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293 dem Volke gegen seinen Willen mit Gewalt die Republik aufzudringen, bekehrt und für immer be lehrt und geheilt sein. Unter diesen Umständen kann ich Ihnen auf richtig versichern, daß hier in Frankfurt die Aus sichten in die Zukunft Deutschlands durchaus nicht trübe, sondern tröstlich sind, und daß alle Ursache zur Wiederkehr des Vertrauens in Handel und Wandel vorhanden ist. Nur das bedauere ich, daß in der Nationalver sammlung eine große Mittclpartei vorhanden ist, welche zwar guten Willen, aber zu wenig Entschie denheit, Muth und Entschlossenheit hat, welche hierher gekommen ist, ohne vorher zu wissen, was sie will; welche, mit sich selbst noch nicht im Rei nen, hin und her schwankt und dadurch die Voll endung unsers Werks verzögert. Dies ist der hauptsächlichste Unterschied der sog. „linken" Seite oder Partei von der Mittelpartei, dem sog. „Ecn- trum", das wieder in ein rechtes und linkes Ccn- trum zerfällt. Die „Linke" will möglichste Be schleunigung des Verfassungswerks; will, daß dieses einzig und allein von der Nationalversamm lung, in welcher ja alle Staaten vertreten sind, ge gründet werde und nicht erst noch allen einzelnen 38 Staaten und Regierungen und in einem jeden Staate wieder einer jeden einzelnenStändekammcr zur Genehmigung vorgelegt werde. Eine solche Ver- und Unterhandlung mit so vielen verschie denen Köpfen würde so viele Zeit wegnchmen, daß unterdessen Handel und Gewerbe ganz zu Grunde gehen würden. Und dann ist auch noch sehr un gewiß , ob eine solche Unterhandlung mit so vielen verschiedenen Regierungen, Interessen und Köpfen endlich noch zum Ziele, d. h. zur Einigung über jeden einzelnen Punkt der deutschen Verfassung führen wird. Deshalb, aus diesen beiden Gründen, um recht schnell die neue deutsche Verfassung zu Stande zu bringen, um recht schnell die neue Ordnung der Dinge und mit ihr Vertrauen, Muth, Handel und Gewerbe wieder herzustellen, hält die „Linke" es für unerläßlich nothwendig, daß die neue Verfassung einzig und allein der National versammlung überlassen bleibt. Denn in dieser muß und wird es sehr bald zur Einigkeit und Ent scheidung kommen, weil in dieser nur abge stimmt wird und die Mehrheit der Stimmen ent scheidet. Allein anders ist es mit und unter den einzelnen 38 deutschen Regierungen und eben so vielen Ständekammern unter sich. Unter diesen entscheidet nicht die Mehrheit der Stimmen, ist also die Herbeiführung der Einigkeit viel schwerer, wenn nicht unmöglich. Außer der „Linken" giebt cs nun noch eine „äu ßerste Linke" als Partei in der Nationalversamm lung. Diese Partei, die „äußerste Linke", geht über die Forderungen der Linken noch hinaus; sie will eben die Republik auch in den einzelnen Staa ten, deren Verfaffungsform doch uns, die deutsche Nationalversammlung, gar Nichts angeht. Diese hat es nur mit der Verfassung für ganz Deutsch land, durchaus nicht mit der Verfassung und Re gierungsform der einzelnen deutschen Staaten zu thun. Es giebt also in der Nationalversammlung sechs Parteien: 1) die „äußerste Rechte", ungefähr 40 bis 50 Mann stark, welche ganz das alte Polizeisystem wieder einführen möchte, welches doch so viel Unglück über Deutschland gebracht hat; 2) die „Rechte", ungefähr eben so stark, welche das alte hisiorische Recht ebenfalls nicht ganz fahren lassen, sondern als Grundlage zu der neuen Ord nung der Dinge benutzen, zwischen jenem und die sem einen — unmöglichen — Vergleich stiften will; 3) das „rechte Centrum" (ungefähr 100), welche die neue Ordnung der Dinge zwar anerkennt, aber nur auf dem Wege des Vertrags mit den Regie rungen vollenden will; 4) das „linke Centrum" (ungefähr 200), welche daS Princip der Volks - souverainität zwar anerkennt, aber doch einenV er such der Verständigung mit den Regierungen ma chen will, so daß, wenn dieser vergeblich ist, zuletzt doch die Nationalversammlung allein entscheidet; 5) die „Linke" (ungefähr 130), welche so schnell als möglich, daher ohne solchen zeitraubenden Versuch, die deutsche Verfassung einzig und allein von der Nationalversammlung festgestcllt haben, und dieser wie dem Volke die volle Souverainität (Machtvollkommenheit) bewahren will; und 6) die „äußerste Linke", welche die Republik will und nur 20 bis 25 Mitglieder zählt. — Ich rechne mich im Allgemeinen, aber auch nur im Allgemeinen, zur „Linken", denn in vielen einzelnen Fragen, Formen und Punkten stimme ich auch mit ihr nicht überein, weshalb ich und Joseph ihr Programm noch nicht unterschrieben haben. Diese meine Schilderung ist übrigens natürlich nur eine ohngcsähre, viel zu flüchtig entworfene, als daß sie buchstäblich und abiolut als Maß stab für Beurtheilung der Nationalversammlung dienen könnte. Nur das ist meine aufrichtige Neberzeugung, daß die Aussichten im Allgemeinen besser sind, als ich anfangs vermuthete, und daß Sie Alle wieder Vertrauen fassen können. lieber die einzelnen Beschlüsse der National versammlung und über meine Thätigkeit dabei werden Ihnen die Zeitungen berichtet haben, und werde-ich Ihnen ein anderes Mal Rechenschaft ab legen. Auf den Beschluß über den Raveaurschen Antrag wegen des preußischen Landtags thue sch nür Etwas zu Gute, denn durch meine Entschie denheit und gleichzeitige Nachgiebigkeit dabei habe auch ich wenigstens mit zu dem starken, fast ein stimmigen Beschlüsse beigetragen. Grüßen Sie Bischofswerda, Stolpen und die Umgegend, grüßen Sie den ganzen 24. Wahlbezirk,