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V. Der Norden und Nordosten Europas. 609 und die trügerischen Unterhandlungen fortgesetzt wurden. Mit gutem Grunde durfte sich der Kurfürst der ernstesten Rache von Seiten der Schweden versehen und setzte sich nicht nur selbst in Bcrtheidigungsstand, sondern war auch erfolg reich bemüht, einen umfassenden Waffcnbnnd gegen Schweden zu bilden. Er schloß ein Schutz- und Trntzbündniß mit Dänemark und mit Oesterreich. Allein das Mißtrauen und die Rivalität der Mächte, die Hinterhältigkeit und Unehr-»-S-br. iss«, lichkeit der Politik jener Tage standen einer energischen gemeinsamen Action im Wege. Der Vertrag von Wehlau war ein Ereigniß von weitreichender historischer Beziehung. „Die große deutsche Colonie im Osten" sagt Ranke „deren Gründung den lange fortgesetzten Anstrengungen der deutschen Nation zu verdanken war, wurde dadurch in ihre ursprüngliche Unabhängigkeit von den benachbarten Mächten hcrgeslellt, wenigstens in soweit als sie den Kur fürsten von Brandenburg Herzog von Preußen als ihr Haupt anerkannte. Und was lag nicht alles für diesen Fürsten selbst und für sei» HauS in dem Ereigniß. In der Mitte der großen Reiche, die ihnen bisher ihren Willen auflegten und eine eigenthümliche Politik nach eigenem Interesse doch in der That verhinderten, erscheinen der Fürst und das Land als ihnen ebenbürtig und gleichberechtigt, als nur von sich selbst abhängig. Es war das Werk eines geschickten Steuer manns, der in dem politischen Sturm, der sich um ihn her erhob, die Richtung seiner Fahrt mehr als einmal verändert und zuletzt glücklich in den sichern Hafen gelangt. Für die Bildung des Staates ist die Erwerbung insofern unschützbar, als sie den Kurfürsten aller Rücksicht auf die Politik von Polen entledigte: er konnte fortan seinen eigenen Gesichtspunkten folgen." Der Fortgang der schwedischen Unternehmungen in Polen nach der Schlacht bei Russtsck- Warschau wurde wesentlich durch den gleichzeitigen Ausbruch des russischen Krieges ge-Ajsgs'Azg hemmt. Zaar Alexei, Sohn und Nachfolger MichaelsFeodorowitsch (XI. 900) benutzte—rsss. die Zerrüttung des Polenreichs, um sich des größten Thcils von Litthauen und Wolhy nien zu bemächtigen. Konnte er Anfangs als ein Verbündeter des Schwedenkönigs betrachtet werden, so sah sich doch jeder der beiden durch die Fortschritte des andern in seinen Absichten und Bestrebungen durchkreuzt; Mißtrauen, Eifersucht, da und dort offene Feindseligkeiten konnten nicht ausbleiben. Die aufstrebende moscovitische Macht hatte langst die schwedischen Ostseeprovinzen mit begehrlichen Blicken betrachtet; war es doch der einzige Punkt, von dem aus Rußland in den europäischen Verkehr eintretcn konnte, eine Position von entscheidender Wichtigkeit für die Zukunft des jungen Reiches. Die gefährliche Lage des von so vielen Seiten bedrohten Schwcdenkönigs eröffncte für den Zaarcn lockende Aussichten. Die schwedischen Ostsecprovinzen waren in der trau rigsten Verfassung; die besten Streitkräfte zog der polnische Krieg an; die Festungen waren verfallen; an Geld, an Waffen und Proviant war der äußerste Mangel; die Einwohner griechischen Bekenntnisses standen mit ihren Sympathien offen auf Seiten der Russen. Als die Moskowiter die Grenze von Zngermanland überschritten, fanden Juni iss«, sie geringen Widerstand; kaum daß die festen Plätze von den schwachen Garnisonen ge halten werden konnten. Dann führte der Zaar selbst ein gewaltiges Heer, das aus lOO,000 Mann angegeben wurde, gegen Livland. Neuhaus, Dünaburg, Kockenhusen mußten den stürmenden Russen die Thorc öffnen. Die Wuth und Grausamkeit, womit die damals noch gänzlich rohen und zuchtlosen Russen die Landschaften hcimsuchten, erregte selbst in jener an Kriegsleiden aller Art gewöhnten Zeit Entsetzen und Grauen. Bald langten die wilden Horden vor Riga an. Hier brach sich freilich ihr Ungestüm, August, denn in> Belagerungswescn, überhaupt in der Kunst der Kriegsführung hatten sie noch äußerst wenig Erfahrung. Nach sechswöchiger Belagerung sahen sie sich zum Abzug WkSer, WMg-schichtk. XII. 39