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V. Dcr Norden und Nordosten Europas. 631 Männer wie Thomasius und Hermann Francke, die wegen ihres Freimuths aus Sachsen vertrieben worden, brachten, wie wir später erfahren werden, die junge Hochschule bald in Flor. In Berlin wurde eine Academie dcr bildenden Künste errichtet und eine So- cictät dcr Wissenschaften, unter dem Vorsitz von Leibnitz, der ganz besonders die Pflege der mathematisch-physikalischen und dcr Sprachstudien anregtc. Künstler und Gelehrte aller Art wurden herangezogcn, wie Philipp Spcncr und der berühmte Samuel von Pufcndorf, der die Geschichte des großen Kurfürsten mit ebensoviel Gründlichkeit als Freisinn behandelte, wie der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlüter; dann die französischen Prediger und Kirchcnhistoriker Jacob Lenfant und Isaak von Bcausobre, die Ncbcrsctzcr des Neuen Test, ins Französische, die Archäologen und Sprachforscher Nignolcs und Lacroze, Jacob le Duchat, der Herausgeber Rabelais' u. A. Und nicht allein die prunkvolle Wissenschaft, auch das untere Schulwesen, dcr Volksuntcrricht fand sorgfältige Pflege. Die Residenz wurde bedeutend erweitert und mit schönen Denkmälern und Bauwerken geschmückt (Lange Brücke, Zeughaus, Ausbau des Schlosses, Reiter- statue des großen Kurfürsten). In dem nahen Lustorte Lietzenburg (von da an Char- lottcnburg genannt) waltete die anmuthige Sophie Charlotte, die von Leibnitz in die Wissenschaften und selbst in die Tiefe dcr Philosophie eingesührte Kurfürstin, in einem geistig angeregten, von der steifen Etikette des Hofes entbundenen Kreise gebildeter und bedeutender Männer, in Musik und literarischer Unterhaltung, eine geistige Atmosphäre voll Freisinns, zwangloser Würde und Feinheit. In seiner auswärtigen Politik wandelte Friedrich III. im Ganzen die WegeAsU"^- des Vaters und war gleich dem großen Kurfürsten bemüht, in den gewaltigen Weltereignissen, welche sich um die Scheide des Jahrhunderts vollzogen, den Ruhm, das Ansehen und die Macht des brandenburgisch-preußischcn Staates zur Geltung zu bringen und zu erhöhen. Der Anthcil, den Brandenburg auch unter Friedrich III. an den europäischen Verwickelungen nahm, war keineswegs kraftlos oder unrühmlich, wenn auch wenig erfolgreich. Eine entschiedene Hin gebung an das protestantische Bekenntniß, die ihn überall zur thatkräftigen Unter stützung seiner Glaubensgenossen und zur eifrigen Beförderung der Unternehmung Wilhelms von Oranien gegen England veranlaßte, und ein lebhaftes deutsch patriotisches Gefühl, das sich in der energischen Betreibung des Reichskriegs gegen Ludwig XIV. und dcr persönlichen Theilnahme an de» militärischen Vorgängen in den Rheingegenden kundgab, ist Friedrich III. ebenso wenig abzusprechen wie seinem Vater und Vorgänger. Wenn es in den wcitausgrcifenden politischen Combinationen des großen Kurfürsten Zeiten gab, wo er sich Frankreich näherte und im Bunde mit dieser Macht seine Entwürfe durchzuführen gedachte, so glaubte Friedrich III. entschiedener und consequenter seine und des Reiches Wohlfahrt durch ein enges Zusammengehen mit dem Kaiser gewahrt und hielt am Bunde mit Oesterreich, für das er am Rhein gegen die Franzosen und in Ungarn gegen die Türken kämpfte, trotz mancherlei Enttäuschungen fest. Die Erfolge entsprachen keineswegs den Opfer» und Anstrengungen; die Theilnahme an den großen Kriegen dcr Zeit brachte dem Staat wenig Gewinn und bei den Ryswiker Friedensverhandlungen wurde der Kurfürst mit einer Geringschätzung