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BAROCK. Im gewöhnlichen Leben versteht man unter Ba rock etwa verblüffend, unverständig oder verschroben; auch nannte man so im 17. Jahrhundert die unregel mäßigen Perlen, aus denen kleine groteske Figuren gemacht wurden. Es ist nun kein Wunder, daß die spätere klassizistische Zeit diesen Ausdruck auf die ihr unverständliche Kunstepoche angewandt hat, denn die in derselben entstandenen Kunstwerke mußten ihr verschroben und barock im absprechen den Sinne erscheinen, während sie dem Zeitgenossen eben die moderne Kunst war. Allerdings trifft dieser Ausdruck das Wesen der Sache, wenn er auch nur eine Seite heraushebt, daher eigentlich mehr auf das spätere Rokoko paßt. Im Gegensätze zum ruhigen Ebenmaße des Klassi zismus und der Renaissance herrschte hier Lebendig keit und Unruhe, die sich im Rokoko bis zur be wußten Einseitigkeit steigerten. Der Klassizismus, ebenso die Renaissance beruhigen das Gemüt, das Barock läßt den Geist nicht zur Besinnung kommen. Bei Betrachtung der Formen der klassischen Antike, der Renaissance und des Klassizismus kann man den nüchternen Verstand bewahren und dennoch Befriedigung über die feinsinnige Umschreibung von Kraft- und Lastverteilung, über die sinnigen An spielungendes reinen Ornaments empfinden, während das Barock, mit nüchternem Verstände betrachtet, ohne jede Wirkung bleibt. Es ist daher dessen Hauptaufgabe, den Verstand zu überwinden, ja durch plötzliche Gewalt zu überrumpeln und den willenlos Folgenden durch immer neu gesteigerte Mittel nicht zum Erwachen gelangen zu lassen. Es ist das Barock eine Autosuggestion, die allerdings nicht eine all gemeine war, denn es sind viele Glieder der euro päischen Völkerfamilie gar nicht von ihr berührt worden. In der Renaissance, teils auch in der nordischen Spätgotik, gewann eine mehr vernunftgemäße Auffas sung über die Möglichkeit einer Erreichung der un bedingten Harmonie aller Lebenserscheinungen schon in dieser Welt die Oberhand über die mittelalterliche Auffassung, den Schwerpunkt des Lebens in ein un bekanntes Jenseits zu verlegen. Daher mußte auch die Annäherung an die Antike als ganz natürlich erscheinen, denn diese dachte ebenso. Als die Kirche sich in Katholizismus und in Protestantismus teilte, übernahmen die nördlichen, hauptsächlich die kal- vinischen Völker die Fortsetzung der Renaissance bewegung entsprechend ihrer kühlen, nüchternen Verstandesrichtung. Allerdings ging es auch in den katholischen Ländern seinen Gang, doch nicht gleich mäßig in allen Schichten der Bevölkerung. Man will nicht alles verstehen, man überläßt sich mit einer gewissen Inbrunst den dunklen Gedanken an das Unendliche, Unfaßbare, Unerklärliche und doch ewig Lebendige. Es kommt daher etwas Unfreies, Schweres und Gedrücktes in die künstlerischen For men, wozu noch etwas Aufwühlendes, fast Gewalt tätiges kommt. Es ist das dumpfe Leben ein Kenn zeichen der frühen Barockkunst und der ihr voran gehenden Spätrenaissance. So ist der dumpfe Schmerz der Gestalten von Michelangelo Ergebung in die Ver zweiflung, ebenso die regellose Architektur desselben aus späterer Zeit, ebenso ist es bei dem Ohr- und Knorpelwerke in der Architektur und besonders im Ornamente, das die klaren Renaissanceprofile ver drängt. Ebenso stehen damit die aus dem Dunkeln ins Helle arbeitenden Künstler, die sogenannten Kellerlichtmaler, mit diesem Streben nach dem Un ergründlichen, aus dem nur einzelnes hervorleuchtet, in Verbindung. Nachdem das Barock in Italien, Spanien, Süd- und 'Westdeutschland, Belgien siegreich eingezogen ist, prallen die Gegensätze in den Niederlanden auf einander, wo sich die Grenze zwischen deutscher und französischer Volksart befindet, und vom romani schen Klerus und romanischen Adel wird eine kul turelle Romanisierung ins Werk gesetzt, während Frankreich infolge seiner inneren Zerrissenheit noch abseits steht. Der Gegensatz zwischen dem katholi schen und aristokratischen Belgien und dem kal vinistischen und bürgerlichen Holland wird in Rubens und Franz Hals personifiziert. Im Anfang hat das Barock etwas Schweres und Nieder drückendes an sich, doch tritt mit dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts an die Stelle des dumpfen Empfindens das Gefühl hinreißender, schwärmeri scher Begeisterung, des Schwelgens in einer neu er worbenen Ernpfindungs- und Kun st weit von über natürlicher Größe, Kraft und Lebendigkeit. Vom späteren 16. Jahrhundert bis zum letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ist Italien, wenn es auch wirtschaft lich im Rückgang sich befindet, das führende Land, während mit der durch Ludwig XIV. Frankreich verliehenen politischen Suprematis dasselbe auch in der Kunst in den Vordergrund tritt, wodurch schließ lich auch der Norden, insbesondere England und Norddeutschland bis zu einem gewissen Grade dem Barock zugänglich werden, was wohl auch eine Felge der allmählichen Verweltlichung des ursprüng lich rein kirchlichen italienischen Barocks war. Natürlicherweise machen sich im Norden zahlreiche ältere Überlieferungen geltend und wirken umgestal tend auf die italienischen Barockformen. Vielfach ist das Barock mit großer Geringschätzung behandelt worden, daher weist dessen Erforschung große Lücken auf, besonders schwierig aber ist es, ein genaues Bild des Barocks auf deutschem Boden zu geben, infolge der Zerrissenheit Deutschlands in religiöser und po litischer Beziehung. Dazu kommt der 30jährige Krieg gerade in der ersten Entwicklungsperiode und die da durch hervorgerufene Verarmung und Verrohung, in Österreich die Gefahr der türkischen Einfälle, welche jedes freie Schaffen lahmlegen mußte. Unter diesen Umständen war an eine einheitliche Ent wicklung der Kunst nicht zu denken. Es ist aller dings zu verwundern, daß Deutschland trotz seiner politischen Zerrüttung sich wirtschaftlich und kul turell so schnell von den Folgen des 30jährigen Krieges erholt hat. Im allgemeinen kann man sagen, daß der Süden Deutschlands und Österreichs von