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368 II. Das Zeitalter Ludwigs XIV. immer einer gewissen Selbständigkeit in der Verfassung, in der Rechtspflege, in der Gesetzgebung und in dem ganzen öffentlichen Leben erfreuten, willkürlich von dein Madrider Königshof fort und fort regiert werden? Es ging das Gerücht, Philipp IV. habe die Absicht, die flandrischen und brabantischen Provinzen seiner jüngeren Tochter Margaretha als Mitgift zu ihrer Vermählung mit Kaiser Leopold zu übergeben und dadurch die Solidarität der Habsburgischcn Haus- iuteressen aufs Neue zu befestigen. Dieses Vorhaben, das in den Niederlanden selbst viele Gegner hatte, wollte man in Frankreich auf alle Weise verhindern. Es war daher das eifrigste Anliegen Ludwigs XIV. alle Vorbereitungen zu treffen, um bei dem Hingang seines Schwiegervaters im Namen seiner Gemahlin, der Infantin aus erster Ehe, Ansprüche auf die spanischen Besitzungen an der Schelde und am Jura zu erheben. Schon damals hörte man in Paris die Be merkung, Frankreich sei gegen Norden und Osten in zu enge Grenzen cinge- schlossen. Die Juristen wiesen nach, daß in Brabant, Namur und andern nieder ländischen Orten ein „Devolutionsrecht" bestehe, kraft dessen bei dem Tode eines Ehegatten und der Wiedcrverheirathung des überlebenden die Kinder erster Ehe ohne Rücksicht des Geschlechts denen der zweiten in der Erbschaft vorangingen, dein Vater nur bis zu seinem Tode die Nutznießung der Güter und Lehen zustchc. Warum sollte es nicht zulässig sein, dieses für das Civilerbrccht gültige Gesetz und Herkommen, das selbst bei Vererbung großer Lehen schon zur Anwendung ge kommen, auch auf das Staats- und Königsrecht überzutragen? ruv^xiv. Die Patrizier, die unter de Witts Führung die Gcneralstaaten regierten, rcnsionanus befanden sich in einer kritischen Lage. Trotz eines Friedensvertrags, zu dem sich " ' 'Karl II. im I. 1662 herbeiließ, stand doch der Ausbruch eines neuen Krieges zwischen deu beiden Seemächten in naher Aussicht. Zwar hatte der Rathspcn- sionarius, um den englischen König versöhnlicher zu stimmen, die Ausschließungs akte aufheben und die Erziehung des Prinzen unter die Aufsicht der Regierung stellen lassen, „damit derselbe zur Verwaltung der hohen Aemter seiner Vorfahren geschickt gemacht würdenichts desto weniger dauerte die feindselige Stimmung fort. Die englische Nation war voll Neid und Eifersucht auf die holländischen Handelsherren, die ihrer Marine und ihren Colonien eine so erfolgreiche Con- currenz machten, die auf allen Märkten Europa's die britischen Kauflcute über flügelten, die in Vließingen und Amsterdam die Maaren von Ost- und West indien aufstapelten. Wie oft lagen auf der Westküste von Africa, in Guinea, am Hudson in Nordamerica, auf den Inseln der indischen Ostwelt holländische und englische Seeleute mit einander in erbittertem Kampfe! Wie oft geriethen beim Wallfisch- und Häringfang Angehörige beider Völker in blutige Raufhündcl! Manche Beschwerden und Entschädigungsforderungen waren noch nicht aus geglichen. König Karl II., dessen Gemahlin dem Hause Braganza angchörte, zürnte den Staaten wegen ihrer Feindseligkeiten gegen die Portugiesen. Dazu die immer schärfer hervortretende Opposition der oranischcn Partei in den Pro-