VIII Einleitung. an diesen zu St. Gallen alle Gemüther so sehr beschäftigenden Besuch das Unternehmen einer zusammenhängenden Schilderung der Klostergeschichte sich anknüpft. Zu den bedeutendsten Kräften St. Gallen's zählte in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts der voran als Kloster lehrer gerühmte Ratpert. Aus Zürich stammend — „der erste Zürchergelehrte" r) —, ein fertiger Hymnendichter, Schöpfer eines Gesanges in deutscher Sprache über die Thaten des ersten Kloster heiligen, aber am meisten allerdings stets der Lehre zugewandt, scheint Ratpert eben 883 den Plan gefaßt zu haben, bis auf seine eigene Zeit den Fortgang seines Klosters zu erzählen: wenigstens ist es sehr bemerkenswerth, daß Ratpert nur noch ganz Weniges über den kaiserlichen Besuch und die für das Kloster daran sich knüpfenden Ereignisse hinaus mittheilt. Dem klösterlichen Geschichtschreiber mangelte es nicht an einer älteren Litteratur über die Anfänge seines Gotteshauses. Die mehreren, theilweise einer Ueberarbeitung durch den großen Gelehr ten Walahfrid unterworfenen biographischen Schriften, nämlich das älteste Leben des Gallus, dasjenige des Othmar, Schilderungen der an beide Heilige sich anschließenden Wunders, sind ja der Ausgangspunct der historiographischen Arbeiten der St. Galler. Aber daneben stand für die Zeit zwischen Othmar und demjenigen, was Ratpert selbst hatte mit ansehen können, eine bereits fest ge wordene Ueberlieferung zu Gebote, deren Inhalt dem Erzähler so sehr verläßlich schien, daß er da, sehr im Gegensätze zu seinen letzten Abschnitten, es völlig versäumte, die Urkunden des Archives heranzuziehen. Es ist nämlich unverkennbar schon in jenen ersten legendarischen Arbeiten, wie sie insbesondere von dem Diakon Gozpert, dem 1) Als solcher ist neuerdings Ratpert von G- R. Zimmerniann (Basel 1878) geschil dert worden. Diese mit vieler Liebe geschriebene, die neueren Forschungen einem wei teren Publicum zugänglich machende Arbeit tbut nur dem im Ganzen individuell wenig klar faßbaren Namen des Ratpert durch den Entwurf eines so breit angelegten „Lebens bildes m>s dem 9. Jahrhundert" zu viel Ehre an. 2) Geschichtschreiber d. deutschen Vor zeit, VIII. Jahrh. I. Bd.: Leben der Aebte Gallus und Othmar, übersetzt von Potthast.