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mmwaüi, 25. lloormver IS«r»ip,i,« »»,«»!««. Nr. 5SS. Morgen-Nuggsde. Selk» 7. Kunst- AOUenschast und Unterhaltung Robert Mayer. Am 25. November ist ein Jahrhundert seit der Geburt des Mannes dahingegangen, den als Ent decker des Pringipes von der Erhaltung Ser Energie der bedeutende englische Gelehrte Tyndull den größ ten Genius des neunzehnten Jahrhunderts genannt hat. Fest begründet steht die große Lebensarbeit Nobeil Mayers heute vor uns. Alle die Kampfe um sie, die nun der Geschichte augehürcn. konnten nur klarer und gewaltiger das erscheinen lassen, rvas der Inhalt eines ganzen bürgerlich so ruhigen, im In nern jo tragischen Lebens gewesen ist. seine Lcqre ist Gemeingut geworden, und auch die wichtigsten An gaben aus hinein Leben ind heute weiten Kreisen bekannt. Es wird deshalb hier genügen, uns der großen Persönlichkeit des berühmten Entdeckers und dessen, was wir ihm verdanken, kurz zu erinnern. Julius Robert Mayer stammt aus Schwaden Las so viele große Männer unjerm Vaterlande geschenkt hat. Als Sohn e:nes Apothekers wurde er am 25. November 1814 in Heilbronn geboren. Er be suchte die Schulen mit mäßigem Er;olg und wählte dann die ärztliche Wrssenjchajt zu jenem Lebensbecuf. Nachdem er in Tübingen studiert und Kliniken in München und Wien besucht hatte, legte er 1838 in Stuttgart die Staatsprüfung ab. Das Jahr 1840 brachte ihm dann das große Ereignis seines Lebens auf einer langen Seefahrt, die er als Arzt eines holländischen Segehchlffes nach Java unternahm Die Hinfahrt dauerte 101, der Aufenthalt 108, dre Rück fahrt 121 Tage. Die Muße, die ihm hier sein Berus ließ, benutzte Mayer zu wissenschaftlicher Tatiaieit. Bei Aderlässen der Seeleute in Batavia beobachtete er die hellere Färbnirg des der Armoene entnomme nen Blutes, verglichen mit der Blutsarbe in nordi schem Klrma. Ec schloß daraus, daß der Derbcen- nungsprozeß mit Rücksicht aus die geringere Wärme abgabe nach außen nicht so stark wie im Norden sei. Weitere Fragen schlossen sich an, die gebieterisch in ihm nach Antwort verlangten. Bald ging es ihm, wie es allen den grogen Entdeckern und Erfindern zu ergehen pflegt, nicht er hatre di« Aufgabe, die Auf gabe hatte r y n: „Ich hing dem Gegenstände mit sol cher Vorliebe nach, vag ich wenig nach dem fernen Weltteil fragte, sondern mich am liebsten an Bord aufhielt, wo ich unausgesetzt arbeiten konnte, und wo ich mich in manchen Stunden gleich? rm in spiriert fühlte, wie ich mir zuvor oder später nie etwas Aehnliches erinnern kann." ^.Eine neue Welt von Wahrheiten" sah sein gestriges Auge vor sich ausgebreitet, und mit höchster geistiger Spannkraft Hal er in kurzer Zeit seine Ge danken in durch-gsarbe steter Form für alle Zeiten niedergelegt. Im Mai 1842 erschien der erste Aufsatz: „Be merkungen über die Kräfte der unbelebten Natur." Der Titel seiner 1845 erschienenen Schrift: „Die or ganische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel", ließ zunächst kaum ahnen, daß es sich hier um die grundlegende ausführliche Darlegung seiner Entdeckung handelte. Mayer wies in dieser Schrift auch darauf hrn, wie die auf der Erde ver brauchte Energie von der Sonnenstrahlung stamme. „Es war hierdurch, schreibt Ostwald in seinem Buche „Große Männer", nicht nur das Erhaltungsgesetz be gründet, sondern auch di« Energieökonomic der Erd« in ihren Gruirdlinien festzelegt worden. Hieran hat die weitere Entwicklung der Wissenschaft nichts zu ändern gefunden." 