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Cosmas von Prag, I, 4. 13 Männer mit Überlegung besorgte. Da aber Niemand vollkom men glücklich ist*) war diese große und alles Lobes würdige Frau, o des harten menschlichen Geschickes! eine Wahrsagerin. Weil sie nun dem Volke die Zukunst oft und richtig vorhersagte, wurde sie von demselben nach ihres Vaters Tod mit allgemeiner Zu stimmung zur Richterin erwählt. Um diese Zeit erhob sich zwi schen zwei durch Geschlecht und Reichkhum ausgezeichneten Män nern, welche Vorsteher des Volkes waren, ein heftiger Streit über die Grenzen zweier an einander stoßender Grundstücke. Dieselben geriethen beiderseits in solchen Zorn, daß sie einander den Bart zerrauften, und indem sie unter heftigen Vorwürfen einander unter der Nase herumfuhren, kamen sie tobend und lärmend zur Ge richtsstätte, traten, nicht ohne großes Geschrei, vor die Herrin und baten sie, ihren Streit nach Recht und Gerechtigkeit zu ent scheiden. Diese lag, wie es die Art üppiger Frauen ist, wenn sie keinen Mann haben, den sie fürchten, auf den Ellenbogen gestützt gleich einer Wöchnerin in einem weichen und reich ge schmückten Bette. Nachdem sie aber ihres Amtes als Richterin waltend die ganze zwischen ihnen bestehende Streitsache ohne An sehen der Person entschieden hatte, schüttelte derjenige, dessen Sache nicht im Gerichte bestanden, mehr als billig vom Zorn über mannt, drei bis viermal das Haupt, stieß nach seiner Gewohnheit dreimal mit dem Stock aus den Boden und ries, seinen Bart begeifernd: „O der Schmach, welche Männer kaum ertragen können! ein schwaches Weib spricht mit betrüglichcm Sinne Ur- theil, was doch Sache der Männer ist. Wir wissen bestimmt, daß ein Weib, es mag stehen oder auf dem Throne sitzen, wenig versteht, wie viel weniger, wenn es im Bette liegt? In der That ist es da mehr geeignet, den Besuch des Mannes zu em pfangen, als Kriegern Recht zusprechen, denn es ist ja gewiß daß alle Frauen lange Haare aber kurzen Verstand haben. Es 1) Worte des Hornz, Oden II, 16, 27.