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410 v. Das Zeitalter Ludwigs XIV. schwächen, begünstigten die Jesuiten die sinnlich-sentimentale Auffassung christlicher Vor stellungen. Am 16. Juni 1675 hatte eine Nonne in dem ncugcgründctcnKloster Paran- lc-Monial, Maria Alacoque, eine Vision: Jesus Christus erschien ihr persönlich und zeigte ihr sein heiliges Herz, womit er die Mensche» so sehr geliebt, ja er befahl der Nonne, ihr Herz in das scinige zu legen. Dies gab dein Cultus des „heiligen Herzens Jesu", die Entstehung, der zwei Jahrhunderte später, als die Jesuiten Papst und Kirche be herrschten, eine so demonstrative Bedeutung durch Wallfahrten und Wundcrerschcinungen in Frankreich erlangen sollte. d. Ludwig XIV. und der päpstliche Stuhl. Dieser Ausgang des Streits mit dem päpstlichen Stuhl war geeignet die autokratischcn Ansprüche und Tendenzen in Ludwig XIV. zu steigern: Die rücksichtslose Machtherrschaft, die er in den sicbenziger und achtziger Jahren ge genüber den Fürsten und Staaten Europa's an Tag legte, glaubte er auch im Innern gegenüber dem Klerus, der päpstlichen Jurisdiction und den Hugenotten sich gestatten zu dürfen. Wie in dem Streit gegen den Janscnismus der jesuitische Geist auf die Entscheidung der römischen Curie einwirkte, so ließ sich auch der Einfluß des Ordens in der kirchenpolitischen Haltung des päpstlichen Stuhles er kennen. Es war ganz im Sinne der Gesellschaft Jesu, wenn Urban VIII. und seine nächsten Nachfolger die jurisdictionellen Gerechtsame des kirchlichen Ober hauptes in den Beziehungen zu der mehr und mehr hervortretenden fürstlichen Selbstherrlichkeit nachdrücklicher wahrnahmen und zur Geltung zu bringen such ten. In diesem Streben des Pontificats, das zu den absolutistischen Ideen des französischen Monarchen in schroffem Gegensatz stand, lagen Keime zu unver meidlichen Conflikten zwischen den Höfen von Rom und Versailles verborgen. Wenn Papst Alexander VII. Umnuth und Verdruß empfand, daß die politischen Dinge ohne seine Mitwirkung sich vollzogen, der Menäische Friede ohne Zuzie hung eines päpstlichen Bevollmächtigten zum Abschluß geführt ward; so bemerkte Ludwig XIV. und sein Conseil mit nicht minder Verdruß und Aerger, daß Cle mens IX. und X. mehr Sympathien für die Habsburger als für Frankreich zeigten, in den kriegerischen Verwickelungen Spaniens gegen Portugal wie gegen das französische Reich jener Macht ihren geistlichen Beistand liehen, ihre wohl wollende Gesinnung bethätigten. Ludwigs XIV. Anhänglichkeit an die katholi schen Satzungen und seine äußerliche Kirchlichlichkeit hielten ihn daher nicht ab, dem päpstlichen Hofe gegenüber eben so seine rücksichtslose Selbstherrschaft geltend zu machen, wie gegen die weltlichen Fürsten. Wir wissen, welche Demüthigungen sich schon Alexander hatte gefallen lassen müssen (S. 364.). Aber noch schärfer entwickelten sich die Gegensätze als Jnnocenz XI. Odcscalchi, ein Prälat von Kraft, Umsicht und Energie im Innern wie nach Außen, den römischen Stuhl bestieg. Er nahm es übel auf, daß nian in Frankreich bei jeder Gelegenheit die Freiheiten und die Sonderstellung der gallicanischen Kirche betonte; daß der Kö nig, unterstützt durch die Devotion und Hingebung des französischen Klerus so-