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348 6. Die pyrenäische und die apciininische Halbinsel. Bewegung der Geister bei, die gegen das Ende des Jahrhunderts einen Umschwung in allen Zweigen geistiger und künstlerischer Thätigkeit erzeugte. Die neue edlere und freiere Richtung der Poesie kündigte sich an in dem von der nordischen Königin gleichfalls be- günstigten Florentiner Vincenzo da Filicaja, der sich eben so fern hielt von dem geist und gemüthloscn Getändel der Petrarchistcn, wie von der frostigen Nachahmung der Alten. Bon kühnerem Freimuth durchdrungen als die meisten seiner Zeitgenossen, wagte er es in kräftigen schwungvollen Canzonen und Oden seine Ansichten, Eindrücke und Empfindungen über die ernsten Zeitereignisse auszusprcchen, seine Landsleute aufzu- rüttcln aus dem Rausche der Sinne und der Sünde, der sic erfaßt hatte, und ihnen vaterländische Begeisterung und politisches Interesse einzuflößen. Unter seinen „Tos- canischen Poesien", die eben so sehr durch den Wohllaut und die Harmonie der Sprache und des Versbaues wie durch die Gediegenheit des Inhalts hervorragen, sind die Oden auf die Befreiung Wiens von den Türken am berühmtesten geworden. Zn dem unüber trefflichen Sonette „Ztalia! Italic!" gab er zuerst den wehmüthigen Gefühlen der ita lienischen Patrioten über die traurige Lage des Vaterlandes Ausdruck, indem er den Wunsch ausspricht, daß es gegen die Fremden weniger Reize oder mehr Kraft besitzen möge, Gefühle, die mit der Zeit immer stärker und allgemeiner wurden. schr-wung° die geschichtlichen Werke, welche trotz der Ungunst der Verhältnisse und der Gefahren die einem wahrheitsgetreuen und vaterländisch gesinnten Historiker drohten, gegen das Ende des flebenzchnten und in den ersten Decennien des achtzehnten Jahr hunderts zwei Gelehrte Muratori und Giannone zu Tage förderten, dienten dazu den Italienern anschaulich zu machen, wie groß ihr Vaterland ehedem gewesen und wie tief is72^7zo' gesunken cs in der Gegenwart sei. Lodovico Antonio Muratori aus dem Modcnestschen ' legte durch seine fleißige und gewissenhafte Sammlung der mittelalterigcn Chronisten und Historiker den Grund zu einer umfassenden Gesammtgeschichte Italiens und trat in seinen „Annalen von Italien" in Guicciardini's Fußtapfcn (X, 349). Sein Zeitgenosse ,8^—174^ der Neapolitaner Pietro Giannone zog sich durch seine „bürgerlicheGeschichte des König reichs Neapel", worin er mit männlichem Freimuth das lichtscheue Treiben der Priestcr- schast und den von Rom ausgehenden Geistesdruck in lebendigen Zügen darstellte, so sehr den Haß und die Verfolgung des päpstlichen Stuhles und der gesummten Hierarchie zu, daß er sich nur durch die Flucht nach dem Auslände retten konnte, und als er nach langen Jahren von Genf aus den vaterländischen Boden wieder zu betreten wagte, fiel er in die Hände der wachsamen Inquisition und wurde von Kerker zu Kerker geschleppt, bis er in der Citadelle von Turin sein vielbewcgtes Leben schloß. Die biidcndc Kunst feierte nur noch eine Nachblüthe, die sich an die großen Vor bilder des sechzehnten Jahrhunderts anlehnte oder, wo sie eigene Bahnen suchte, in eine künstliche auf Effect berechnete Manierirthcit oder in einen grellen Naturalismus verfiel. Wir haben diese Kunstrichtungen, die sich in das siebenzehnte Jahrhundert hereinziehcn, früher kennen gelernt (X, 383—388), die Bologneser Malerschule der Caracci, die Eklektiker Domcnichino, Guido Reni, Gucrcino u. a., die Naturalisten Caravaggio, Spagnoletto und ihre Kunstgenüssen, so wie den Barockstil in der Baukunst und Bild nerei, der durch Bernini und Borromini seine vollendetste Ausbildung erhalten hat. Wie sehr übrigens diese Nachblüthe der künstlerischen Productioncn den Schöpfungen der großen Vergangenheit an Idealität und geistigem Inhalt nachsteht, so liefert sie doch den Beweis, daß der Kunstsinn des italienischen Volkes auch noch im sicbcnzchntcn Jahrhundert fortdauerte. Noch immer lebte die Lust zum Bauen, das Bestreben, Kirchen und Paläste, Anlagen und Brücken mit Statuen zu schmücken, in Rom, in Florenz, in dcn Bildende Kunst.