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Nero hatte noch nicht gelernt, jeden Bürger zu fürchten, der etwa ein hohes Ansehen genoß. Während nun Galba schon von Natur für einen Mann von sanftmüthigem Charakter galt, traute man ihm wegen seines Alters auch noch eine gewisse kluge Bedächtigkeit zu. 4. In Spanien plünderten die heillosen Procuratoren damals für Nero die einzelnen Provinzen auf eine grausame und unbarm herzige Weise aus. Galba konnte diesem Uebelstande nicht weiter abhelfen. Aber dadurch, daß er sichtbar den Jammer theilte und das Unrecht mitempfand, gewährte er dennoch den Unglücklichen, die man rechtswidrig verurtheilte oder gar verkaufte, eine gewisse Er leichterung ihres Elends, einen gewissen Trost. Auch als man auf Nero Spottlieder machte, dieselben vielfach verbreitete und herum sang, hinderte er dieß nicht und theilte keineswegs den Unwillen der Prokuratoren darüber, — eine Haltung, wodurch er sich die Liebe der Einwohnerschaft noch in höherem Grade erwarb. Denn er war bereits mit ihnen genau bekannt, indem er im achten Jahre seines Regiments stand, als der Prätor von Gallien, Junins Vindex, sei nen Aufstand gegen Nero ausführte. Soviel man nun erzählt, kamen noch vor dem offenen Ausbruch der Rebellion Briefe von Vindex an Galba. Allein letzterer traute ihnen ebensowenig, als er andrerseits den Anzeiger und Verkläger machte, wie dieß verschiedene höhere Generale thaten, welche die an sie gerichteten Schreiben dem Nero einsandten und dadurch ihr Mög lichstes zum Verunglücken der Unternehmung beitrugen. Später bc- theiligien sie sich dennoch und mußten nun zugestehen, daß sie eben sosehr an sich selbst, als an ihm, zum Verräther geworden waren. Nachdem jetzt Vindex offen zu den Waffen gegriffen hatte, rich tete er abermals an Galba eine schriftliche Aufforderung, die oberste Leitung zu übernehmen und dem starken Körper, der einen Kopf suche, in seiner Person einen solchen zu geben. Gallien „habe ja bereits hunderttausend Mann Soldaten und könne eine noch weit größere Anzahl aufstellen." Galba legte die Sache seinen Freunden zur Berathung vor. Einige stimniten für Zuwarten, um zu beobachten, ob Rom eine leb haftere, energische Stellung zu der Revolution einnehmen würde. Hiegegen erklärte sich der Befehlshaber der prätorischen Legion, Titus