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V. Der Norden und Nordosten Europas. 691 Diese ehrlose Kricgsführung zu einer Zeit, wo die christlichen Heere unter Prinz Eugen die glänzendsten Lorbeeren über die Mohammedaner erfochten, St-Hrstr-ia- enipörtc de» muthvollcn chrlicbenden Zarenjüngling Peter, der jetzt ein Alter non ZtuHz. siebenzehn Jahren erreicht, durch natürliche Anlagen und gute Erziehung eine frühe geistige Reife erlangt und sich bereits mit Eudoria einer Bojarcntochter aus der alten und reichen Familie der Lapuchin vermählt hatte. Er machte der Halbschwester bittere Borwürfe über die elende Kricgsführung und über die Ver schleuderung der Staatsgüter an unwürdige und vcrdienstlosc Menschen und ver langte, das; sie bei öffentlichen Gelegenheiten nur als Großfürstin, nicht als „Selbstherrscher«!" erscheine. Sollte aber die ehrsüchtige Zarentochter die sou veräne Gewalt, die sie sieben Jahre lang geübt, an den jungen Halbbruder abgcben, den verhaßten Naryschkins das Staatsruder überlassen? Lieber wollte sie den Weg der Revolution betreten, die Geister des Altrusscnthnms zu Hülfe rufen. Peter hatte in dem schöngelegenen Lustschloß von Preobraschensk, wo er unter der Aufsicht seiner Mutter und der Fürsten Boris Galizyn und Jaea* Dolgoruki seine Jugend verbrachte, frühzeitig seine militärische Anlage und seinen wißbegierigen Geist kund gegeben. In der deutschen Kolonie Sloboda, zwischen Moskau und dem Dorfe Preobraschensk, wo die Ausländer ihre Wohnungen hatten und wo der junge Großfürst viel und gern verweilte, hatte er seine Nei gung einigen Fremden zugewendet, die ihm in der Folge wichtige Dienste leisteten, wie der uns schon bekannte Schottländcr Patrick Gordon und der Hauptmann Lefort aus Genf. Das gebildetere Leben, die edlere Häuslichkeit, der feinere Familienverkchr, die ihm hier vor Augen traten, machten großen Eindruck auf seinen empfänglichen Sinn und flößten ihm Liebe für das fremdländische Wesen ein. Ein Holländer oder Straßburger, Franz Timmermann unterrichtete ihn in der Mathematik, in der Befestigungskunst und in der gesammten Kricgswissen- schaft; unter der Anleitung von Gordon und Lefort hatte der junge Fürst aus seinen Gespielen und Altersgenossen, denen sich bald auch andere junge Adelige freiwillig anschlossen, eine aus zwei Compagnie» bestehende Leibwache gebildet und sie nach deutscher Weise uniformirt und militärisch eingeübt, die erste Grund ige der beiden Garderegimenter, des Preobraschenskischen und Semonowschen, die in der Folge den Kern der russischen Hcercsmacht bildeten. Diese Hinneigung für das Ausländische erweckte den Neid und die Eifersucht der Strelitzen und Altgläubigen: sie fürchteten, wenn Peter die höchste Gewalt in seine Hände be- tänie, würde er in seinem Reformeifer über den Vater hinausgehen. Darauf dank die herrschsüchtige rünkevolle Zarewna ihre heimlichen Pläne. Gegen den Nath Wassily Galizyn's, den die Leidenschaften weniger verblendeten als seine Gebieterin, beschloß sie die altrussische Rcaction wider den ncueruugssüchtigcn Halbbruder ins Feld zu führen. Feodor Schaklowitoi, der Oberst der Strelitzen ^rsammelte im Kreml 6000 Mann dieser Soldatcnkaste und las ihnen den August iess. schriftliche,, Befehl der Rcgcntin vor: „den Zar Peter, weil er deutsche Sitten 44"