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V. Der Norden und Nordosten Europas. 633 halb des Rcichsverbands stehende Herzogthum Preußen zu gründen wäre, und dem mächtigen Kurfürstenthum, das seit einem halben Jahrhundert in allen europäischen Verwicklungen eine entscheidende und selbständige Rolle spielte, die äußere Repräsentation zu geben, die es beanspruchen durfte. Mit besonderem Eifer ergriff der prachtliebende, von einem hohen Gefühl seiner Würde durch drungene Kurfürst Friedrich diese Idee, die schon sein Vater gehegt hatte. Die Erwerbung der Kurwürde durch das Haus Hannover, der englischen Königskrone durch Wilhelm von Omnien, der polnischen durch August von Sachsen verschob die ganzen europäischen Rangvcrhältnisse zu Ungunsten Brandenburgs. Man muß, um sich die Wichtigkeit eines solchen Vorhabens zu vergegenwärtigen, die eigenartigen und peinlich strengen Rang- und Etikettenverhältnisse im damaligen diplomatische» Verkehr sich vorstcllen. „Noch bildeten", so schildert Ranke diese Zustände, „die abendländischen Fürstenthiimer und Republiken eine große Körperschaft, an deren Spitze der römisch-deutsche Kaiser stand. Wie mannichfaltige und langwierige Unterhandlungen hat es selbst der Krone Frankreich ge kostet, das Prädicat Majestät zu erlangen, das sonst nur dem Kaiser gebührte. Dem Könige von Frankreich wollten die übrigen Könige gleich sein; diesen stellte sich wegen der Königreiche, die sic einst besessen, die Republik Venedig zur Seite; wohl haben die kurfürstlichen Gesandten in Wien unbedeckten Hauptes stehen müssen, während der venezianische sich bedeckte; aber nur schlecht waren die Kurfürsten und souveränen Herzoge mit diesem Vorrang zufrieden; auch sie forderten die Bezeichnung Serenissimus, den Titel Bruder, für ihre Gesandten das Prädicat Ercellenz. Selbst den mächtigsten weltlichen Kurfürsten aber fiel es schwer, hierin einen Schritt weiter zu kommen, weil, was man ihnen zugestand, dann auch von den geistlichen, die doch zum Theil bloße Reichsbarone von Herkunft waren, in Anspruch genommen wurde. Es konnte nicht anders sein, als daß diese Rangstreitigkeiten auf die Unterhandlungen in den großen Kon gressen zurückwirkten. Um der widerwärtigen Mißverständnisse, die zugleich tief in die Geschäfte Eingriffen, auf einmal überhoben zu werden, gab es für den Kurfürsten von Brandenburg nur das eine Mittel, die königliche Würde anzunehmen. Augenscheinlich ist, daß der brandenbur- gische Staat, wie er nunmehr war, keine seinen Machtverhültnissen entsprechende Repräsentation finden konnte, so lange das Oberhaupt desselben eben nur den Rang eines Kurfürsten besaß, der an einem Besitz haftete, welcher doch nur ungefähr den dritten Theil der Landschaften bildete, aus denen seine Macht bestand." Es kostete freilich am Wiener Hofe, dessen Einwilligung in die Erhebung des Aurone? Herzogtums Preußen zur Königswürde man in erster Linie für unerläßlich hielt, wie auch bei den andern europäischen Höfen langwierige und mühevolle Unterhand lungen, um die gewünschte Anerkennung zu erreichen. Der brandenburgische Ge sandte in Wien, Bartholdy, gab schon alle Hoffnung auf; um auf einem andern Wege zum Ziele zu kommen, entwarf der Jesuit Vota, der Beichtvater Augusts des Starken, eine Denkschrift, worin dem Kurfürsten der Rath gegeben war, sich vom Papste die Königswürde zu verschaffen, ein Gedanke, aus den man weitgehende Entwürfe hinsichtlich einer religiösen Bekehrung Brandenburgs baute; in der That unterstützte auch der Jesuitenpater Wolf, ein einflußreicher Mann am Wiener Hofe, eifrig die Krönungsfrage; ein seltsamer Zufall wollte, daß der Kurfürst durch eine Verwechselung der Chiffre sich persönlich an den vielvermögenden