1848 erschien dann die dritte Hauptarbeit, die „Beiträge zur Dynamik des Himmels". Hier be handelt er das Problem oer Erhaltung der Sonnen wärme und die Wirkung von Ebb« und Flut auf eine Verminderung der Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde. Damit war das große Se.-affen im wesent lichen abgeschlossen. Dieier glücklichsten Zeit seines Lebens folgten bitter empfundene Kämpfe um die Anerkennung seiner Entdeckung. Harte Lcidensjahre lamen über iyn. Schwere Erkrankung, ein Sprung aus dem zweiten Stock seiner Wohnung auf die Straße in e'nem schweren F>eber, Bemch eines Sana toriums und zwungswei.e Unterbringung in einer Irrenanstalt, wo ihm die damals noch für nötig ge haltenen rohen körperlichen Zwangsmatzregeln nicht erspart wurden, sind einige Kapitelüberschriften sei ner Leidensgeschichte. Seine Natur siegte schließlich über seine Krank heit. ebenso wie die innere Wahrheit seiner Ent deckung über Gleichgültigkeit und Feindschaft. Die Universitäten und gelehrten Gesellschaften fingen jetzt auch an, ihm die äußeren Zeichen ihrer Anerken nung zu überreichen. Die Zeit war gekommen, von der Mayer schon in den ersten Jahren seiner Ent deckung an einen Freund geschrieben hatte: „Kommen wird der Tag. das ist ganz gewiß, daß die:e Wahr heiten zum Gemeingut der Wissenschaft werden." 1864 erschien die erste, 1874 die zweite Auflage seiner gesammelten Schriften. Am 20. März 1878 hat ein Lungenleiden ihn der Welt entrissen. Ein Jahrzehnt nach seinem Tode beschloß der Verein deutscher Ingenieure auf Anregung seines Württembergischen Bezirksvererns. als Zeugnis für die unsterblichen Verdienste, die sich Robert Mayer um Naturwissen chaft und Technik erworben hat, das erste Denkmal ihm zu errichten. Am 24. November 1889, dem 75. Gedenktage seiner Geburt, wurde das vor der Technischen Hochschule in Stuttgart errichtete Denkmal enthüllt. Wer die Arbeit und das Leben Robert Mayers in ihrer ganzen Größe auf sich wirken läßt, wird dem Schlußwort des Fcstvortrages von I. Weyrauch freudig zustimmen: „So zeigt sich also, daß wir von Robert Mayer nach verschiedenen Richtungen lernen können. Wenn ihn Tnndall. der weitblickende englische For'cher, den größten Genius des >9. Jahrhunderts nannte, wenn die heutige Naturwissenschaft und Technik auf feinen Schultern stehen, er ist nicht nur ein Bahnbrecher der Erkenntnis, ein Märtyrer der Wissenschaft, sondern auch ein Förderer des Gemeinwohls, ein charakter voller und guter Mensch gewesen. Sein Name wird neben Galilei, Keppler, Newton immer Heller durch die Jahrhunderte strahlen, ein Leitstern kommender Geschlechter, zum Ruhm« seiner Nation nnd seines geliebten schwäbischen Heimatlandes." 6. Untsabok. Konzert im Kaufhause. Drei junge Damen, eine Sängerin, eine Pianistin und eine Rezttatorin, waren in diesem Konzert, Lessen Reinertrag zu Weih nachtssendungen für unsere Krieger Verwendung finden soll, mit Erfolg bemüht, die zahlreich erschie nene Zuhörerschaft aufs beste zu unterhalten. In rechter Erkenntnis der ihr von Natur enMe^genen Grenzen hatte Fräulein Johanna Boehms Lieder gewählt, die ihrer stimmlichen Anlage und Vortragsweise sehr wohl entsprachen. Nur Edm. Kretschmers „Jung-Deutschland zog in« Feld hinaus" hätte sie nicht singen sollen. Denn das Lied will, um recht zu wirken, mit weit größerer Kraft vorgetragen sein, als Fräulein Boehmes kleiner Sopranstimme von sympathischem Klang zur Verfügung steht. Die übrigen Lieder von Paul Merkel, Beaer, Psitzner und vier Volkslieder aber wurden fein und anmutig vermittelt. Es ist eine f«ine, zierliche Kunst, die sie zu bieten