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408 Venedig bis auf Tizian. meint, und ob er dann im späteren Alter zu diesen Eindrücken seiner Jugend zurückgekehrt sei (Berenson), müssen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls erinnert ein bezeichnetes Jugendwerk, die „Vermählung der h. Katharina" (München) im Ausdrucke und in der Technik an Giovanni Bellini. Dann, etwa seit 1512, berührt er sich mit Palma: diese Arbeitsgemeinschaft führt zu wechselseitigein Einfluß, wobei wir uns nach dem über Palma gesagten Lorenzv Lotto als den stärkeren Geist zu denken haben. Ein dritter gleich altriger Bergamaske, Andrea Previtali, dem man früher einen eigenen Einfluß zuschrieb, hat an diesem Verhältnis nur als Empfangender teil genommen. Seine angenehm wirkenden Bilder, Madonnen mit Heiligen in schöner Landschaft, von guter Farbe, oft im Breitformat, kommen auch im Norden vor (Berlin, Dresden). Die Figuren find nicht originell, und Previtali ist nur ein kleines Talent. — Lotto nähert sich ferner manchmal Giorgione und Tizian; er ist also von beiden beeinflußt worden. Seine Bilder sind vielfach bezeichnet, aber nicht immer. In diesem Falle hat man sie früher und später oft einem von diesen beiden geben wollen. So schrieb z. B. das- köstliche Halbfigurenbild, die „drei Lebensalter" (Pal. Pitti, Fig. 197), welches an das Konzert Giorgiones erinnert, Morelli bis zuletzt dem Giorgione zu, und ein ganz eigentümliches, anziehendes Breitbild mit einem „Männerporträt in dreifacher Ansicht" (Wien Nr. 558) galt, bis es Crowe und Cavalcaselle Lotto zuwiesen, für Tizianisch. Das Merkwürdigste aber an dieser proteusartigen Künstlernatur ist wohl das Zusammentreffen mit Correggio. „Christi Abschied von seiner Mutter", mit Lottos Namen und 1521 bezeichnet (Berlin, Fig. 198), versetzt uns in eine weite Klosterhalle mit einzelnen Gemächern und Durchblick in einen Garten. Darin sehen wir in kleinen Figuren, als Staffage, außer Christus und Maria noch Johannes, Petrus, einen dritten Apostel (Jakobus) und zwei Frauen, und rechts davon die Stifterin knieend in vornehmer Zeittracht, neben ihr ein weißes Hündchen. Vorne auf dem Boden liegt ein Apfel neben einem Kirschenzweig, quer durch den Mittelraum schreitet gravitätisch eine schwarze Katze, und im Garten hinten sehen wir ein Kaninchen. Ein ungemein reiches und durch und durch originelles kleines Bild! Wenn es nun schon in der Farbe, im Aufbau, in der Architektur und deren Perspektive einen lombar dischen Eindruck macht (Lotto war ja in Bergamo heimisch), wenn das Hell dunkel an Lionardo und Correggio erinnert, so führt die Haltung und der Gesichtsausdruck der Figuren, namentlich der ohnmächtigen Maria und des mit gekreuzten Armen vor ihr knieendcn Christus, noch bestimmter auf