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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.04.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-04-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191804219
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19180421
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- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19180421
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
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Jahr
1918
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Monat
1918-04
- Tag 1918-04-21
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Monat
1918-04
-
Jahr
1918
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Kunst * Wissenschaft * Leben Eine Hundertjährige: Grillparzers „Sappho" Don Wilhelm Widmann. (Nachdruck verboten.) Vor hundert Jahren trat eines der schönsten Gebilde dramatischer Dichtkunst int szenische Leben: Am 21. April 1818 empfing Grill parzers Metsterschöpfung .Sappho' im Wiener Bucgtheatec unter dem stürmischen Beifall einer tief ergriffenen Zuschanermenge dio Vahnenweihe. Schon vorher hatten einige Dramatiker das Liebes- letd und tragische Ende der lesbischen Dichterin behandelt, aber erst Grillparzer meistert« den aus Hellas überlieferten Stoff: ihm blieb es vorbehalten, der uralten Sage unverwüstliches dramatisches Leben ein- .zuhauchen. Während die älteren Dramen rasch in Vergessenheit ge rieten, ist seine .Sappho' heute, hundert Jahre nach ihrem ersten Er scheinen, noch allgemein gefeiert und bewundert, haben ihre bestricken, den Netz« noch keine Einbuße erlitten, und im Vollbesitze ihrer Schön heit und ihres Ruhmes tritt sie Ins zweite Jahrhundert ihres Daseins ein. Ein Wiener Freund, Dr. Felix Joel, hatte Grillparzer auf den Stofs aufmerksam gemacht und ihm nahegelegt, daraus ein Opernlibretto für den damals sehr beliebten Joseph Weigl, den Komponisten der .Schweizerfamilie', zu gestalten. Grillparzer erklärte sedoch, daß der Stofs für «in Libretto zu gut sei, er wolle eine richtige Tragödie daraus machen. Wit Begeisterung ging er an die Arbeit, die er binnen wenigen Wochen bewältigte. Während Grillparzers geniales Erstlingsdrama .Die Ahnfrau' seiner gespenstischen Motive wegen viel heftigen Widerspruch erfuhr, fand .Sappho' gleich bei seinem Erscheinen fast einmütige Anerkennung und Bewunderung. .Großartig und erhaben', nannte Lord Byron das Sapphodramla, als er es in ter Sorellischen Uebersetzung kennen lernte. Der Name des Wiener Poeten schien ihm weniger erhaben; er bezeich nete ihn als teuflisch, aber — .man wird ihn aussprechen leinen müssen', fügte er in richtiger Erkenntnis der dichterischen Kraft Grillparzers hinzu. Ludwig Börne, der scharfsinnige Frankfurter Kritiker, war einer der ersten, die Grillparzers große Bedeutung erkannten. Schon in der .Ahnfrau' hatte er den Flügelschlag des großen Dichkergcnius gespürt, bei der .Sappho' und dem .Traum ein Leben' pries er laut und herzlich das aufsteigende Drchlergestirn. .Soll ich sprechen von dem holden Zauber in allen Reden unseres Dichters?', rief er aus, .von dieser bald wilden, bald glühenden Farbenpracht, von der Schönheit und Wahrheit seiner Bilder, von der Tiefe und Wärme seiner Empfin dungen? . . Grillparzers Dichtungen sind wie die Gewächse des süd lichen Himmels, die