vermag, eine Kunst, die allerdings nicht tief geht. Von schöner Wirkung ist ihr Piano. Reinheit der Intonation, deutliche Tertaussprache und sinn gemäße Deklamation seien als weiter« Do^üge ihrer gesanglichen Darbietungen angeführt. In Herrn MarLndwiq stand ihr ein musikalisch feinsinniger Begleiter zur Seite, der auch die von ihm bearbeitete Musik Cursch-Bührens zu dem Melodrama -Fahnen treue" aus» lobenswerteste ausführte S^r viel Beifall fand Fräulein Else Vogel für die mit modulationsfälliger Stimme nnd viel Empfinden ohne jedwede llebertrcibung vorgetragenen Dichtun gen von Martens, Zollern, Anthes ü. a. Eine in technischer Hinsicht bereits recht gut geförderte Pia nistin, die gut zu phrasieren verstand, lernte man kn Fräulein Marta Beierlein kennen. Nur mag sie in Zukunft etwas mehr Aufmerksamkeit dem Ge brauch des Pedals zuwenden. Liszts Rigoletto-Para- phrase gefiel so, daß die junge Künstlerin «ine Zu gabe gewähren mußte. (7. H. * Schiller-Verein (Literarische Gesellschaft) zu Leipzig E. B. Der 14. vaterländische Abend wird in Anerkennung der mannigfachen Unterstützung, di« von Bühnenkünstlern und Musikern den wohltätigen Zwecken dieser Abende gewährt worden ist, dem Kriegs hilfsfonds des Deutschen Bühnenvereins und dem Verein Leipziger Musiklehrer und Musiklehrerinnen gewidmet jein. Auserlesene Genüsse werden den Be suchern durch drei erste Berliner Künstler dargeboten. Der auch in Leipzig vom Publikum und Kritik hochanerkannte Pianist Arthur Schnabel spielt Schumann» Symphonische Etüden, feine Gattin Therese Schnabel-Behr, eine der ersten lebenden Konzertsängerinnen, trägt je vier Lieder von Schumann und Hugo Wolf vor und Mary Dietrich, vom Deutschen Theater, die in Leipzig bet der Uraufführung von Vollmöller» „Mirakel" di« Hauptrolle verkörperte, spricht Dichtungen von Goethe, Hölderlin und Rückert. Ten Bortrag des Abends hält der Intendant unserer städtischen Bühnen Geh. Hofrat Max Martersteig über das Thema „Krieg und Kultu r". — Karten sind zu den üblichen billigen Preisen rn der Lincke- schen Buchhandlung, Burgstr. 1-S, ru haben. * Emilie Herzog, von der vor einigen Tagen an dieser Stelle erzählt wurde, daß sie durch verschiedene Spenden an das Rote Kreuz und andere Wohltätig- keilsimutute dokumentiert habe, wie sie sich eins fühle mit deutschem Wesen und deutscher Art. ist von Geburt Schweizerin. Die Künstlerin wurde in Ermatingen in der Schweiz geboren und lebt, seit dem sie die Berliner Hosoper verlassen, rn ihrem Vaterland Frau Her-or hat in dieser großen Zett, in sehr sympathischem Gegensatz zu ihrem Landsmann Hodler, Deutschland, ihre geistige Heimat, nicht ver gessen. * Schauspieler Friedrich Encke s. In Belgien siel der Schauspieler Friedrich Encke, Offizierstellvertreter im Referve-Inianterie.Regiment 212. Er war der jüngste So« n des verstorbenen Berliner Bildhauers Erdmann Encke, des Schöpfers des Berliner Luisen- Denkmals. Encke war zuletzt am Neuen Schau spielhaus in Bremen tätig. * Neues von Klinger. Mar Klinger hat im Stile seiner letzten, aus der „Bugra" ausgestellten Radie- runasiolg» des „Zeltes" eine neue Radieruna ge schaffen, die dem eben erscheinenden zweiten Hefte des Jubiläumsjahrganges der „Zeitschrift für bildende Kunst" beigegeben ut. Ein nackter Mann versucht einen Felsen zu wälzen, gegen Len er sich mit gan>cr Kraft stemmt. Auf dem Zeisen sitzen die vier Frauen gestalten der Fakultäten, ein Zevpelinluitschifi zieht durch die Luft. Im Text des Heftes erzäblt Geheim rat Lehrs, der Direktor des Dresdener Kupferstich