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verschiedenen Rollen durch Umkleidung und Stimmwechslung ausgesührt werden, und der Dichter hatte sein Schema diesem Gesetz anzupassen, dessen Ueberschreitung sowohl die Rücksicht auf die kostenzahlenden Bürger, als auf die beurtheilenden Kampfrichter verbot. Unter den zahlreichen Nebenbuhlern, mit welchen Sophokles kämpfte, waren auch einige aus Aeschylos' Familie, der wichtigste aber Euripides, den er um Weniges überlebte. Euripides hat wenigstens 75 Dramen gedichtet, Sophokles wenigstens 113; jener hat nur fünfmal den ersten Kranz gewonnen, Sophokles zwanzigmal den ersten und achtmal den zweiten, während er zum dritten nie herabsank; denn die Gunst und Vorliebe des Publikums begleiteten ihn auf seiner ganzen Laufbahn, die er kurz vor dem Ausgang des peloponnesischen Krieges im I. 406 v. Ehr. einundneunzigjährig beschloß. Als liebenswürdigster, heiterer, klarblickender Mensch, als guter Bürger, als unbestechlicher Charakter war Sophokles in Athen hochgeachtet; er wurde mit Gesandtschaften und andern öffent lichen Diensten betraut, sogar neben Perikles mit einer Feldherrnstelle; auch erhielt er Einladungen von kunstliebenden Fürsten, denen er jedoch keine Folge gab, denn er war der Meinung: wer sich zu einem fremden Herrscher begiebt, der wird sein Sklave, wie frei er auch gekommen sein möge. Seine letzten Tage, sein Tod und Begräbniß sind in Märchen verkleidet, statt deren wir aus einem Chorlied des Oedipns auf Kolonos fein berühmtes Greisenwort mittheilen: Niemals werden hat weit den Vorzug; Geworden, desselben Wegs Hingeh'n, Dessen das Leben her- Kam, ist das Zweite — je eh'r, je besser! Denn Anfangs, wenn des Jngendmuths Leichtsinn blühet und Unbedacht: Was bleibt Lästiges fern und was Bricht Nicht Bitteres ein? Da ist Empörung, Mord, ist Hader, Krieg, Haß und Neid, bis daß an die Reihe Kommt das geschmähte, Haltungverlierende, Ohne der Liebe Trost hinwclkende Alter, mit all und Jeglicher Qual behaftet!