Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.09.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192509196
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19250919
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19250919
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-09
- Tag 1925-09-19
-
Monat
1925-09
-
Jahr
1925
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
8oLo«d«»6, «teo IS. Septemdex L.elprig« T »gedlatt S«tt« S Der MblemtW LchMer Smliz Wie ij» t« Mur. tie zmueleliii »U ter ZumNe nrlikiuu Wir veröstentltchen tm folgenven «ine wettere Aus- wa-l aur den Antworten auf unsere Anfrage „wie verbringt Leipzig seinen Sonntag?- und schlichen damit di« Veröffent- lichungen über dies« Umfrage ab, di« manche An- regung gegeben hat. Di« Rc». Wie man in Leipzig seine» Sonntag verbringt? Das kann nur Junggesellen Sorge machen UnL um tic>'e Frage für den verheirateten Mann löst, will ich, eine glückliche Mutter und Gattin, unseren Sonntag beschreiben Unser Sonntag beginnt eigent lich schon Sonnabend Abend, wenn mein Mann in gehobener Stimmung aus dem Amt heimkehrt und unsere beiden Großen, 6- und 8-jährig, mit uns ausnahmsweise das Abendbrot einnehmen drüfen. Der Sonntag Morgen bringt dan» die Fortsetzung. Ium Frühstück gibt es festlichen Kuchen und nach dem mein guter Mann sein Sonntagstageblatt ge lesen und seine Sonntapszigarre dazu geschmeucht hat, setzt sich unsere kleine Karawane, fünf Mann hoch, den» auch unter Kleinchen in seinem Wägelchen ist mit auf der Partie, nach dem Rosenthal zu in Bewegung. Wie schön solch ein Sonntagsspazlergan" im Rosenthal mit seinen festlich gekleideten Men- schen ist, brauche ich einem Leipziger nicht erst zu beschreiben. Fröhlich kehren wir heim, zum guten Sonntagsschmaus. Ist der vorbei, streckt sich mein Mann behaglich auf dem Sofa aus. in der einen Land die glgarre, in der anderen die Zeitung. Ich lass» mich mit einer Handarbeit an seiner Seite nie- der und wir halten unseren Sonntagsschwatz, bis meinem guten Mann darüber die Augen zufallen. Ein halbes Stündchen schlummert er. Dann wecke ich ihn mit einem liebevollen Kuß. Es ist Zeit zum Nachmittagskaffee, schon höre ich unsere lieben Gä ste, Schwager und Schwägerin und eine» alten Onkel, auf der Stiege. Herzhaft wird Kaffee und Kuchen zugesprochen Ist unsere kleine Gesellschaft satt, setzen sich die Herren zu ihrem Skat und wir Frauen ziehen uns in eine Ecke mit unserer Handarbeiten zurück Häufig bleiben unsere Gäste auch zum Abendbrot, es gibt Brote, Bier und Tee, und um 1l> Uhr kriechen wir hochzufrieden in die Federn,, fallswir nicht als festlichen Abschluß tcs Tages ein Kino oder ein Theater aufsuchen. Gas ist unser Sonntag. Und ich glaube, ich kann mit den Worten schließen: Trautes Heim, Glück allein. ssrvu K. Der Sonnlay ist der einzige Tay in der Woche, vcn dessen Verlaus eigentlich niemand etwas ',u wissen brauchte. Aber trotzdem liegt kein Grund zur Verschwiegenheit vor, denn gerade der Sonntag pflegt sich überaus harmlos abzuspielen. Am Morgen schlafe ich länger als sonst — und wer viel schläft, sündigt fa weniger. Am Sonntag nehme ich mir zu allen Dingen, vor allem auch zum Mittagessen, mehr Zeit als sonst. Dann folgt das Mittvgschläfchen, das ich mir an den übrigen Tagen verkneifen muß. Ich freue mich über die Menschen, die sich am Sonntag tu der Statur abjagen und ziehe mich in meiner Häus- lichkeit aus allerlei Zeitvertreib zurück, der abseits non geschäftlichen Dingen liegt. Es ist der Tag des Aufräumens, an dem man sich in seine persön lichen Beziehungen vertieft und Briefe an Frermde zu erledigen sucht, die meistens schon monatelang auf Erledigung warten. Aber man kommt wirklich zu nichts, durch Störungen mancherlei Art wird einem rncht einmal der Sonntagsfrieden gegönnt. Das Telephon ist am Sonntag bisweilen das lästigste Instrument. Man kommt manchmal nicht von der Strippe los; Tonte möchte zum Spaziergang einladen, Onkel Edivard sicht einen Begleiter ins Theater, ausgerechnet am Sonntag, getreue Freunde fordern zum Kaffeesbat auf und so fort. . . . Die Bimmelei hat kein Ende! Denken Sie, was mir letzten Sonntag passierte, natürlich auch am Telephon. Halboh — wer dort! Lier Störungsstelle, würden Sie nicht so freundlich sein, die Schnur an Ihrem Hörer einmal abzumessen? Bei uns ist etwas nicht in Ordnung. Große Auf regung im ganzen Haus, bi» endlich im Nahmaschi- »entasten das Metermaß gefunden und di« Messung erfolgt war. Hören Sie noch? Also ein Meter zwanzig. So — so, lautete die Antwort, müssen Sie aber ein« lange Leitung Hoden. Wenige Minuten später klingelte es wieder. Was meinen Sie, was man von mir wollte? Eine verstellte Stimme meldete sich, der man ein verhaltenes Lächeln anmerken konnte: Ach Sie entschuldigen, können Sie mir vielleicht sagen, .wieviel der Mond nackt wiegt'? Nun war aber dos Maß voll, vor Wut brachte ich nicht die gebührende Antwort heraus, ließ den Hörer neben dem Apparat liegen, um ihn ungefährlich zu machen, und legte mich wieder aufs Ohr. Nur so konnte ich mich vor werteren Störungen retten; aber der Sonntag war auch inzwischen vorübergegangen. —red. Zwanzig still« gesammelte Menschen um einen langen, alten Eichentisch Rings an den Wänden Bücher. Bor uns die Heilige Schrift —: das ist unser Sonntagnachmittag. Diese kleine Gemein- schäft ist eine wahr« Gemeinde Gotte». Dort dec Alte, von einem fröhlichen Lächeln verklärt, das man so selten auf den heutigen Gesichtern sieht, putzt schon voll Ungeduld die Brillengläser. Reihum wird ge lesen, und der Pastor, der an der Spitze der Tafel sitzt, erklärt, deutet, stellt Fragen und führt in dis Tiefe des Gotteswortes. Ls geht dabei so heiter zu wie in einem Familienkreis, ein jeder kennt den andern, man fühlt die Uebereinstimmung der Seelen. Hier ist kein fremder Beobachter, kein anders ge arteter Mensch. Mag draußen auch die Welt in be- sinnungslosem Tempo vorüberhasten und über uns altmodische Menschen spotten, wir spotten ihrer nicht, daß sie, von Genuß zu Genuß jagend, doch so leer und freudlos bleiben . . . Der Bibelstunde schließt sich der gemeinsame Kirchgang an. Besonders im Spätherbst die Adventssonntage sind stiller Freuden voll, au« denen man gefestigt in den Werktag hinein geht. «. p. * Wie ich den Sonntag in Leipzig verbringe, fragen Sic. Ich wär« Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir eure Anleitung geben wollten. Bis jetzt habe ich nur herausgefunden, daß man sich in Leipzig Sonntags langweilt. U. k. * Wie verbringt die Junggesellin ihren Sonntag in Leipzig? Statt diese Frage zu beant worten, möchte ich sic mit einer Frage erwidern: Was soll die alleinstehende berufstätige gebildete Frau am Somrtag in Leipzig anfangcn? Ich bin aus des lieben Herrgotts Paradies- gärtlein, dem Rhemas», an den Pleihesirand ver schlagen und habe die schönste Natur hinter mir ge lassen, die der liebe Gott in einer Sonntagslaüne stir die Menschen geschaffen hat, und die man bei schönem Wetter allein, mit Freunden, Angehörigen, zu Fuß, Nad, Auto, Eisenbahn, Schiff durchstreifte, während man bei schlechtem Wetter bald Besuch bei sich sah, bald die andern besuchte. Da wurde vorgclesen, musiziert, Handarbeiten gemacht, erzählt, gelacht, Kaffee getrunken, kurz, der Sonntag war schneller herum als einem lieb war und endete regel mäßig mit Plänen für den nächsten Sonntag. And nun in Leipzig d. h. Leipzig kann ja nichts dafür, daß ich hier keine Menschen- icele kenne und deshalb daraus angewiesen bin, der Natur ihre allerdings bescheidenen Reize allein ab zugewinnen. 'Nun — solange die Sonne scheint, ist's wirklich nicht so schlimm. Aber wenn's regnet? Menn der Winter kommt? Also: Man steht spät auf, frühstückt nach sehr eingehen der Toilette ausgiebig b«i gründlicher Zeitungs lektüre. Dann folgen der Stadtbummel und das Mittagessen, da- jeden Sonntag in einer andern Gaststätte eingenommen wird, damit Abwechslung ist. Dann aber fängt der Stumpfsinn schon an: In der nicht übermäßig gemütlichen, grabesstillen möblierten Bude sitzen und Strümpfe stopfen oder elegische Briefe an die Freunde in der Ferne schrei ben. Lesen macht keinen Spaß, weil der Beruf schon die ganze Woche über zur Beschäftigung mit der Literatur zwingt. An Vergnügungsstätten ist ja, wie ein Blick aus die Anzeigen in der Zeitung be lehrt, kein Mangel. Aber welche soll die „gebildete junge Dam« aus gutem Hause" davon aussuchen? Meistens geht's dann doch ins Theater oder K'no. Also bitte, was soll ich tun, soll ich eine Anzeige aufgeben: „Dame mit guter Garderobe sucht aus richtig« Freundin" oder: sucht Ausnahme in „gemüt liches Kränzchen', oder „möchte Theaterverein bei treten' brrrrrü! Ich bin froh, wenn'- wieder Montag ist! Aber, wie gesagt, Leipzig kann wirklich nichts dafür, ich bin selbst dran schuld, ich hätte ja nicht herzukommenbrauchen! Or. 0. S. * Für mich ist die große Frage: Wie überwinde ich die Melancholi« des Großstadt-Sonntagnachmittage. (Den Sonntvgvocmittag läßt man in süßem Nichts tun zwischen den Fingern zerrinnen.) Nach txm Mit- tagsschlas, so um fünf herum, naht die gefährliche Stund«, der tote Punkt des Sonntags. Zum Glück gibt es ein« segensreiche Erfindung, sicherlich dazu geschaffen, um die Sonntagsnachmittags-Melanchalie zu vertreiben: Der Fünfuhr-Tan»tee. An Stelle der merkwürdigen Stllbenangst, Vieser See- krankheit zwischen den vier Wänden, der man beson ders leicht in diesen trüben Herbsttagen erliegt, abendliche Lichtfülle aus Seidenlampen — draußen dämmert noch der Tag — mehr oder weniger elegante Menschen, Mokkaduft und das bißchen Lebensheiter keit des Tanzes, das man so bitter nötig hat. Man tanzt ein paar Schritte, freut sich der Schlankheit eines Mädchen», das man fünf Minuten vorher nicht gekannt hat und fünf Minuten später nicht mehr kennen wird, und ist in dieser abgedämpften Atmo sphäre ein, -uei Stunden ganz komfortabel geborgen. Wenn man dann fvrtgeht, ist es draußen schon Nacht und der Sonntag hinüber. V tt. * Ich finde den Leipziger Sonntag herrlich. Wenn man den Frühzug nach Berlin verschlafen hat, kann man nichts Wichtiges mehr verpassen. Ist das »richt sehr nervenbernbigend und erholsam? —»t. * Sonntag in Leipzig? Ich finde, daß die Stadt selbst und ihr« Umgebung nicht den entscheidenden Einfluß auf die Sonntagsmenschcn arlsüben, wie vielfach behauptet wird. Gewiß, es wäre ga,»z nett, wenn der Scherbelbera einige tausend Meter höher oder die Elster und Pleiße mit ihren Nebenflüssen etwas breiter gerate»» wären. Aber wer weiß, welche Absichten der liebe Gott verfolgt hat, als er Leipzig an die Gestade der Rietschke legte. Uebrigens, ich war nahezu zirei Jahre in München und habe in »»einem Bekanntenkreis die Feststellung gemacht, daß ein großer Teil die Schönheiten dieser Stadt weniger in der nahen Seen- und Bcrgwclt sah, als vielmehr in den Bräus. Nun, an denen fehlt es ja auch »n Leipzig nicht. Entscheidend für »neu» Vergnügen sind die Menschen, mit denen ich verkehre. Da ich Jung- geselle 6m, so wird es jeder in der Ordnung finden, daß ich mein« Bekannten, wenn es sich uin das reine Vergnügen handelt, in der Damenwelt suche. Zwei Hindernisse stellten sich dabei ein. Einmal ist es sehr, sehr schwer, in Leipzig eine wahre Freundin zu fin den, di« nicht sofort b«i der Bekanntschaft auf den unsinnigen Gesetzes- und Gesellschastsparagraphen „zwecks späterer Heirat' besteht. Und als ich meine Freundin gefunden hatte, ein kluges, prächtiges und sehr achtbares Mädchen, da stellte sich prompt die zweit« Schwierigkeit «in: die Wirtin. Meine Freundin und ich müssen beide schwer schaffen, um anständig durchs Leben zu kommen, so sehr, daß auch die freien Alltagsabende mit Stndieren und Heim- arbeit ausgefüllt sind. Rur ain Sonntag machen wir uns frei. Solange schönes Wetter war, ging es raus in die Natur. Nach Naunhof, Wurzen, Grimma, auch einmal in die Horch, als gewiss« Kreise uns wcismachten, man solle sich beeilen, wenn man Wert darauf lege, den letzten Baum umkippen -u sehen. Aber jetzt kommt der Winter. An die Stelle dec Flur tritt die Wohnung. Selbsiverständttch habe ich meine Freundin eingeladen, mich am Sonntna nachmittag zur Teestnnde zu besuchen. Den Krach meiner Wirtin hätte man hören sollen, und man hat ihn gehört. Doch nur einmal geschah cs. Sie ge- stattet den Besuch von 4 bis 8 Uhr. Und nun habe ich meinen Sonntag. Eine»» wirk- lichen Feiertag. Das „Tageblatt' fragt mich als seinen Leser: Wie ich den Sonntag verbring«? Ich hüte mich, dies zu erzählen. Nur ein Wink an alle ledigen Mitleser, die ihren Leipziger Sonntag schön verbringen wollen: Machen Sie's mir nach! — p. AI. S Für mich als älteren, alleinstehenden Mann ist der Sonntag von jeher ein Problem gewesen, um bcsse» Lösung ich mich ebenso gewissenhaft wie um die Unsterblichkeit oder die Willensfreiheit bemüht habe. Denn die Einteilung unseres kurzen Lebens ist, ohne Scherz, eine bedeutsame Sache. Meine Bemühungen waren aber, wie bei den beiden anderen Problemen, bisher ohne rechten Erfolg. Ich habe in dec Frage der theoretischen Lösbarkeit resigniert, begnüge mich mit dem praktischen Kompromiß und bin so nach und nach zum Pessimisten geworden. Was loll man am Sonntag in Leipzig tun? Was soll ich in Leipzig beginnen? Die Öffentlichkeit meide ich, „sonntäglich' gekleidete Menschen sind mir ein Greuel. Ich wundere mich gar nicht darüber, daß die meisten Selbstmorde am Sonntag geschehen. Am liebsten habe ich es immer, wenn mir eine kleine Reise über diese Pause, in der alles stillsteht, hinweg hilft. Der schönste Moment am Sonntag ist für meinen Geschmack stets der, wenn mich am dlb/nd mit dem SchIasdie unbewußte Gewißheit umfängt, den toten Punkt des sozialen Rhythmus überwunden zu haben. Nach meiner Meinung sollte man den Sonntag ab sch affen und an jedem Tage einem Siebentel aller Arbeitnehmer freigeben. Auf diese Weise ent- fiele»» die peinlichen Begleiterscheinungen des Sonn- tags, ohne daß die Wirkung eines Ruhetages auf gehoben würde. L. Ballet mit Propeller-Begleitung Paris bekam sie zu hören, eine besondere Art horizontaler Musik. Sie wird von dem seltsamsten Orchester der Welt ausgeführt. Es besteht aus 16 mechanischer» Pianos, 8 mit Elektrizität gespielten Xylophonen und 4 Aeroplan-Propcllern. Dieses Orchester exekutierte George Antheils neues „Ballet Möcanique", das ein Bild des traurigen