kabinetts, von dem rm letzten Mai verslordenen Alexander Hummel, der Klingers eifriger Förderer war, jein „Parisurteil" in seiner Billa in Triest angesichts der Adria aufstellte, bi» er e» der Wiener Modernen Galerie schenkte und an dessen Stelle Klingers aroge „Kreuzigung" aufhing. Lehrs druckt Hummels schönen Aeugerungen über Klinger ab und veröffentlicht die Zeichnungen des Meisters zu feinen monumentalen Gemälden. * Eine neue Uebeetragung von Aischylos'„Persern". In diesen Tagen, da wir eine tiefe Sehnsucht nach hymnischem Schwung empfinden, st» hi uns kaum eine antike Tragödie so nahe wie des Aischqlos Siegesgedicht ^Die Perser". Lion Feuchtwanger ver öffentlicht in den letzten Heften der „S chaubühn e" eine neue Uebersetzung. Soweit sie norliegt. ist der Eindruck sehr günstig. Sie hat einen inneren sprach lichen Rhythmus, der die Seele des Gedichtes er- greift. Dichterisch sicher im Ausdruck klingen die Worte. Wir spüren Aischylos, nicht die Uebersetzung. * Karl v. Berirab ß. Auf dem östlichen Kriegs schauplatz ist der Maler Karl v. Bertrab aus Cronberg gefallen, nachdem er kurz vorher n^ch das Eiserne Kreuz erhalten hatte. In Rudolstadt 1863 geboren, war er von der militärischen Lauibahn als Hauptmann zur Malerei gekommen. Gebildet unter Paul Pötzsch in Dresden und F. Brütt in Cronberg sowie auf vielen Reisen, besonders in Brasilien, widmete er sich, wie die „Kunstchronik" schreibt, mit besonderem Glück der Landschaft. Daneben unter nahm er es, seit einigen Jahren, im Auftrage des Frankfurter Kunstvereins, den dortigen Kunstnerein zu inventarisieren. * Haeckel» Wünsche für den Frieden. Wilhelm Ostwald bat in einer seiner „Monlftischen Sonntags- predigten^ seinen Hoffnungen für den Frieden Aus druck gegeben, die auf eine Vereinigung der Staaten Europas mit dem deutschen Kaiser als Präsidenten zielen. In bezug auf die Organisation des Land heere» werden dre Deutschen nach seiner Ansicht allen Nachbarn so überlegen sein, day es sür diese bei weitem am zweckentsprechendsten sein werde, auf Armeen ihrerseits so gut wie vollständig zu ver zichten und es Deutschland zu überlassen, die etwa noch erforderlich, Sicherheit nach Osten zu verbürgen. Auf dies« Aeußerunaen bin hat der Vorsitzende der Ortsgruppe Berlin de» Deutschen Monistenbundes, Dr. Otto Juliusburger, hervorragende Männer befragt, ob sie eine Internationale der Zukunft sür möglich halten oder glauben, daß Deutschland auch in Zukunft sich auf sich allein stellen müsse. Ernst Haeckels Antwort lautet: „Meiner Ansicht nach sind für die Zukunft Deutschlands und zugleich des verbündeten Kontinental-Europas wünschenswert folgende Siegesfrüchte: 1 Beireiung von derTyrannei Englands. 2 Dazu notwendig Invasion des britischen Seeräuderstaates ourch die deutsche Manne und Armee. Besetzung von London. 3. Belgiens Aufteilung, der größte Teil westlich dis Ostende—Antwerpen deutscher Bundesstaat — nördlicher Teil fällt an Holland, südöstlicher an Luxemburg —, ebenfalls deutscher Bundesstaat, vergrößert. 4. Deutschland erhält einen großen Teil der briti chen Kolonien wüste den Kongo staat. Frankreich mutz einen leit der nordöstlich an grenzenden Provinzen abtieten. 6. Rußland wird dadurch ohnmächtig, daß das Königreich Polen resst tuten und nut Oesterreich-Ungarn verbunden wird. 7. Die deut chen Ostseepcovlnzen fallen an das Deutsche Reich zurück. 