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gelernt. Wie nun der einfache Menschenverstand mir zu thun 534 gebietet, schreibe ich Dir, indem ich mich auf die Lage der Dinge berufe. Was hast Du nur, lieber Gelimer, daß Tu nicht nur Dich, sondern auch Deine ganze Familie in diese verzweifelte Lage gebracht hast, nur um nicht Unterthan zu werden? Du handelst sehr unüberlegt, wenn Du die Freiheit für ein so hohes Gut hältst, daß Du ihretwegen all das Traurige Deiner jetzigen Lage auf Dich nimmst. Du glaubst wohl gar nicht, jetzt den Armseligsten der Mauren unterthan zu sein, indem Du die Hoff nung frei zu bleiben — im günstigsten Fall — auf sie setzest! Wäre es nun nicht in jeder Beziehung immer noch besser als Unterthan unter den Römern zu betteln, als auf Pappuas und über Mauren Herr zu sein? Mit Belisar zusammen demselben Herrn unterthan zu sein, das scheint Dir natürlich als eine Schande, die alles Maß übersteigt! — Weg mit solchen Ge danken, mein bester Gelimer! Rühmen nicht etwa auch wir, die wir gleichfalls adliger Abkunft sind, uns jetzt, dem Kaiser zu dienen? Auch meint man, der Kaiser Justinian habe vor, Dir den höchste» Rang, das sogenannte Patriziat zu verleihen und Dich in die Liste der Senatoren eintragen zu lassen, auch Dir ein großes und schönes Besitzthuin nebst reichlichen Einkünften zu verleihen, und Belisar wolle sich dafür verbürgen, daß Dir dies alles wirklich zufalle. — Was Dir das Schicksal Übles an- gethan hat, kannst Du mit edlem Anstande ertragen, wenn Du meinst, daß Du als Mensch das, was von dort kommt, als nothwendig hinnehmen mußt. Wenn nun das Schicksal bestimmt hat, Dir in dies große Unglück einiges Gute hineinzumischen, würdest Du etwa glauben, es nicht ohne Besinnen annehmen zu dürfen? Oder sollen wir etwa nicht denken, daß das Schicksal ebenso wie das Böse so auch das Gute uns beschert? Das muß ja selbst der Unverständigste einsehen. Tu bist natürlich jetzt, wo Du im tiefsten Unglück sitzest, verwirrten Sinns. Denn 5'