Sklavenlebens der Neger in Amerika ist. Zu de» Uraufführung war der junge amerikanische Komponist George Antheil nicht erschienen, denn er befindet sich gerade im dunkelsten Afrika, um primitivste Rhythmen an der Quelle zu entdecken. Seine Anwesenheit war auch nicht unbedingt er- forderlich. Elektrizität sreibt das Orchester. Es braucht keinen Dirigenten. Man horte schreckliche Ausbrüche der Brutalität der menschlichen Natur und entsetzliche Manifestationen einer noch brutaleren Maschinenwclt. Keinerlei Melodie besitzt diese Musik, sie besteht aus zerrissenen, taumelnden, hackenden, stampfenden Rhythmen, die sich bekriege»» und über rennen und tausendfach verschieden sind, direkt aus Afrika importiert und zum Teil so kompliziert, daß man kaum begreift, wie mai» sie überhaupt auf- zuzeichnen vermochte. Die Zuhörer waren tief ergriffen und beweinten das Los der Neger. Begeistert von der neuen Kunst < »var vor allem James Joyce, der Revolutionär der Prosa, der dein Konzert ebenfalls beiwohnte. Er wird in Zukunft des Wortes nicht mehr bedürfen. Denn besser und eindringlicher als alle Worte werden i Dampfhämmer und Schiffssirenen nicht sagen, sondern ! heulen und brüllen, was wir sind und wollen, kcku. MWiWMtt Bon Univ.-Prof. Geheimrat «»n» V»itzln«»r (Halle). In aller Welt bekannt ist da« schlechte Verhältnis, ü» welchem Schopenhauer zu seiner Mutter ge standen hat. Diele Gegner der Philosophie haben sich dies Mißverhältnis zunutze gemacht, indem sie darauf glaubten Hinweisen zu müssen, daß ein Mensch, der mit seiner Mutter s»^ so schlecht verstanden habe, ein schlechter Mensch sein müsse, dessen Philosophie deshaco auch nichts taugen könne. Dies »st sogar der Grundgedanke einer Broschüre, die vor vierzig Jahren der damal weitbekannte Bonner Philosophieprvfeffor Jürgen Bona Meyer erscheinen ließ. Selbst sein viel geistreicherer Freund, der Literarhistoriker Rudolf Hayn» in Halle, blies in dasselbe Horn. Hatte es doch letzterer Zustande gebracht, in seiner sonst so be deutenden Schrift »wer die „Romantische Schule' den Namen Schopenhauers zu übergehen, des wcchren und eigentlichen Philosophen der Romantik. Jener ganzen Generanon fehlte das Verständnis für Schopenhauers Größe, dessen Charakter man gerne verkleinerte, in dem man ihn als schlechten Sohn seiner bedeutenden Mutter hin-ustellen liebte. Die heutige Generation, bei welcher „Schopenhauer al» Erzieher' noch Nietzsche» Vorgang seine segensreiche Wirkung aus geübt hat, hat ein weit richtigeres Verhältnis zu dem großen Frankfurter gewonnen, dessen einzige Größe immer deutlicher erkannt wird. Der Weltruhm des Sohnes hat es allein ermöglicht, daß der Nome der Vielschreiberin Johanna Schopenhauer überhaupt auf die Nachwelt gekommen ist. Will man Johanna Schopenhauer kennen lernen, so besichtige man im Weimarer Goethe-Hause das klein« Pastell, da» ihre Züge wiedergibt, die Züge einer »war grundgescheiten, n-er höchst unangenehmen Persönlichkeit, g»«ge, die sich sogar direkt in» Boshafte steigern. Durch nichts kann diese Bosheit und Herzenshärte besser ver anschaulich werden, als durch die bekannten Worte, mit denen Johanna die Doktordiffertation ihre» Lohnes Arthur aus dessen Händen im Jahre 1913 in Weimar entgegennahm, di« bedeutungsvolle Schrift über „Die vierfache Wurzel de» Satzes vom Grunde': ..Das ist wohl etwas für Apotheker?' Diese höhnischen Worte hatte die Mutter, die doch sieben Jahre vorher ihrem Sohne die dem ver storbenen Vater verhaßt« wissenschaftliche Laufbahn ermöglicht hatte, für ihren Sohn, als dieser »»ach ernsthaftestem Studium die erste Frucht seines Geistes ihr Lberaab, die doch zu einem Ausbruch mütterlichen Freudenstolzes hätte führen sollen. Wenn ein Mann, der mit tiefster Leidenschaft seine Wissenschaft ergriff und da» berechtigte Bewußtsein hatte, darin etwas Bedeutendes geleistet zu haben, von seiner eigenen Mutter in dieser Weise mit eiskalten, Wasser über gossen wird, so ist es doch kein Wunder, wenn ein solcher dann später die Satire „Ueber die Weiber" schreiben konnte, die ihm seine Gegner natürlich eben, falls als Zeichen seiner Schlechtigkeit ankreiden: denn ei», Mensch, der seine Mutter lieb« und ehre, könne doch so etwas nicht schreiben, und dec Verfasser müsse daher unbedingt ein schlechter Mensch gewesen sein. Die Verstimmung zwischen Mutter und Sohn stammt -»machst aus der gänzlichen Verschiedenheit ihrer Naturen: Jene optimistisch und oberflächlich, dieser ein Pessimist und ein Mann de» Tiefsinns. Aber das hätte ja zur richtigen gegenseitigen Er. gänzung führen können, wenn eben nicht ein anderer, viel positiverer Grund der Entzweiung vorhanden ge wesen wäre: Johanna stand um die Zeit ihre» Ein- zuges in Weinrar 1806 (nach dem wahrscheinlich frei- willigen Tode ihres Gatten in Hamburg; er fiel von einem hohen Speicher in einen darunter fließenden Kanal) im „gefährlichen Alter' und begünstigte einen Hausfreund in so auffälliger Weise, daß der Sohn darin «in« Vernachlässigung, ja Beschimpfung de» An- denken» seines Vaters sehe»» mußte. Die» war der eigentliche Grund der Entzweiung. Anmerkungsweise will ich hier noch eines anderen Vorwurfes gedenken, den die Gegner de» Philo sophen noch heute gelegentlich erheben: sein« Lebensführung speziell im Verhältnis zum weiblichen Geschlecht habe nicht den Anforderungen der Moral entsprochen, und was hätten seine Gegner erst gegen ihn ae-etert, Gegner » I-» Z. B. Mer,er und Haym, »oenn sie gewußt hätten (was man erst vor etwa zwanzig Jahren au» den Tagebüchern der Schwester Adele erfuhr), daß Schopenhauer während sein«» mehrjährigen Aufenthaltes in Dresden so- gar der Urheber eine« außerehelichen Sprößlings wurde, wobei er sich freilich nach dem Zeugnis d«r Schwester sehr nobel benahm. Aber man möge sich doch erinnern, daß auch von dem Begründer der netteren Philosophie, RenS Descarte »„ und von dem Vater de» deutschen Idealismus, Gottfried i L-ibniz, die Chronisten dasselbe erzählen. Da« l gleiche ist sogar auch dem Vollender des deutschen Idealismus, dem großen Hegel, vassiert, der eben- falls in Jena eine»» illegitimen Sohn hinterließ, für drücn Uebersiedlung nach Indien Goethe tätig war, worüber man aus de», ersten Bänden des Goethe- Iahrbtlches das Nähere erfahren kann. Wie Schopen hauer in diesem Punkte also berühmte Kollegen hat, so ist, was ich zeigen inöchte, das auch der Fall in bezug m»f seine schlechte»« Beziehungen zu seiner Mutter. Aus jenem Ntißverhältnis zwischen Mutter und Sohn also schlugen und schlagen noch jetzt die Gegner Schopenhauers Kapital, um ihn zu verunglimpfen. Aber I. B. Meyer und Haym hätten aus den damals schon bekannten Quellen wissen können, daß Schopen hauer in bezug auf das Verhältnis zur Mutter zwei große Leidensgenossin hatte, nämlich Fichte und Her bart. Was den ersteren bebttfst, so wußte mqn schon aus -ein damal» bekanntgcwordencn Briefwechsel Fichtes mit seiner in Rammenau in der Oberlausitz wohnenden Familie, daß Mutter und Sohn sich durchaus nicht verstanden hatten. (Nicheres findet man jetzt in dem kürzlich neu und vollständig herausgegebenen Briefwechsel Z. G. Fichte« von Hans Schulz.) Die fromm«, aber enghe»ige Weber»frau konnte es dem in Leipzig studierenden Sohne nicht verziehn, daß er von den Weg«n der Orthoooxie sich abwandte, und daß er Len» neuen Lichte der Kantschen Philosophie folgte. Ein Sohnes-Martyrium ganz anderer Art mußte Herbart erleben. Er war das einzig« Kind vermögender Eltern in Oldenburg, wo sein früh ver- storbener Vater Iustizrat war. Die verwitwete Mutter »var eine in ihrer Art bedeutende Persönlich, kett. So hatte sie den übermenschlichen Mut, einem unheilbar kranken Freunde — auch sie hatte «inen solchen, wie Johanna Schopenhauer — auf dessen Wunsch das tödliche Gift -u reichen. Aber leider zeigte diese seltene Frau ihrem Sohn« gegenüber nur die kalte Schulter: von brennendem Ehrgeiz be seelt, wollte sie ihren einzigen Sohn, der ihr einziges Kind »var, in einer noch höheren Staatsstellung sehen, als seinen früh verstorbenen Pater und be stimmte ihn daher, ohne im geringsten nacb seinen Neigungen und Anlagen zu fragen, zum Juristen. Der Sohn ließ sich anch 1794 in Jena zuerst als Jurist inskribieren. Aber di« Neigung oder vielmehr der innerlichft gefühlt« Ruf führt« ihn bald zur Philosophie, bei der «e gogen den Wunsch seiner Mutter verblieb. Sie war klein genug, es ihm nie verzeihen zu können, daß er ihr« eigenwilligen Pläne gekreuzt hatte. Als der Sohn nun gar die Philosophie und Pädagogik zuin Lebenvberuf wählte, ward er für sie zum verlorene»» Sohn, der Luftschlössern nach, jagte, statt die Wirklichkeit zu ergreifen. In rach süchtigem Zorne setzte sie folgendes Testament aus: „Da mein Sohn gegen meinen Willen eine so brotlose Sache wie die Philosophie zu seinem Lebensberuf er- wählt hat, so ist es mein letzter Wille, daß das ge samte Vermögen, über das mir die Verfügung zu steht, während seines ganzen Lebens von dem Dor- »nllndschaftsgericht verwaltet werde, das ihm nur die Zinsen einzuhändigen hat, denn er hat durch die Wahl der Philosophie zum Lebensberuf sich als ein für das praktische Leben unfähiger Mensch erwiesen." Merkwürdigerweise wurde das Testament als gültig anerkannt. Nachdem Herbart 1809 Ordinarius der Philosophie iu Königsberg geworden war, erreichte er dann mit Hilfe des dortigen Vormundschafts, gerichte« die Ungültigkeitserklärung des Oldenburger Testamentes, da er ja durch seine Ernennung zum Ordinarius an einer Universität den Beweis ge- liefert habe, daß die Voraussetzung des mütterlichen Testamentes, er sei -um praktischen Leben nnföyia, irrig gewesen sei. Die herben Züge, die das Bildnis Herbarts selbst noch aus seiner späteren Göttinger Zeit zeigt, lassen erkennen, wie ungünsriq jene dunkle Lebenserfahrung auf ihn eingewirkt hat. Als ich einst über diese und andere Fälle mit Aloys R i chl, dem damaligen Hallenser Philosophen (der vor kurzem als Achtzigjähriger in Berlin ge- storben ist), ausfiihrlich sprach, erzählte er mir, daß auch er seine»» philosophischen Beruf nur im lang, jährigen Kampf gcgcp» seine Mutter erreicht habe. Diese, eine fromm« Müllersfrau in einem Tiroler Tale, hatte ihren Aloys noch im Mutterleibe dem Priesterstand gelobt. Aloys Riehl mußte erst durch langen widerwärtigen Streit mit seiner Mutter den eigenen Lebensweg erkämpfen. Sie hat ihm das nie- mal» verziehen. Jene Philosophenmütter blieben unbekehrt und unbelehrt. Zeitlebens ahnten sie nicht, daß sie ge- würdigt worden waren, junge Adler zur Welt zu bringen, denen es vergönnt war, über den Sperlinge. Horizont ihrer ursprünglichen Umgebung «seit hinaus »um Himmel emporzufliegen, als ob sie au» diesem stammten und nicht von dieser ärmlichen Erde.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)