8. Finnland wird selbuändiges König- reich und mit «schweben verbündet. Huock wrtulm luburat. — Die treffliche Broschüre von Wundt „Wahr hafter Krieg" enfipricht ganz meiner Auffassung." " Mangel an Röntgenröhren in Frankreich. Die in Amerika erscheinende „Science" vom 23. Oktober schreibt in ihren wissenschaftlichen Mitteilungen und 'Neuigkeiten: „Ter bekannte französische Phvüker Cb. Fabry von der FacultS des Sciences in Mar seille widmet sich der Röntgenstrahlentechnik im Interesse der im Kriege Verwundeten. Er lürchtet eine Erschöpfung der französischen Zufuhr an Röntgenröhren und hat an einen amerikanischen Freund geschrieben, um Fabrikanten und Händler aufsoroern zu lassen, sich wegen entsprechender Lieferungen mit ihm sofort tn Verbindung zu setzen und ihm Preste für Röntgenröhren für chirurgische Zwecke und sonstige Röntgenmalerialien für chrrus» gische Zwecke zu übermitteln." - Das Kopernikus-Denkmal für Allenstein. In diesem Oktooer sollte in Allenstein das Denkmal des Nikolaus Kopernitus ausgestellt werden, das Professor Johannes Gütz geichaffen hat. In Allenstein hat der große Astronom von 1517—21 gelebt und am dem Schlosse die Ländeceien des Domstists verwaltet. Run ist durch den Krieg die Aufstellung des Denk mals vorläufig verhindert worden. Sie wirb wahr scheinlich erst nach Beendigung de« Kriege» erfolgen. Denkmäler des Kopernitus stehen schon in Thorn, von der Hand Friedrich Tiecks, und in Warschau von Thorwaldsen. * Die Schriften Wilhelm Dilthey», des verstorbe nen berühmten Berliner Philosophen, werden nun gesammelt. Soeben erscheinen als zweiter Band unter dem Titel „W ettanschauung und Ana lyse des Menschen feit Reualsjance und Reformatio n" Abhandlungen zur Geschichte der Philosophie und Religion. Sie sind von Dilthey al» Ergänzung und Fortführung der „Einleitung in die Geisteswissenschaften" gedacht, die den ersten Band bilden soll. Der dritte Band wird dann die Arbeiten Dilthey» über Hegel und die nachkantische Philosophie bringen. Der vierte und fünfte Band sollen den systematischen Untersuchungen gewidmet sein. In dem vierten Bande werden unter dem Titel: „Dre geistige Welt" «eine verschiedenen „Versuche eine Zer gliederung des geistigen Lebens", d. h. die verschiedenen Darstellungen seiner philosophischen Grundanschauung wiedergegeben werden. Der fünfte Band soll die Abhandlung „Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geistes wissenschaften" durch Entwürfe und Fragmente aus dem Nachlasse ergänzen und durch eine „Theo- riedes geschichtlichen Werdens" das phi- losophische System zum Abschluß bringen. Der sechste Band ist als Nachlese zu den philosophischen Disziplinen gedacht. Außerdem wird noch ein be sonderer Band erscheinen, der als Parallele zu Diltheys Buch über „Erlebnis und Dichtung" seinen ästhetischen Ideen gewidmet und unter dem Titel: „Die Einbildungskraft des Dich ters" erscheinen soll * Hochschulnachrichten. Der Physiker Professor Dr. Georg Quincke in Heidelberg ist anläßlich seines 80. Geburtstages von der dortigen philo sophischen Fakultät zum Ehrendoktor ernannt worden. — Im Dienste des Vaterlandes ist in Köln der Vrivatdozent lür Zahnheilkund« an der Universität Marburg Dr. med Paul Reich, Hauptmann im Ersatz-Bat. des Resecoe-Jnf-Regt». 5L, gestorben. — Königreich Daheim. 