Blüte und Frucht aus einem Zweige tragen.' Auch Schreyvogel, Heinrich Heine und viele andere bedeutende Männer be grüßten die neue Dichtung mit warmen Lodeswoclen. Unter den we nigen Gegnern tat sich der Dramatiker Adolf Müllner hervor, der aus kleinlichem Reid in verschiedenen Zeitungsaussähen den Mert der Grillparzer schen Dichtung hämisch herabsetzte. Zu dem außerordentlichen Bühnenerfolg in Wien bei dec Urauf führung im Burgtheater trug dre großartige Leistung der genialen Tra gödin Sofie Schröder in der Titelrolle wesentlich bei. Der Wohl saut ihres kraftvollen Stimmorgans, die reife Kunst ihres Vortrags, das Feuer ihrer Rede, die Plastik ihrer Bewegungen und dis tragische Wucht ihres Spiels wirkten zu einem überwältigenden G famteindruck zusammen. .Ich glaubte, die Sappho der Vorzeit lebhaft vor mir zu sehen', berichtete der damals in Wien weilende schwedische Dichter Atkerbom: .so habe ich in meinem Leben nicht Verse deklamieren hören: die ganze Musik der Poesie in ihren feinsten Nuancen, all der proso- dlsche und rhythmische Zauber, der vor des Dichters Ohr erklingt, wenn seine Verse hervocstürzen, vereinigte sich hier mit einer äußerst schönen, vollen, und jede Seite der Seele anschlagenden Stimme. Der Kuimino- tionsvunkt ihrer Deklamationskunst war eine Hnmne an Aphrodite. Wese Hnmne rezitierte sie mit einer an Gesang grenzenden Aussprache und begleitete sie dazu auf der Ha cf». So ungefähr muh die wirkliche Sappho, so Corinna ihre Gesänge vorgekragen haben . . . Dieser Abend war einer der schönsten meines Lebens!' Neben der Schröder zeichnete sich besonders die anmutige Frau Wilhelmine Korn als naive Melitta aus. Maximilian Korn gab den Phaon, Johann Reil den Rhamnes, und Babette Lesdbre die Eucharis. Von Wien aus machte .Sappho' bald die Runde üb»r die deutschen Bühnen, zumal da Sofie Schröder bei ihren zahlreichen Gastspielen die Sappho mit Vorliebe gab. Mik der Schröder sand die Tragödie in München, Frankfurt, Dresden und mehreren anderen Stadien Eingang. In Weimar, wo Goethe kurz zuvor von der Direktion des Hosthealers zurückgetreten war, ging .Sappho' am 5. September 1818 zum ersten Male über die Bühne. Hier glänzte Caroline Jagemann (Frau von Heygendorfs in der Hauptrolle. Von den zahlreichen Tragödinnen, die in den folgenden Jahrzehnten in der Sappdorolle sich auszelchnelen, seien hervorgehoben: Charlotte Birch-Pfeiffer, Julie Gl«y-Rettich, Auguste Crelinger, Marie Beyer- Bürk, Lila v. Bullowsky und Auguste Baison. Im Wiener Burglhealer kam die Rolle, die inzwischen durch mehrere Hände gegangen war, rm Jahre 1867 an die geniale Charlotte Musikstudenten 6) Roman von Paul Oskar Höcker. Lspyrlghi lSli b» 2. Engrldvlnl Aachf. Er summte auf dem Nachhauseweg und im Treppenhaus das eigenartige, besonders rhythmisch so srifch zupackende Fugenthema vor sich hin. Als er dann aber die Tür ausstieß und — wie stets — über einen der Notenstapel stolperte, brach er jäh ab: er sah Nikoleit nebenan aus dem Bettrand sitzen, die Ellbogen aus die Knie aus gestützt, das Antlitz ganz vergraben in die krampfhaft ineinander verschlungenen Hände. Warnekroh trat in den Türrahmen. «He, Sie, Nikoleit! — Bert! — Robert Nikoleit!' Der jung« Mensch fuhr auf. Feindselig, haßerfüllt sah er ihn an. «Wo haben Eie denn gesteckt den ganzen Tag?' Nikoleit antwortete nicht. Er schleuderte den Notenband, der neben seinem Schlapphut und seinem ärmellosen Havelock auf dem Bett lag, in die Ecke, erhob sich schroff und ging stampfenden Schrittes zum Dachfenster. Hier streckt er beide Arme aus, so daß seine Hände die weißgetünchten Wände des kleinen Erkers be rührten, und starrte hinaus. Di« Sonne war schon hinunter. Doch über den Dächern des Häusergevlerts, das den Neuen Markt vom Schlohplah und Lust garten trennte, stand eine ganz unmöglich rote Wolke. Sie wirkte wie die glühend« Wand eines Rlescnosens. In der Mitte unter das Feuerloch: der Ausgangspunkt von tausend elektrischen Strahlen. Die Ränder der im lichten Blau schwimmenden Wolke waren vielfach gezackt, Risse und Sprünge, durch die das Licht si stehlen wollte, gab S auf der ganzen Fläche. So ein Bild hatte sie oft poetisch gestimmt. Besonders gegen Monatsschluh hin, wo andere Anregungen unerschwinglich waren. «Also haben wir nicht Prima abgeschnitten bei einer hohen Obrigkeit?' meinte Warnekroh trocken. In Nikoleit- Brust arbeitete es. Man sah's an den Umrissen, wie sein schlanker Oberkörper mit dem charakteristischen Kopf sich gegen de» lichten Abendhtmmel abzeichnete. Noch immer schwieg er. Lr kämpfte mit sich — gegen sich- Aber »löblich wandte er sich am and stieß verzweifelt aas: «Nirgends hab ich Hilfe! Niemand versteht »ich! Es wär« ja bester, ich hätte nie eine Note ge schrieben Wolter, die als Sappho ihr« höchsten Triumphe feiert« und am 4. November 1895, kurz vor ihrem Abschied von der Bühne und vom Leben, zum letzten Male darin auftrat. Durch Schönheit, Wohllaut und tragische Gewalt gewann ihre Sappho den Ruf einer mustergültigen, unübertrefflichen Kunstschöpfung. Mit hinreißendem Schwung trug die Wolter Grillparzers Verse vor. Unnachahmlich schön und feierlich, ab getan des Irdischen, hinaufgrhoben zu den Göttern, klomm Sappho- Wolter den leukadischen Felsen zum TodeSsprunge hinan. Noch bei ihrem letzten Auftreten al^ Sappho begeisterte die Künstlerin, obwohl sie bereits stark gealtert war, die Wiener zu stürmischen Ausbrüchen der Bewunderung. In München und bei Gastspielen auf zahlreichen deutschen Bühnen übte Klara Ziegler, dank ihrer imposanten Er scheinung, ihres markigen und wohllauicnden Organs und ihres idea listisch-pathetischen Spiels als Sappho mächtige Wirkung, wenn auch ihrer künstlerischen Individualität die dämonische Medea noch bester zu sagte. Franziska Elmenreich, Pauline Ulrich, Magda Jrschilk, Gertrud GierS, Anna Haverland, Agathe Barsescu, Marie Pospischil, Rosa Poppe, Adele Sandrock, Luise Dumont und Jose fine Rottmann zählen ebenfalls zu den vielacfeierten Sappho-Darstellerinnsn und haben sich um die Pflege der Grillparzerschen Dichtung Verdienste erworben. Eine der fesselndsten Sappho-Darstellerinnen der neuesten Zeit. Adele Dors, ist leider vor kurzem auf der Höhe ihres KunstwirkenS aus dem Leden geschieden. Im sitzlen Jahrzehnt hat die Zahl der Sappho-Aussührunqen auf deutschen Bühnen eine auffallende Steigerung erfahren. Den 23 Auf führungen im Cpielsahr 1899/1906 stehen nach der Statistik des Deut schen Bahnenvereins 69, also drennal so viel«, im Spicljahr 1911/12 gegenüber. Diese hocherfreuliche Zunahme verdankt Grillparzers Tra gödie hauptsächlich den wieder in Aufnahme gekommenen Freilicht - bühnen, auf denen sie rasch heimisch und beliebt wurde. Zunächst erlebte sie tnr Harzer Bergthcaler bei Thale mehrere erfolgreiche Auf führungen, wobei sich die Nalurszenerie vortrefflich bewährte. 1911 wurde daS Freilichttheater bet Aachen mit .Sappho' eröffnet: im gleichen Sommer feierte .Sappho' in dem herrlich am Vierwaldstätter- See gelegenen Freilichttheater Hertensicin bei Luzern mit Frau Höcker- Bchrens neue Triumphe. Im Sommer 19l2 nahmen die Naturtheater bei Oybin, Allenstein und Ilmenau Grillparzers Trauerspiel in ihren Spielplan auf, und im Sommer 1913 folgten etliche Darstellungen aus der Freilichtbühne zu Badenweiler, bei denen Agnes del Saito sich alo Sappho besonders hervortat. Wenn nach dem Kriege die inzwischen eingekrelencn Störungen der Freilichttheaterbetriebe wegfallen, wird die schöne Dichtung gewiß noch weitere Ausbreitung finden. Auch seitens der geschlossenen Bühnen erfreut sich das vor hundert Jahren inS Leben getretene Werk in der neueren Zeit steigender Brückslch- tigung: fein diesjähriges Jubiläum wird voraussichtlich zaylreiche Büh nen zur Neueinstudierung veranlassen. .Sappho' gehört zu jenen Meister dramen, deren aufmerksame Pflege Ehrenpflicht für jede hoch strebende Bühne sein sollte. Jene herrlichen Wort« der Sappho in ihrer Abschiedsrede gelten heute auch dem Dichter selbst: Erhabne, heilge Götter! Ihr habt mit reichem Segen ihn geschmückt' In seine Hand gabt Ihr deS SangeS Bogen, Der Dichtung vollen Köcher gabt Ihr ihm. Ein Herz zu fühlen, einen Geist zu denken. Und Kraft zu bilden, was er sich gedacht: Ihr habt mit Sieg sein würdig Haupt gekrönt Und ausgesät in weitentsernten Landen DeS Dichters Ruhm: Saat für die Ewigkeit! ES tönt sein goldnes Lied von fremden Zungen Und mit der 'Erde nur wird «S einst untergehn! Der Meister der Tonpfychologie Zum 7Y. Geburtstage Earl Stumpfs am 21. April. Geheimrat Carl Stumpf, der Leiter des psychologischen Instituts der Berliner Universttäl, arbeitet noch heute mit der Lebendigkeit eines Jünglings bei seinen Apparaten und Versuchen: soeben hat er die lange Liste seiner Werke um ein« umfangreiche .Untersuchung über die Natur der Vokale und ihre Synthese' und um eine theoretische Arbeit .lieber die Eigenschaften der psychologischen Vorstellungen' bereichert, die als Akademie-Abhandlungen erscheinen werden: während des Krieges hat die Stumpf unterstellt« Anstalt eine vielseitig« wissenschaftliche Tätig keit im Hinblick aus Zwecke der Heeresleitung «ntsattet, die in über raschender Weise fruchtbare Beziehungen der experimentellen Psycho logie zu militärischen Aufgaben aufwieS. Stumpf, als Sohn eines Arztes zu Wiesentheid in Unkerfranken geboren, studierte zuerst in Würzburg Recht, ging dann aber, seiner Forschernalur folgend, zu den Naturwissenschaften über und trieb gleich- zeitig philosophische und theologisch« Studien. Als Zwanzigjähriger be stand er in Göttingen die Doktorprüfung, dann wurde er, nach kurzer Privatdozentenzeit an dieser Hochschule, als Fünfunüzwanztgjäyriger als ordentlicher Professor der Philosophie nach Würzburg berufen. Je einig« Jahre wirkie er dann an den Hochschulen zu Prag, Halle und München und seit 1894 ist er in Berlin ordentlicher Professor der Philosophie und Leiter des psychologischen Instituts der Universität Sein Hauplforschungsgebiet ist die Psychologie der Töne. Sett bei» grvßangclegten, grundlegenden Werke .Tonpsychologie' (1888/llO) gilt Stumpf als unbestrittener Meister der psychologischen Akustik. Wie alle seine psychologischen Untersuchungen sind auch die tonpsychologtsch« ausgezeichnet durch vorbildliche Sorgfalt der empirischen Untersuchung u^d durch analytische Schärf«: überall führen sie zur Gewinnung neuer, fest begründeter Gesetzmäßigkeiten, und in der gesamten gegenwärtigen Psychologie dürste cs kaum Untersuchungen von strengerer Wissen schaftlichkeit geben. Am bekanntesten aus diesem Gebiete sind Stumpfs Entdeckung der Tonverschmel.zung und seine hierauf gründende Lehre der Konsonanz. In einer großen Anzahl zum Teil recht umfangreicher Abhandlungen hat Stumpf dieses Forschungsgebiet bis in die jüngsten Jahre weiter ausgebaut: seit zwei Jahrzehnten erscheinen seine eigenen Arbeiten und Aibciten seiner Schüler zum Teile in den von »hm heraus gegebenen .Beiträgen zur Akustik und Musikwissenschaft'. Ein Sonder gebiet verdankt Stumpf besonders große Fö.derung: die vergleichenden Untersuchungen über Entwicklung und Ursprünge der Musik im Zu sammenhangs mit der Frage nach den psychologischen Wurzeln dieser Entwicklung. 1885» erschien Stumpfs .Musikpsychologie in England': es folgten Arbeiten über Lieder der Bellakulaindianer, über mongolische Gesänge und (190!) über dos Tonsystem und die Musik der Siamesen; 1892 veröffentlichte Stumpf seine Untersuchung über .Phonographierte Jndianermelodicn': alle diese Forschungen erwiesen sich als außerordent lich fruchtbar, und im Jahre 1904 veranlaßten sie Stumpf zur Gründung des .Phonogrammarchivs', das vorbildlich für ähnliche Anstalten in der ganzen Welt wurde. Dieses Archiv, von Stumpfs Schüler und Mit arbeiter Professor v. Hornbostel geleitet, hat durch Forschungsreisen bisher über 6000 phonographlsche Urkunden zur Musik der Naturvölker und der Kulturvölker anderer Kulturkreise gesammelt und eine Reih wertvoller Arbeiten aus diesem Gebiete veröffentlicht, unter denen Stumpfs 191 l erschienenen .Anfänge der Musik' hervorgehoben sein mögen, ein Buch, das die bis dahin erzielten Ergebnisse zusammenfaßt. Andere Gebiete der Psychologie verdanken Stumpf ebenfalls wich tige Förderung. Schon 1873 erschien sein wichtiges Buch über den Ursprung der Raumvorstcllung: spätere Arbeiten behandeln den Begriff der Gemütsbewegung, die Gefühlscmosindungen und die Gesichts empfindungen, und auch auf dem Felde der angewandten Psychologie bat sich Stumpf erfolgreich betätigt, wie seine Schriften über Kinder- Psychologie zeigen. Auf dem Gebicte der allgemeinrn Psychologie liegt sein Merk .Leib und Seele " (1903), m dem er die Begründung einer Theorie der Wechselwirkung im Gegensatz zum Parallelismus liefert. Seine allgemein-psychologischen Forschungen gipfeln in dem 1906 er- schienenen Werke .Erscheinungen und Funktionen', das eine prinzipielle neue Grundlegung der Psychologie enthält. Sappho im Alten Theater am 20. April 19'18. Die Tragödie der Frau, die, mit Genie gesegnet, auf das Glück des Weibes verzichten muß, wurde gestern durch Susi Stollberg verkörpert. Voraussetzung jeder Sapphodarslellung wird es sein, die Bedeutung der Dichterin glaubhaft zu machen, dies kann nicht nur in -er Er scheinung geschehen Susi Stollberg verfügt über die erforderliche In telligenz, und eine gewisse Kühle des Tonlichsn kommt zuweilen dem Wesen dieser Gestalt entgegen. Denn es ist innere Einsamkeit um sie, und ihre Liebe zu Phaon ist Sehnsucht, jene zu besiegen. Auch die Leiden Sappbos hatten in einzelnen Entladungen Echtheit, wenngleich die vielleicht allzu spielend gehandhabte Technik manchmal sich zwischen Empsindui und Wirkung zu legen drohte. So bleibt auch Aeußerliches. nicht hinreichend Durckgelebtes: und immer wird die Darstellerin danach streben müssen, den Vers zu tragen, nicht sich vom Verse tragen zu lasten: auf Strecken verliert sie sich doch noch an Deklamatorisches. Dagegen stark war sie im kaum bezwungenen Zorne gegen Melitta, da, wo sic ihre Tragik zu härteren und geschärften Tönen schleift und gegen die Liebenden erbitterte Morte zückt. Für die Ent- Wicklung dieser sehr begabten Darstellerin wird darauf zu achten sein, daß gegenüber den technischen Werten die innerlichen das Uebergewicht wahren. Katharina Kocks Meliktion — sie war das .liebe Kind mit stillem Sinn' — kann niemand Sympathie versagen. Dennoch wird eS noch viel zu lernen geben. Gang, Bewegungen der Hände und Arme sind noch unfrei. Sehr schön ließ sie die zarte, mädchen hafte Hilflosigkeit in der ersten Szene mit Phaon lebendig werden. Aber an anderem werden Schwächen der technischen Sicherheit und Mangel an Verwandlungsmöglichkeilen des Ausdrucks doch greifbar gespüri, so daß es strenger Arbeit bedürfen wird, um diese liebenswürdige Er scheinung uns wirklich voll zu gewinnen. Mag ihre Anmut so un erkünstelt bleiben wie sie ist, und nie, wie leider so oft, allmählich zu be wußter Pose erstarren! Kurt Hänsels Phaon hatte recht gute Momente, dann nämiich, wenn er einfach, ohne Ueberfpannungen stck an den seelischen Gehalt hingab. Gerade in natürlicher Rede gerieten ihm feinere und tiefere Differnzicrungen. Dagegen verirrt er sich noch immer leicht in die Kalle Sphäre sprachlicher Unnatur, wenn er die Stimme hinausschraubt, den Atem stößt und die Worte eintönig hervor- böllert. Hellmut-Bläm stellte einen ehrlichen Rhamnes. Adolf Winds hatte das Spiel durch eine wirkungsvolle Szene gerahmt, farbig, wie sie die Sinnenfreude des Griilparzerschen Wortes fordert. Friedrich Erbrecht. Inzwischen griff Warnekroß nach dem Notenheft und durch blätterte es. Es wies nur wenig Korrekturen auf. «Was wollen Sie, Alterchen? Das ist ja noch ganz gnädig abgegangen. Und darum Mord und Totfchtag?' «Darum?' Nikoleit zuckte die Achseln. «Meinetwegen hält' er in dem Zeug noch zehnmal mehr Fehler finden dürfen. Das hätte mlch nlcht gegrämt. Daß ich den strengen Satz noch nicht be herrsche, das weiß ich doch.' «Haben Sie ihm auch von Ihren früheren Sachen vorgespielt?' «Ja. Ein paar Lieder. Dann meine Konzertphantasie.' «Nun, und was sagte er?' «Nichts. Er lächelte gnädig verzeihend. Und endlich meinte er nur: Nun, wenn Sie noch zwei Jahre Kontrapunkt gearbeitet haben, dann schreiben Sie das nicht mehr.' «Darin hat er recht. Fraglos. Die Sachen wimmeln ja von Fehlern." «Ja, wenn er bloß auf das Schulgemäße achten kann —! Ich hungere doch nach einem einzigen guten Wort. Lohnt es über haupt, daß ich welterarbeite? Ich kann doch nlcht lange Jahre für einen unsicheren Versuch hinopfern. Mir brennt es unter den Nägeln. «Verwirren Sie sich nicht,' sagte er. «Vergessen Sie Ihre früheren Versuche. Denken Sie vorläufig nicht anders als im reinen Sah.' «Recht hat er. Das predige ich Ihnen doch auch immer.' «Und ihr peinigt mich damit. Ihr