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874 L. Die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. scherhaus an die turbulente Adclsrepublik Polen geknüpft, eine Verbindung, die für beide Staaten unheilvoll und verderblich war. Das sächsische Volk seufzte schwer unter der Last, die durch den Ehrgeiz und die selbstsüchtige Politik seines Kurfürsten auf seinen Nacken gelegt wurde; und das polnische Staatswesen schritt unter den beiden deutschen Königen August II. und August III. immer weiter auf der abschüssigen Bahn, die dem Abgrund znführtc. Parteileidenschaften, Conföderationen, stürmische Berathunge», die den polnischen Reichstag sprich wörtlich gemacht haben, bildeten das politische Leben; die Fortschritte der euro päischen Cultur blieben der Ration fremd. Sie verharrte in dem mittelalterlichen Zustande mit strenger Scheidung der Stände, während das übrige Europa einer Auflösung der Standesbegrenzungen und einer Verschmelzung der verschiedenen Volksklasscn zustrebte. Der hohe Klerus theilte die Vorrechte des Adels, der niedere die Unwissenheit und den Aberglaube» der Leibeigene», die zahlreiche und schmutzige Judenschaft war iin Besitz des Kleinhandels und der wenigen Gewerbe. Neun Zehntel der Einwohner waren hörige Bauern, die ohne irgend einen Rechts schutz der Willkür ihrer Herren preisgcgeben waren. Die Frohndcn wuchsen bis zu der Höhe von vier Tagen in der Woche, die Brutalität des persönlichen Ver hältnisses übersprang alle Schranken. 3. Rursachsen seit dem westfälischen ckrieden. Johmm Kurfürst Johann Georg I. überlebte den dreißigjährigen Krieg, dessen Wechsel- fälle und Schrecknisse außer der Rheinpfalz kein anderes Land in so erschütternder Weist erfahren als das an Schlachtfeldern so reiche Sachsen, noch acht Jahre. Als endlich die Worte erfüllt wurden, „siche auf den Bergen kommen Füße eines guten Boten, der da Frieden predigt," fing das Volk wieder an aufzuleben. Aber erst zwei Jahre später. ^ issö' ""chbem endlich die letzte schwedische Besatzung aus Leipzig abgezogen war, konnte doS " Friedensfest gefeiert werden, von gar Vielen mit Thräncn auf den Trümmern ihrer Habe. Bald sah man flüchtige Protestanten aus Böhmen einwandern, die vorbei» Rcligionsdruck in ihrer Heimath eine neue Zufluchtsstätte suchten. Sie gründeten >>» i»»a. wildesten Thcile des Erzgebirges auf dem „Fastenberge im Hungerlande" Johann- Georgenstadt. Und als ob der gütige Gott den Leidenden eine Hülfe senden wolltr in der Noth und bitteren Armuth der Zeit, kamen damals die ersten Kartoffeln in dir sächsischen Lande. Ein großer Thcil des Unglücks rührte von der unverständigen Poli tik des Kurfürsten her. Sein Wahispruch: „Ich fürchte Gott, liebe Gerechtigkeit und ehre meinen Kaiser-- mochte ernstlich gemeint sein, aber zur richtigen Anwendung sthllr ihm die Einsicht. Wir wissen, welche unselige Folgen für Sachsen und für die prote stantische Sache der einseitige Frieden von Prag gebracht hat (XI, 975 ff.); des Kur fürsten engherziger Confessionsglauben, durch den er sogar verleitet wurde, sich der Aus nahme der Calvinisten in den Rcichssrieden zu widcrsctzen, bewies, daß seine AottessunU und seine Gerechtigkeit sehr kurz bemessen warm; und daß er im Widerspruch mit brr Albertinischcn Successionsordnung durch sein Testament seinen drei jüngeren Söhne» August, Christian und Moriz besondere Landcstheiie zuwics und so die kurfürstliche Pri mogenitur durch die Seitenlinien Weißensels, Merseburg und Zeitz schwächte, zeugte von geringer politischer Einsicht und von wenig Sinn für die Macht der Dynast»