30) Roman von Ada vou GerSvorff. Da kam er! Da leuchtete das Weiß verzolle! Ach Gott! Nicht die Jolle allein! Ein anderes, viel größeres Boot — und, ach Gott — Men schen schienen darin zu sitzen. Daß sie auch daran gar nicht gedacht halt«! Daß vom Schuf irgend jemand mitkommen, ein Doot ausgeschiclt würde, das sie vielleicht gleich mit hiuübernehmen sollte. Vielleicht waren sogar Frauen in dem großen, dunklen Doot! Bald — bald würde sie es erfahren! Sie war neben den Sessel des Kapitäns getreten, in ihrer freudigen Aufregung immer aus ihn einredend. „Ach, laß das doch, Kindl" sagte der alte Mann — fast streng, „man weiß ja gar nicht, was man mit all der törichten Freude und Se ligkeit ansangen soll, daß du ivisder in das .Hasten und Jagen der Welt da draußen, unter die Leute, unter die wilden, bösartigen, neidischen und lfabgierigen Menschen kommst! Wirst bald genug haben! Wirst dich bald nach „Daheim" zurücksehen, wenn du auf und ab in der alten Heimat kein — Daheim finden kannst, wo deine Seele Rul-e und Frieden findet. Aber laus nur, versuche nur... wir werden dir keine Träne nachwcinen," schloß er verdrossen. Sie hatte eine hastige Frage schon auf den Lippen, da knirschten die Boote auf dem flachen, stemigen Grunde. In dem Hellen saß Jarl, Tino und eine Fraucngestalt. In dem großen, dunklen Boot des fremden Schiffes zahlte sie drei Männer — sichtlich noch jüngere Leute. Nur der, der sich jemals in ähnlicher Lage befunden, der Gefangene, Verbannte, dem jeder Rückweg verschlossen in seine Heimat, zu seinen Mensch«.n, wer das tiefe, heimliche Grauen kennt, das den durchbebt, der den Begriff ewige Einsamkeit fassen soll und noch jung genug ist zu einem langen Leben, nur der kann nach fühlen, wie hoch Anna Scholastikas Herz schlug, als die Heimat ihr ihre Menschen entgegenschickte, sie wieder heimzuholeu. Sie konnte es nicht hindern, daß ihr die Tränen aus den Augen stürzten, als die Krau, eine ältliche Witwe, die zu ihren nach Singapore ausgewanoerten Verwandten reiste, ihr die Hände drückte, unter Schluchzen und Stammeln voller Ucberrasckung über das liebliche, junge Wesen, das sie hier auf dieser Insel fand. Auch die Männer, die jetzt heranlamen mit Jarl, ernst und erschüttert, waren Auswanderer, ein Dorf- sckulmeister mit klugem, feinem Gesicht, aber schmal und mager mit wach verträumten, brau nen Augen: der andere ein kühler, ernst aus sehender Mann, der daheim Bankerott hatte machen müssen, aber daun allen Gram abgeschüt telt hatte und mit seiner Frau und zwe: Töch tern hinausgezogen war, sein Glück in einer anderen Welt zu juchen, es aber nicht gefunden halte und mit diesem Dampfer heim wollte. Ter dritte war ein hunger Theologe, den seine freie Richtung in die Fremde getrieben hatte, um dort einen Hausbesch zu erwerben mit dem Rest seines kleinen Vermögens und ein Siechenhaus oder eine Handwerkcrschule. — seine Verwandten gehörten verschiedenen Zweigen daes Handwerks an — zu bauen. Ec hatte seine Mutter bei sich, die einst Wirtschafterin auf einen: großen Gute gewesen war, sich nach dieser landwirtschaftlichen Tätigkeit immerfort sehnte und keinen Ersatz in dem fremden Lande gesunden hatte. Sie stiegen an Land, die Boten der Heimat. Uno nun kam das Wunderliche, das Anna Scholastika sprachlos machte. Sie vernahm, daß sie alle, die in den Booten mit herangekommen waren, wahrscheinlich ihre Weiterreise unter brechen würden, und auf der einsamen Insel bleiben. Und dann setzte man sich zusammen zum Mahle — zu allem Schönen, was die Insel bot, der prachtvollen Schildkrötensuppe, dem großen, lachsähnlichen Fisch, den zarten Riesen muscheln mit den feinen, gelben Palmenblatt- spitzchcn und dem goldgelben Gemüse aus einer Schote, die große, wohlschmeckende st'örner ent hielt, ähnlich süßlichem Mais, dem Braten einer jungen Ziege nebst einem großen Korb der herr lichsten verschiedenen Früchte. Mit dein ganzen Feuereifer der Neulinge ließen sie die vom langen Schiffslcben im Zwischendeck abgespannten Augen wandern. Der Theologe hielt eine Tischrede, in der die Poesie, der Zauber des Abenteurerlebens, der hochgemute Reiz der Freiheit und Selbstbestim mung zu ihrem Rechte kamen. Man sah Jarl den hohen Genuß, wieder ein mal mit gebildeten, nicht unbedeutenden Män nern, wie Liemann, dem Geigenbauer Holltein und vor allem dem feinfühligen, stillgütigen Schullehrer und mit einer herzensgesunden, deut schen, mütterlichen Frau, der rundlichen, blon den .Holsteinerin, des jungen Gottesgelehrten Mutter, zu verkehren. Sein llebergewicht — das bestechende Herreubewußtsein und Herrschcrtaleut des Arztes, sein festes Wort, seine gesunde, durch und durch starke Persönlichkeit wurde sofort er kannt und anerkannt. Das treueste Händeschütteln, der verständige und verständnisvolle Blick Auge in Auge, das zögernde Fragen und Forschen, das heitere, ge sunde Frauenlacl)«n „Mutter Lottchens" oder „Pastormuttchens" belebten ihn. Und desgleichen Vater Sammetmann, der Pastormuttchen schnell seine größten Sympathien versicherte. Anna Scholastika laß grollend und erbittert einsam abseits im dunkelsten Dickicht des Busches, bei den Schildkröten und Igeln des Teiches, und fühlte sich verlassen und ausgestoßen wie nie im Leben. Niemand suchte sie, niemand vermißte sie, sogar ihr Mann nrcht, der die Hand Mutter Lottchens hielt, die scherzend bedauerte, daß sie nicht 20 Jahre jünger sei und daß der Doktor chon eine Frau habe. Da hatte sie ihn ernst und inster werden scheu, und euie Handbcw.gung, so tolz abweisend, so geringschätzend, das; sie nvch iefer in dem grüngrauen Schatten des Busches verschwand, in die Einsamkeit — unverstanden, ungeliebt, unbewundert, unnütz und beiseite ge schoben. — Auch der Kapitän, der gute, treue Vater Sammetmann ließ sie gleichgültig gehen und wegbleiben und selbst der Hund, der sie sonst lieb hatte und sich iveuigstens dicht au ihr Kleid setzte, wenn sie einsam war, als wollte er sagen: einer muß dich dock beschützen! kürn inerte sich nicht um sie und suchte sie nicht. Hätte sie nur den finsteren Blick ihres Mannes, der ihrem Wegschlcichen folgte, und jein befehlendes: „Hierher!" sehen und hören können, als das treue Tier ihr nachwollte. Mochte sie gehen, die Hochmütige! Weshall, und warum sollten wir sie wohl vermissen!? Nur stören konnte ihr Hochmütiges, bleiches Ge. sicht, ihr trotziger, kühler Blick die gute», ver, nünftigen Menschen! Anna Scholastika sah aus ihren Tränen nnd Traumen auf. Ihr Maun war nicht mehr unter den Fremden, das Boot vom Wrack fort. Bon ungefähr kam der alte Sammetrnann des Wegs am Busch vorbei und sagte im Vorübergehen: „Was weinst du denn, du kannst ja jetzt bald gehen! Es hält dich ja niemand!" „Ach, geht oenn niemand mit in die lieb^ alte Heimat? Nicht Sie — Vater Sammetman» — nicht . . . nicht Doktor Jarl." „Ich geh« nicht mit dir. Ob er mit dt« geht, das frage ihn selbst, oder besser, das bitte ihn selbst, Tochter. Aber sonst brauchst du dich nicht zu fürchten! Der hält seinen Pakt mit dir, die Bedingung in dein Heiratskontrakt. Du bist frei — so gut wie gar nicht verheiratet." „Wo ist er denn?" „Wo dein Mann ist? Such ihn dir! Wird freilich wohl nichts nützen! Er ist nack den: Schiff, es lichtet in der Nacht noch die Anker nach Deutschland. Ich vermute, daß er dir einen Platz bestellt." „Fragte er nicht nach mir?" stammelte s:c bang. „Er fragte nicht und hat auch nicht an dich gedacht! Sitz nur weiter hier. Denn eö nötig ist, dein Fortkommen zu ordnen, wird er kommen." (Fortsetzung in der Abendausgabe.)