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684 ü. Die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. geführt würden", eine aus untergeordneten Amtleuten und Schreibern bestehende Be hörde, die mehr durch das Geheimnißvolle ihres Auftretens und Wirkens als durch ihre Gewalt und Befugniffe dazu beitrug, das Volk in Furcht und Gehorsam zu halten und von allem agitatorischen Treiben abzuschrccken. — Die auswärtigen Kriege mit Polen und Schweden, die wir aus früheren Blättern kennen, stärkten das Nationalgefühl und die innere Eintracht; und wenn auch die Grenzen nicht erweitert wurden, so hatte doch der Abfall der Kosaken von Polen eine Schwächung der Republik und eine Stärkung des Moskowitcnreichs zur Folge. Aber während dieser kriegerischen und politischen Ver wickelungen drang in Rußland mehr und mehr die Einsicht durch, daß die Nation nur dann zu einer ihrer Größe entsprechenden Machtstellung gelangen, nur dann über die angrenzenden Reiche die Oberhand gewinnen könne, wenn sie sich die Kriegskunst, die Disciplin und Bewaffnung, und alles nützliche Wissen des westlichen Europa zu eigc» mache, eine Einsicht, die bald zur praktischen Anwendung kam und im russischen Staats- leben eine neue Aera begründete. Nach der bisherigen Kriegsverfassung, die auch in dem neuen Gesetzbuch beibehalten war, bestand das russische Heer vorzugsweise aus Reiterei, gebildet aus den Gutsherren und ihren Knechten, den alten „Stre it tzen", die in größere Haufen oder Armeecorps („Polkc") gethcilt unter der Fahne der Bojaren und Wojewoden aus das Gebot des Zaren ins Feld zogen. Diese Strelitzcn etwa 40,000 Mann bildeten wie die türkischen Zanitscharen eine stehende Armee, oder vielmehr, da sie verheirathet waren und die Söhne in den Stand des Vaters eintraten, eine Heergemeinde mit mancherlei Vorrechten. Der dritte Thcil davon diente als Leib wache des Zar in der Hauptstadt, den andern siel die Hut der Grenzen zu, wobei ihnen die in befestigten Orten stationirtcn und mit Grundbesitz versehenen „alten Soldaten regimenter" behülslich waren. Diese Heerordnung wurde nach und nach in der Weist umgcstaltct, daß den Strelitzcn und dem alten Landesaufgebot neue Regimenter zur Seite traten, welche durch Aushebung von den Krön-, Adels- und Kirchcngütern, durch Aufnahme von Freiwilligen und durch Einreihung fremder Rcisläufer oder Berufs soldaten zusammengebracht, von auswärtigen Offizieren in Armirung, Disciplin und Sold nach europäischer Weise organisirt wurden, und deren Hauptstärke in Fußvolk be stand. Doch dienten darin auch berittene Mannschaften, Dragoner und „Reiter" vor zugsweise aus „besitzlosen Bojarenkindern" bestehend. Mit schwerem Geschütz versehen und von den fremden Offizieren militärisch eingcübt waren diese „neue Regimenter" den Strelitzen und dem Landaufgebot an Kriegstüchtigkeit bald überlegen. Die fremden Anführer, besonders Schotten, Deutsche, Holländer, erfahrene Leute aus dem dreißig jährigen Krieg oder aus den englischen Bürgerkriegen, wie Alexander Leslie stiegen bald zu hohen militärischen Acmtern empor, wie sehr sic auch wegen Verschiedenheit der Re ligion und der Abstammung bei den Eingebornen verhaßt und verachtet waren. 3" diesen geregelten Truppen kamen noch die Kosaken als Miliz oder zu Strciszügen. Die Neuerungen des Zar gaben viel Aergernisi, znmal da der größere Militäraufmand die Abgaben mehrte und finanzielle Verlegenheiten und Noth- stände bereitete; die Verwirrung im Mnnzwescn verbunden mit Falschmünzer" erreichte eine soche Höhe, daß in den sechziger Jahren mehrere Volksaufstände aus brachen, die mit einer Strenge unterdrückt werden mußten, wie sie unter der vorhergehenden Regierung nie vorgekommen war. Aber je mehr die Anhänger des Alten dem Zar bösen Willen trugen, daß er die Einrichtungen und Satzung"' der Ahnen durch Reformen umgestalten wolle, daß er „fremden Göttern diene"; um so standhafter mußte Alexei auf dem betretenen Weg beharren, wollte er