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D. Das Zeitalter Ludwigs XIV. 108 Bald suchten die Glieder der angesehensten Adclsfamilien, die Schwester und der Bruder des Prinzen von Conde und viele Männer und Frauen aus den ersten Kreisen der Gesellschaft in den geweihten Räumen von Portroyal Schutz und Heilung wider die Sündhaftigkeit der Welt. Es war ein Rückschlag gegen das leichtfertige Leben während der Fronde. „Denn zwischen frivolem Genuß und religiöser Zurückgezogenheit bewegte sich nun einmal diese Welt." wsmusund Die Janscnisten traten dem herrschenden Kirchenthum zu scharf entgegen und nah- Parst-men durch ihr geistiges, sittliches und literarisches Leben und Verhalten eine zu bedeutende «hum. Stellung ein, als daß sie nicht bald von verschiedenen Seiten hätten Anfechtungen er fahren sollen. Besonders eifrig erhoben sich die Jesuiten gegen die „Parteigänger der Gnade". Nicht nur daß sie in polemischen Werken den entgegengesetzten Standpunkt geltend machten und die Nothwcndigkeit einer freien Selbstbestimmung so lebhaft be tonten, daß darüber die Idee der göttlichen Gnade ganz in den Hintergrmnd gedrängt ward, sie erhoben auch Klage gegen Janscn's Werk bei dem päpstlichen Stuhle. Sie fürchteten, die Jansenistischen Ansichten, die schon bei dem französischen Klerus Eingang gefunden, für die sich das Pariser Parlament ausgesprochen, möchten weiter um sich greifen, wenn ihnen nicht durch die Autorität der Kirche Einhalt geboten würde. Zu dem Zweck legten sie der Curie fünf Sätze aus Janscn's „Augustinus" vor, in denen sie Widersprüche gegen die herrschende Kirchcnlehre zu finden glaubten. Die Congregation, die zu deren Prüfung in Rom niedergesctzt wurde, war verschiedener Meinung, doch er klärte sich die Mehrheit für die Verwerfung. Papst Jnnoccnz X. schwankte, er vermied gern entscheidende Aussprüche. Allein Kardinal Chigi, der gegen das Buch einen Wi derwillen gefaßt hatte, brachte cs durch seinen Einfluß dahin, daß eine Bulle jene fünf i.Juni isoo. Sätze als „ketzerisch, blasphemisch, fluchbeladen" erklärte. Er hatte vornehmlich auf eine Stelle hingewiesen, welche die päpstliche Unfehlbarkeit in Frage zu stellen schien. Ein Ausspruch des Kirchenvaters über den Stand der Unschuld war von dem römischen Hofe verdammt worden. Dennoch hatte Jansenius das Dogma wieder vorgetragen und zu seiner Rechtfertigung beigefügt, „der päpstliche Stuhl verdamme zuweilen eine Lehre blos um des Friedens willen, ohne sie darum gleich für falsch erklären zu wollen". Darin wurde eine Herabsetzung des apostolischen Ansehens des kirchlichen Oberhauptes gefunden. Der königliche Hof in Paris, damals noch unter Mazarins Leitung war den Janscnisten abgeneigt, weil sie für den Kardinal von Retz in seinen Ansprüchen auf den erzbischöflichen Stuhl Partei nahmen. Man sah in ihnen eine „geistliche Fronde". Daher wurde die Bulle durch die „Hofbischöfe" mit Hülse der Jesuiten rasch in Frank reich verbreitet. Nun aber behaupteten die Gelehrten von Portroyal, daß die fünf Sätze in der angeführten Weise sich in Janscn's Schrift gar nicht vorfänden, jedenfalls nicht in dem Sinne von dem Verfasser geschrieben seien, in welchem sic der Papst ver dammt habe. Darüber ging Jnnoccnz X. aus der Welt, und derselbe Cardinal Chigi, welcher am eifrigsten die Verdammung betrieben hatte, bestieg als Alexander Vll. den päpstlichen Stuhl. Dieser erklärte aus die Einwendung: „die fünf Sätze seien allerdings aus dem Buche Jansens gezogen und in dem Sinne desselben verurthcilt wor den". Damit erhielt der Streit eine neue Richtung; jetzt erklärten die Genoffen von Portroyal und vier Bischöfe, die päpstliche Unfehlbarkeit könne sich doch nur aus Glau benslehren, nicht auf Thatsachcn erstrecken, lieber eine rein faktische Frage sts gnsstion äs ks.it) könne die Kirche nicht mit höherer Autorität entscheiden als die Wissenschaft. Vergebens suchte die Regierung und der Erzbischof Paresixe von Paris die Verdammungsbulle sin dem päpstlichen Sinne zur Anerkennung zu bringen, indem sie allen geistlichen Personen und Lehrern Formulare zur Unterschrift vorlegten, wie einst in den lutherischen Ländern Deutschlands bei Gelegenheit der Concordicnformel: