Ca-. 2. Ein vollkommen wackerer Mann im strengsten Sinne bedarf überhaupt der Ehre gar nicht, außer sofern sie ihm Bahn macht für seine Handlungen, und zwar durch das Vertrauen, das er genießt. Nur einem jungen ehrliebenden Menschen kann man nach schönen Thaten auch eine gewisse Eitelkeit verzeihen, wo mit er sich in seinem Ruhme gefällt. In diesem Alter kommt jede Tugend erst zum Entstehen und Auskeimm; bei günstigem Erfolge erstarkt sie, nach Theophrast's Ausdruck, durch das Lob, das man ihr spendet, und wächst dann in der Folgezeit mit dem Selbstbewußtsein noch mehr unter dem Einflüsse des gleichen Lobes. Aber das Uebermaß ist allenthalben gefährlich und bei dem poli tischen Ehrgeize geradezu verderblich. Denn es führt Jeden, der eine große Machtvollkommenheit erlangt hat, zur Narrheit und zum offenkundigen Wahnsinn, wenn er nicht mehr in dem Sitt lichen die Quelle der Ehre erblicken will, sondern umgekehrt in der Ehre das Gute zu finden glaubt. Als Antipater einmal dem Phokion eine unsittliche Hand lung zumuthete, erklärte ihm dieser: „Du kannst nicht zu gleicher Zeit einen Phokion zum Freunde haben und zum Schmeichler!" Dies oder etwas Aehnliches hat man auch der Menge zu erklären: „Ihr könnt nicht an dem nämlichen Mann einen Führer haben und einen Bedienten!" Es geht hier gerade wie in der Fabel von der Schlange. Der Schwanz fing Händel an mit dem Kopf und verlangte, daß er abwechsluugsweise auch vorangehen dürfe und nicht immerfort dem Kopfe nachlaufen müsse! Er erhielt also die Führerschaft, kam aber dabei sehr übel weg, weil er im Unverstände seines Weges zog und den Kopf tüchtig verstauchte, der ganz gegen seine Natur gezwungen wurde, solchen Theilen zu folgen, welche blind und taub waren. Den gleichen Jammer sehen wir Viele erleben, die bei ihrem politischen Handeln sich nur die Gunst zum Ziele sehen. Sie hängten sich an die Pöbelmassen, welche aufs Gerathewohl dahin-