verlangt etwas Unmögliches. Ich kann mich zwingen, solanaich Fugen schreibe, an alle Regeln und Gesetze zu denken. Aber Musik ist das für mich nlcht. Das sind für mich bloß Rechenexempel — Schachaufgaben.' «So. So. Heiliger Strohsack. Also Bach, Johann Sebastian Bach, der ist ntch 1 Musik für Sie?' «Ich bewundere ihn. Aber mein Herz packt er nicht.' «Weil Sie überhaupt kein Herz haben. Sie Lausbub!' Warnekroß nahm ln seinem Zorn Nikoleits Schlapphut vom Bett aus und schleuderte ihn dem Ketzer an den Kopf. «Bach — Rechen exempel, Schachaufgaben! Fünfundzwanzig aofzählen sollt' man Ihnen! — Der gräßliche Wagnerl — Sehen Sie, die große Gefahr, die der verflixte Giftmischer für Sie bedeutet, die hat der Professor aus Ihren früheren Arbeiten herauserkannt. Darum gibt er Ihnen den guten Rat, nur Kontrapunkt zu arbeiten. Auch nur zu denken darin.' «Und wenn ich träume? Wenn s in mir kltt^t? Wenn ich neuen Motiven folge, neue Harmonien höre? Soll denn all das nicht mehr für mich auf der Welt sein, was mir Freude macht? Nur noch das, was ich hasse, was mir die ganze Musik verleidet?' Quark. Das bißchen Schuriegeln gehört zur Erziehung. Dos ist gesund. Noch ein Jahr Kontrapunkt — oder anderthalb, höchstens zwei — und Sie haben den Diabolus in sich überwunden. Dann sollen Sie schreiben, was Sie wollen.' «Ein Jahr — anderthalb — zwei Jahre! Nein, nein, nein, nein, das halt' ich nicht aus! Lieber verzichte ich auf alles!" «Nikoleit! Sie alter Querkops!' Erschrocken setzte er hinzu. «Haben Sie das etwa auch zum Professor gesagt?' «Ich kam ja gar nicht dazu, etwas zu erwidern.' «Ein wahres Glück. Aber er hat doch gesagt, daß er sich für Sie interessieren will, wie?" «Ja." Zögernd berichtete er: «Er hat mir in Aussicht gestellt, ich könnte eine Freistelle aus der Hochschule bekommen. Mit dem Freiherrn von Herzogenberg hatte er auch schon über mich ge sprochen und ihm meine Kompositionen gezeigt. Der wollte mich als Schüler annehmen.' «Und Sle jubeln nicht? Nikoleit, Sie Erzhalunke, Ste jubeln nicht? Das ist doch ein Glück ohnegleichen! Die ersten Musik professoren von ganz Deutschland — ach was, von der ganzen Welt — machen Ihnen so ein glänzendes Anerbieten . . . Sind Sie Herzogenberg vorgestellt worden? Wie war er? Reden Sie doch. Ein wundervoller Mensch, wie? Still und sein . . . Was hak er Ihnen gesagt? Hat er die dreistimmige Motette gelesen?" «Ja. Gerade davon spracy er. Ich muhte sie singen hören. Ob ich nicht ein Terzett zusammenbringen könnte: Alt, Tenor und Baß. Beim Einüben und beim Hören lernte man am allermeisten.' «Klug ist das, sehr klug. Da rächt sich nämlich gleich jede Un reinheit im Satz. Gerade wie bei -er Orgel. Weiter, weiter. Seien Sie doch nlcht so maulfaul, Nikoleit.' Er l eß sich jetzt jede- Wort abzwtngen. Aber Warnekroh gab nlcht nach. «Zu ällig kam gerade der Ralth zur Stunde. Wissen Sle: -er aus Sptttas Kolleg. Den fragte der Professor, ob er nlcht ein paar junge Leute kenne, die Eingstimme hätten. Es wären keine Berusssänger nötig, nur musikalisch müßten sie sein. Und -er darauf gleich: ja, das liehe sich machen. In einer Pension wären zwei Hochschüler, dte viel Duette übten. Vielleicht hülfe auch seine Schwester mit. Dle ist Schülerin von der Schulzen von Asten ^Fortsetzung t» -er nächste» Abend-An-gäbei
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