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V. Der Norden und Nordosten Europas. 617 die Souveränität nur in dem Umfang brauchen zu wollen, wie sic den Verträgen zwi schen Preußen und Polen und der Landesverfassung gemäß sei, bestätigte sämmtliche Privilegien und Rechte der Stände und die ungefährdete Uebung der lutherischen Religion mit Beschränkung des landesherrlichen Rechts in Kirchensachcn, Ohne ständischen Rath und Einwilligung sollte wegen des Herzvgthums Preußen kein Krieg angcsangen, sollten keine Steuern und Abgaben auferlegt werden. Die Landtage sollten in regelmäßigen Zwischenräumen berufen und Niemanden der Weg Rechtens und Beschwerde über öffent liche Angelegenheiten verschlossen werden. Nun kam endlich die feierliche Huldigung des Adels, der städtischen Abgeordneten und Beamten an den Kurfürsten und, für den Fall des Erlöschens des kurbrandenburgischen Mannsstammes, an die Krone Polen zu Stande. Allein auch nachher gericthen die alte Freiheit und die neue Souveränetät noch oftmals in Kampf; der Kurfürst hielt sich keineswegs immer an die Assecuration; das Mißtrauen der Stände war stets rege und die ewigen Steuerfordcrungen machten viel böses Blut. Mit großer Härte und Unbilligkeit wurden die seit einem halben Jahr hundert verpfändeten Domänen zurückgcfordert, und wo die Besitztitel nicht ganz unan fechtbar waren, oft mit offenbarer Willkür die Einziehung verfügt. Das allgemeine Mißvergnügen drohte wenige Jahre später wieder in offenen Kampf und Aufruhr auszubrechen. Der erwähnte Christian Ludwig von Kalkstein hatte seinen Widerspruch gegen die Souveränetät nie aufgcgeben und den Huldigungscid nicht geleistet. Als er jetzt seiner Hauptmannschaft von Olctzko entsetzt wurde, sann er in seinem Ingrimm auf Rache am Kurfürsten, drohte mit einem Einfall der Polen und hätte bei der herrschenden Gährung leicht eine große Bewegung ins Leben rufen können. Dem kam der Kurfürst durch rasche Gefangennahme des gefährlichen Mannes zuvor. Kalkstein wurde des Hochverraths schuldig erkannt, zum Tode verurthcilt und zu ewiger Gefangenschaft begnadigt. Streng und gawaltsam brach der harte Kurfürst Schritt für Schritt den Widerstand; die steigende Steuerlast mußte getragen werden, allein das neue Regiment hatte wenig Freunde im Lande, wenn auch die offene Widersetzlichkeit gegen den gestrengen Herrn nachlicß. Kalkstein wurde nach einjähriger Hast in Freiheit gesetzt, nachdem er Urfehde geschworen und gelobt hatte, sich ohne Cr- D--br. ross. laubniß des Kurfürsten nicht von seinen Gütern zu entfernen. Allein der unruhige und rachsüchtige Mann spann alsbald neue gefährliche Umtriebe, indem er sich an den Warschauer Hof begab, wo auch der jüngere Rhode weilte. Am polnischen Hofe fanden die Anschläge gegen den Kurfürsten stets geheimes Entgegenkommen und Aufmunterung; Kalkstein rühmte sich öffentlich, er werde es dahin bringen, daß Preußen wieder ein pol nisches Lehen werde. Die Auslieferung des eidbrüchigen Hochverräters, die der Kurfürst derlangte, wurde verweigert. Bor dem Reichstag reichte der verwegene Mann, angeblich >m Namen der preußischen Stände, ein Bittgesuch um Befreiung von dem branden- burgjschm Joch ein. Als alle Vorstellungen des Kurfürsten gegen die landesverrätheri- sihm Umtriebe nicht fruchteten, nahm auf seine Veranlassung der brandcnburgische Resident in Warschau, von Brandt, durch List und Waffengewalt den Kalkstein gefangen ^No». und ließ ihn schleunig nach Preußen schaffen. Darin lag unstreitig eine Verletzung des Völkerrechts; am polnischen Hofe war man äußerst erbittert und verlangte die Rückgabe des Entführten unter Kriegsdrohungen; Brandt hatte sich, um Repressalien zu entgehen, schleunigst ebenfalls nach Preußen begeben. Die Sache führte zu höchst gereizten Aus einandersetzungen zwischen den beiden Höfen; doch scheute man sich beiderseits vor einem Krieg um des einen Menschen willen; der Kurfürst gab entschuldigende Erklärungen ab, als habe er die Entführung nicht veranlaßt, die Thäter mußten sich einige Zeit ver borgen halten, und der polnische Hof gab sich endlich zur Ruhe. Kalkstein aber wurde »ach Memel gebracht und dort in einem sehr sormlosen, in verschiedener Beziehung den