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I. Frankreichs klassische Literaturperiode. 707 der Wespen de« Aristophanc« sind mit Beifall aufgeführt worden; dagegen stehen seine Oden und Epigramme seinen dramatischen Werken und auch seinen prosaischen Schriften, beson der« seinen eleganten Briefen nach. Gleichzeitig mit Racine brachte Jean Bapt. Poquelin genannt Moliere aus Paris das französische Lustspiel zur Vollendung. Moliere, Sohn eines königlichen Kam merdieners, war, nachdem er eine wissenschaftliche Erziehung genossen, zuerst Dircctor einer wandernden Schauspiclertruppe, bis ihm die Leitung und Anordnung der königlichen Bühne übertragen wurde. In dieser Stellung wirkte er viele Jahre lang mit unermüdlicher Thätigkeit als Dichter und Schauspieler, wohlgelitten bei Hofe, für dessen Unterhaltung bei festlichen Gelegenheiten er beflissen war, beliebt bei dem Volke, für das er seine leich teren Stücke verfaßte, geachtet wegen seines rechtschaffenen frcimüthigen Charakters und nur in seinem häuslichen Glück gestört durch den Leichtsinn seiner Frau, einer Schau spielerin. Moliere verband mit der Kenntniß des antiken Dramas und der spanischen Bühne tiefe Menschenkenntniß und ein vollkommenes Verständlich seiner Zeit mit allen ihren Gebrechen und Schwächen. Sorgfalt bei der Ausarbeitung und Gewandtheit und Leichtigkeit im Verscmachen gaben seinen Dichtungen eine hohe Vollendung und Glätte der Form, seinem Dialog die echt französische Grazie. Er dichtete mit derselben Leich tigkeit eine genialische Posse, wie das feinste durchdachteste Charakterstück und wenn er auch hie und da die komischen Farben stark auftrug, so blieb er doch selbst in den freiesten Spielen des Muthwillcns ein corrccter Dichter, und über dem Studium des Plautus und Tcrcnz hat er nie die Natur und das wirkliche Leben aus dem Auge ver loren. Unter Moliercs Dramen muß man die schnell entworfenen Gclegcnheitsstücke (wie la prlnossss dlüliäs, 1'anaour rnsäsoln und selbst Iss läclisux von den ausgear beiteten und klassischen Stücken unterscheiden. In diesen wußte er geschickt die antike Charaktcrkomödic und ihr moralisches Ziel mit den spanischen Jntrigucnstückcn, in denen die Anlage, die Verwickelung des Knotens und der Begebenheit die Hauptsache ist, zu verbinden. Unter seinen sünfunddrcißig Komödien heben wir hervor: die Affcc- tirten (Iss prsolsusss -rillioulss), worin die damals herrschende Ziererei und Sentimen talität, die Affectation des Geschmacks, Alles geistreich und originell sagen zu wollen, und die gezwungene Complimentensucht dem Spotte preisgegeben wird; die Schule der Männer und die Schule der Frauen, worin die Resultate einer verkehrten Behandlung der Frauen dargestellt werden, gehören nach Anlage, Charakterzeichnung und Sprache zu seinen gelungensten Stücken; in der dramatischen Posse „Kritik der Schule der Frauen" machte er die albernen Beurtheilungen dieses Dramas lächerlich. Der Menschenfeind (naisantllroxs) ist durch den Streit Rousscau's und d'Alem- berts über die Errichtung eines Theaters in Genf berühmt geworden, wobei jener das Stück einseitig sophistisch tadelte und dieser cs eben so einseitig sophistisch vertheidigte. Das Kölnische und Lächerliche eines tactloscn Wahrhcitsfreundcs in einer unwahren Welt und eines ungeschickten Verthcidigcrs wahrer Empfindung im gewöhnlichen Verkehr des Lebens ist freilich für das größere Publikum zu fein. Um daher das Volk nicht leer ausgehen zu lassen, verfaßte Moliere von Zeit zu Zeit Possen und Nationalfarcen zur Belustigung der Menge. Dahin gehören: Der Arzt wider Willen, der Bürgcrcdelmann, Georg Dandin, Sganarelle, Scapins Schelmenstreiche, der eingebildete Kranke, dessen Darstellung auf der Bühne dem kranken Dichter selbst den Tod brachte, u. a. Nachdem Moliere noch in dem nicht im gewöhnlichen alexandrinischen Versmaße, sondern in un gebundener Rede verfaßten Charakterstück: der Geizige und in den „gelehrten Frauen" Gebrechen seiner Zeit gegeißelt, bearbeitete er das vollendetste seiner Stücke, den Tar- 45* Moliere. 1620-73.