Volltext Seite (XML)
III. Frankreich im Inner». 409 die Janscnisten sträubten sich nicht die sünf Sätze, die von dem Papst als Irrlehren er klärt worden, auch ihrerseits zu verdammen; nur wollten sie nicht durch ihre unbe dingte Unterschrift zugestehen, daß sie in Jansenius enthalten, daß die? die Lehren ihres Meisters seien. In einem „Briese an eine Person von Stande" erklärte Arnauld, Ge- wisscnshalbcr könnten sie nicht ein Buch für irrig erklären wegen einiger Lehrsätze, die sie nicht darin fänden. Für jenen Thatbestand könnten sic nur die Unterwerfung „eines ehrfurchtsvollen Stillschweigens" beobachten. Aber die große Theilnahme, welche die Sache bei allen Ständen fand, gab ihnen auch den Muth, dieses Schweigen zu brechen. Die geistreichen Männer des Portroyal, vor allen der als Philosoph und Mathematiker ausgezeichnete Blaisc Pascal, erhoben eine scharfe Polemik, worin sie nicht nur die Sophi- stik der Jesuiten und den kirchlichen Lichtsinn in ihrer ganzen Blöße enthüllten, sondern selbst gegen die päpstliche Autorität sich auf die höhere Macht GotteS, wie sie sich in der Heil. Schrift offenbare, beriefen. Pascals „Provinzialbriefe", zuerst in einzelnen Flug- blättern geheimnißvoll auftauchend, dann zu einem Buch gesammelt, machten selbst dem r^cf«. ^ Nuntius Sorge. Das Buch, in welchem die Casuistik und die sittcnvcrderbenden Lehren der Jesuiten, ihre bequeme Frömmigkeit und schlaffe Beichtmoral mit Ironie und Spott in witzigem gewandten Vortrage dargelegt sind, und zugleich in tiefen Gedankenblitzen die Wahrheit des Christenthums für die nach dem göttlichen Rathschluß sich Sehnen den gegen eine Welt voll Zweifel und Widersprüchen siegreich verfochten wird, begrün dete eine neue Aera der Prosaliteratur Frankreichs. Es war der schärfst« Pfeil, der bis dahin gegen den mächtigen Orden gerichtet worden. Lange widerstanden die Janscnisten von Portroyal allen Versuchen, sic mit Strenge und Gewissenszwang zum unbedingten Gehorsam zu bringen; die Nonnen deS Klosters ließen sich von dem Erzbischof, ihrem geistlichen Haupte, lieber vom Abendmahl aus- schlicßen, lieber aus den heiligen Räumen verweisen, als daß sie gegen ihre Ueberzeu- gung und ihr religiöses Bewußtsein die ihnen dargebotene Bekenntnißschrist unterzeichnet hätten. Endlich wurde unter Papst Clemens IX., einem milden friedliebenden Herrn durch Vermittelung des Königs, der Herzogin von Longueville und einiger Bischöfe eine mildere Form der Unterwerfung aufgestellt, welcher auch die Janscnisten beitrcten konn ten. Die Curie begnügte sich mit einer Verdammung der fünf Sätze im Allgemeinen, ohne darauf zu bestehen, daß sie von Jansenius wirklich gelehrt worden seien. Auf Grund dieses Compromisses wurde dann der „Kirchensricden" abgeschlossen, den der^g^iU. König mit so viel Selbstzufriedenheit als sein eigenes Werk ansah. Die während des Streites von Jesuiten und Ultramontanen aufgestellte Behauptung, „der Papst sei auch in Fragen über Thatsachen unfehlbar, denn von dem göttlichen Stifter der Religion sei die ihm eingeborne Jnsallibilität aus den Heil. Petrus und dessen Nachfolger übertra gen worden, der religiöse Glaube selbst rechtfertige daher die Annahme, daß die ver dammten Propositionen von Jansenius in der That behauptet worden seien", wurde somit von der Curie selbst aufgegeben, das Dogma von der absoluten Autorität der Päpstlichen Gewalt eingeschränkt. Die Janscnisten dursten sortbestehen ohne mit der Kirche zu zerfallen. Sie hielten nach wie vor an der Lehre von der wirksamen Gnade fest und gewannen durch ihre literarische Thätigkeit immer mehr Ansehen und Bedeu tung bei der Nation. Der Uebertritt von Turenne zu der katholischen Kirche wurde dem Einfluß Jansenistischer Schriften zugeschrieben. Der König selbst munterte Arnauld auf, seine „goldene Feder" im Dienste der Religion und Wahrheit zu gebrauchen. Die Schriften des Portroyal, ausgezeichnet durch Klarheit und Schärfe des Denkens, und im reinsten Stile des gebildeten Frankreich geschrieben, wurden Muster der französischen Prosa und ihre Lehrbücher über Grammatik, Rhetorik, Logik und Mathematik hatten bedeutenden und bleibenden Werth, lim die Wirkungen der Janscnistischcn Lehren abzu-