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330 0. Die pyrenäische und die apenninische Halbinsel. und Schlachtsteuer und anderer die Nahrungsmittel vertheuernden Auflagen: der Vicekönig, ohne zureichende militärische Schutzmaunschaft, gerieth in Unruhe und versprach Abstellung ihrer Beschwerden; allein MaSanicllo beredete das Volk, sich Garantien zu verschaffen, daß die Zusagen auch wirklich erfüllt würden. Bald erschienen neue Volkshaufen vor dem Palaste; der Statthalter wollte nach einem der Castelle entfliehen; aber er wurde erkannt, aus der Kutsche gerissen und nach der nahen Kirche des Francesco von Paula geschleppt, wo er die Pri vilegien, die einst Karl V. der Stadt verliehen, feierlich beschwören und alle seitdem auferlegtcn Steuern für abgeschafft erklären sollte. Als der Herzog den geweihten Raum betreten hatte, gab er den Wächtern Befehl, die Thüren zu schließen und Niemand weiter einzulassen. Nun tobte die Menge und drohte die Kirche zu stürmen. In diesem Augenblick kam der Kacdinalerzbischof Ascanio Filomarino herzu und seiner Vermittelung gelang cs, den Vicekönig aus der verzweifelten Lage zu retten. Cr wiederholte feierlich das Versprechen, die drücken den Auflagen abzuschaffen, und stellte eine schriftliche Erklärung auf Pergament darüber aus. n»r°- Die kurze Ruhepause, die auf diese stürmischen Scenen folgte, benutzte der Aanüche Herzog, sich in das Castei nuovo zu werfen, wo er durch die Festungswerke meinte, geschützt war; dahin flüchteten sich dann auch die Spitzen des Adels und der Beamtenschaft. Nun war die Stadt gänzlich in der Gewalt der unteren Volks klaffen und des Demagogen Masanicllo; wie ein Dictator gebot der Fischer und Schleichhändler von Amalfi über die bewegliche Masse, die durch Zuzüge von Außen mit jedem Tage anwuchs. Auf einer hölzernen Tribüne, die neben der Kirche del Carmine errichtet war, hielt der zungenfertige Lazzaroniheld feurige Reden an die versammelte Menge im neapolitanischen Volksdialekt, begleitet von einem lebendigen Geberdenspiel nach der Landessitte, ein zweiter Cola Rienzo nur von gemeinerem Schlag, ohne höhere politische Ziele, ohne Schwärmerei für Menschenrechte und Freiheit. Bereits hatten die Stürmenden das Zeughaus erbrochen und sich niit Waffen und Geschütz versehen: nun wurden die Wehrhaften militärisch geordnet, einzelne Abtheilungen und Stadtquartiere bestimmten Haupt leuten unterstellt, Masanicllo selbst zum Oberbefehlshaber erhoben mit dem Tittl „Generalcapitän des Volkes". In eine Rüstung von Silberblech gekleidet, einen Federhut auf dem Kopfe stolzirte er selbstgefällig durch die Straßen; über 50,000 Bewaffnete waren seines Winkes gewärtig, um seine Befehle auszuführen. Wie in Palermo so schlossen sich auch in Neapel einige angesehenere Bürger den Auf ständischen an, in der Hoffnung, durch die revolutionäre Bewegung zu einer freieren Verfassung und Rechtsordnung zu gelangen. Dadurch sah sich Mas- aniello gleich dem sicilianischen Anführer in die Lage versetzt, die Insurgenten von Ausschreitungen und Gewaltthätigkeitcn abzuhalten. Wenn auch die Ge fängnisse erbrochen und die Sträflinge befreit wurden, wenn auch einzelne Amts gebäude und Adelspaläste erstürmt und ausgeplündert, verhaßte Steuererheber