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X° 59, 10. März 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. ö. Dtschn Buchhandel. erfunden hatte. Gerade die Zeichnung und Anschauung der Schrift auch im verkehrten Bild bot Gabelsberger Gelegenheit, »die für die Hand am bequemsten laufenden Teilzlige ins Auge zu fassen«. