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37 graben suchte, ein Schreiben nach Athen, des Inhalts : „Der König wolle ihnen die demokratische Verfassung zurückgeben und befehle, daß wieder jeder Athener nach altherkömmlicher Weise sich an den Staats angelegenheiten betheilige." Dies; war jedoch nur eine Hinterlist gegen Phokion. Tenn da Polyspcrchon Anstalten machte, — wie er denn bald genug durch die Thatsachen erkennen ließ, — die Stadt selbst in seine Gewalt zu brin gen, so konnte er sich doch keinen Erfolg versprechen, so lange Phokion nicht hinweggeschafft war. Das Letztere aber mußte nothwendig ein- treten, sobald die abgeschätzten Bürger wieder das Regiernngswcsen überflulheten, Demagogen und Sykophanten wieder die Nednerbllhne in Beschlag nahmen. Durch Obiges entstand nun unter den Athenern im Stillen eine Bewegung, weßwegen Nikanor mit ihnen zu sprechen wünschte, als man im Piräeus eine Berathung abhielt. Er fand sich hiebei ein, indem er dem Phokion seine Sicherheit anvcrtraute. Da jedoch Dekyl- lus, der königliche Kommandant auf dem Lande, seine Gesangcnueh- mung beabsichtigte, flüchtete er sich, indem er noch rechtzeitig die Sache erfuhr. Man mußte jetzt eine alsbaldige Rache an der Stadt von ihm erwarten, und Phokion wurde heftig darüber getadelt, daß er ihn sortgelassen und nicht vielmehr festgehalten habe. Er entgegnete dar aus: „Daß er sein volles Vertraue» in Nikanor setze und nichts Schlimmes von ihm befürchte; wenn er sich darin irre, so sei es ihm lieber, offenbar Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu thun!" Diese Worte, in dem Munde eines Menschen, welcher dabei nur an sich selbst denkt, können immerhin als Ausdruck von Biedersinn und Edelmuth erscheinen; wenn aber Jemand dabei das Heil seines Vaterlandes auf's Spiel setzt, und zwar als Feldherr und Archon, so weiß ich nicht, ob er dadurch nicht, gegenüber von seinen Mitbür. gern, sich einer nur allzu großen, allzu gewaltigen Sünde schuldig macht. Nicht einmal das läßt sich anführen, daß Phokion eben aus Furcht, die Stadt in einen plötzlichen Krieg zu verwickeln, den Nikanor geschont und im Uebrigen die Treue und das Recht nur als Vorwand gebraucht habe, damit derselbe aus Ehrgefühl Ruhe halten und den