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IV. Englische Wissenschaft und Dichtkunst. 267 Beobachtungen und Versuche zur Erkcnntniß der Gesetze und durch deren Anwendung zu den Erfindungen führen soll, die daS Reich und die Herrschaft des Menschen erwei tern." Im Gegensatz zu der formalen Philosophie, die an Aristoteles angelchnt bisher das Denken beherrschte, geht Bacon von der Erkcnntniß der Natur aus, die er „die Mutter aller Wissenschaften" nennt. Nach dieser inductiven und analytischen Methode unterwirft er alle Seiten des geistigen Lebens dem kritischen und prüfenden Verstand. 2n dem encyclopädischcn Grundriß, dem er den Titel „vom Werth und von der Ver mehrung der Wissenschaften" gab, vcrtheidigt er zuerst die Wissenschaft gegen ihre Ver dächtiger und Gegner, besonders die Theologen und Staatsmänner, und sucht dann die menschlichen Kenntnisse nach den verschiedenen Geisteskräften, die dabei thätig sind, Gcdächtniß, Phantasie, Vernunft, zu ordnen und so eine encyclopädische Tafel, oder einen allgemeinen Stammbaum aller Wissenschaften herzustellen. „Das ganze Gebiet der Wissenschaft wird ausgemessen, in seine verschiedenen Reiche getheilt, die Gegenden gezeigt und bezeichnet, die noch brach liegen und angebaut werden sollen." Die in dieser Encyclopädie in allgemeinen Grundrissen übersichtlich behandelten Wissenszweige: 1. Kosmologie als Naturphilosophie und Anthropologie gefaßt, 2. Weltbeschreibung in ihrer geschichtlichen und literargcschichtlichen Erscheinung, 3. Die logischen Künste mit ihren Untcrabtheilungen, 4. Sittliche Gcistcscultur oder Ethik in ausgedehntem Sinne; wurden durch einzelne monographische Schriften ergänzt und auSgeführt. So hat er in der Abhandlung: Von der Weisheit der Altm, die Mythen allegorisch zu deuten gesucht als Parabeln und Gleichnisse, ohne Sinn für die geschichtliche und religiöse Grundlage. 3n der „Geschichte Heinrichs VII.", dem Anfang eines umfassenderen aber nicht zur Ausführung gekommenen Gcschichtswerks über das Zeitalter der Tudors, 'suchte er einer nationalen Historiographie den Weg zu bahnen. Nach seinem Tode erschienen die Schriften „Silva Silvarum", naturgeschichtlichcn Inhalts und „Nova Atlantis", eine Allegorie von poetischem Schwung, und andere philosophische Abhandlungen. Wie die beiden großen Werke, die Encyclopädie und das Organon dem König Jacob I. ge widmet waren, so diese dem Nachfolger Karl I. — In allen diesen Schriften, die meistens in lateinischer Sprache versaßt oder, wo die Landessprache angewendet ward, ins Lateinische übersetzt sind, gibt sich ein fruchtbarer, durch Kühnheit der Gedanken, durch Zdccnreichthum, durch seltene Combinationsgabc, logische Klarheit und Ver standesschärfe hervorragender Geist kund. Hat Bacon auch nicht überall durchschlagende Wahrheiten ausgestellt, ließ ihn auch der Mangel des sittlichen Geistes nicht zur Er- kenntniß und rechten Würdigung der idealen Gebiete und Güter gelangen; hat er in seiner „Poetik" einen niedrigen Standpunkt eingenommen, indem er für die aus der Tiefe des Gemüthslcbens hervorströmcnde lyrische Dichtung kein Verständniß zeigt, die Poesie „nur als Spiegel der Welt, nicht als Spiegel der menschlichen Seele, nur als Abbild der Geschichte, nicht als Abbild des eigenen Gemüthes" auffaßt; ist er auch auf dem Gebiete der Naturwissenschaft, obwohl er dieselbe allem andern Wissen voranstellte, selbst unfruchtbar geblieben, indem keine Entdeckung von Wichtigkeit sich an seinen Namen knüpft, so hat er doch zuerst versucht „das Gewirre auf dem Gebiete der Wissen schaft mit selbständiger Kraft zu durchbrechen" und die gcsammte Crkenntniß mit gesetz geberischer Strenge in eine systematische Einheit und logische Ordnung zu bringen; so hat er doch zuerst den richtigen Weg gezeigt, auf dem allein eine Naturphilosophie zu wahren und praktischen Resultaten gelangen kann, und ist dadurch der Tonangeber und Urheber der ganzen neuern Erfahrungsphilosophie geworden. Wenn ein Naturforscher unserer Zeit (Licbig), von dem Vorurtheile ausgehend, daß aus dem völlig sittlichen Unwcrth von Bacons Charakter auf den eben so großen Unwerth seiner Leistungen geschlossen werden müsse, vom Standpunkte der empirischen Naturforschung aus Bacons