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24 Jordanis Gothengeschichte XII. 70—77. 70 sinken. Was muß das für eine Freude gewesen sein, da helden- müthige Männer, wenn sie die Waffen für kurze Zeit ruhen ließen, init den Lehren der Philosophie erfüllt wurden? Da konnte man sehen, wie der eine nach der Lage des Himmels, der andere nach der Beschaffenheit der Kräuter und Gesträuche forschte, dieser das Ab- und Zunehmen des Mondes, jener Sonnenfinsternisse beobachtete und sich bei der Erklärung beruhigte, wie sie, die nach Osten eilen wollte, durch die kreisförmige Bewegung des Himmelsgewölbes 71 erfaßt nach Westen zurückgebracht wird. Solches und vieles an dere theilte Dicineus den Gothen aus seiner Erfahrung mit und gewann so wunderbar hohes Ansehen bei ihnen, daß er nicht bloß das Volk, sondern sogar die Könige beherrschte. Er wählte aus ihnen die edelsten und klügsten Männer, unterrichtete sie in der Theologie und hieß sie bestimmte Gottheiten und HeiligthUmer in Ehren halten und machte sie zu Priestern; diesen gab er den Namen Pilleaten, wahrscheinlich, weil sie beim Opfern das Haupt mit einer Tiara bedeckt hatten, was wir Mous H nennen; das übrige Volk aber befahl er Kapillaten^) zu heißen, ein Name, den die Gothen hochhielten, und dessen sie noch heutzutage in 72 ihren Gesängen gedenken. Als aber Dicineus starb, erwiesen sie dem Komosikus die gleiche Ehre, weil er dieselbe Klugheit besaß. 73 Er galt ihnen wegen seiner Erfahrung für König und Priester zugleich und richtete die Völker mit großer Gerechtigkeit. XII. Als auch dieser aus dem Leben schied, bestieg Kvryllus als König der Gothen den Thron und herrschte über sein Volk in Dacien vierzig Jahre lang — ich meine das alte Dacien, das 74 jetzt bekanntlich die Gepiden bewohnen. Dieses Land, gegenüber von Mösien jenseits der Donau gelegen, wird von einem Kranz von Bergen eingeschlossen und ist nur von zwei Seilen zugänglich, I) L. i. xilsns Hut. — 2) Langhärigc, ei» Ausdruck, de» auch Köllig Theuderich in seinem Schreiben an die Schwaben (0ussioä. Var. IV, 4») gebraucht, um, wie es scheint, die freien Männer zu bezeichne».