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Und wer vertheidigt den wankenden Thron, wer hemmt den stets aufs Neue, immer mit erneuter Kraft heranfluthenden Strom der Barbaren? Wer sind die römischen Feldherren, die römischen Soldaten jener Zeit? Ebenfalls Barbaren, meist germanischer Ab kunft, die mit der römischen Sprache und Kriegskunst zwar nicht römische Bildung, wohl aber römische Gesinnung eingesogen haben. Auch das Christenthuin lag noch im Kampfe mit jenem alt römischen Wesen, das in der Idee des Imperiums seinen letzten Ausdruck gefunden hatte. Äußerlich hatte ja das Kreuz gesiegt; aber seit der Ausbildung einer Staatskirche, wie sie im Orient sich immer schärfer abgrenzte, gelangten die sittlichen Grundgedan ken der neuen Religion nicht zu gedeihlicher Entwicklung, traten vielmehr zurück, um äußerer Werkheiligkeit, gedankenlosem Gebets formelkram und den ödesten, dogmatischen Streitigkeiten Platz zu machen, welch letztere mit einer ost unlauteren und jedenfalls un christlichen Leidenschaftlichkeit, mit Mord und Blutvergießen ausge- fochien wurden. Gerade diese Entartung der christlichen Religion und ihrer berufenen Diener zu all dem äußeren Elend, der ewigen Furcht vor den Barbaren und den habgierigen Beamten des all mächtigen Kaisers mußte auf die Anschauungsweise wie Charakter bildung der Menschen jener Epoche einen höchst ungünstigen Ein fluß ausüben. Gewiß aber ist es nicht zu verwundern, wenn gerade diejenigen, denen die alte Herrlichkeit des Römerreichs leben dig vor Augen stand, die sich an den Bildern der ruhmreichen Vergangenheit, wie sie von griechischen und römischen Schriftstellern überliefert waren, labten, daß diese sich nur äußerlich zum Chri- stenthum bekannten, dem, als der Staatsreligion, sie sich nicht entziehen konnten, und mit Vorliebe den Anschauungen der alten Weltweisen und Geschichtschreiber huldigten, wenn sie nicht in trost losen Fatalismus oder haltlose Skepsis verfielen. An der Spitze des Staates stand der Kaiser Justinian, von Geburt ein Illyrier niederer Herkunft, ein Mann, nur auf die Erhaltung