge Christi die meisten Auflagen erlebt hat. Fenelon, ein edler Mann von mildem Charakter und christlicher Gesinnung und Tugend, war Erzieher der königlichen Enkel und schrieb dieses an Homers Odyssee sich anschließende Werk in der Absicht, dem Erben des Thrones die Pflichten eines Regenten anschaulich zu machen und ihn vor den Irrwegen zu bewahren, auf welche Ludwig durch seine Herrschsucht, seine Ruhmbegierde und seine Kriegsliebe geführt worden. „Dem kriegerischen, verfolgenden, prächtigen, absoluten Königthum Ludwigs XIV.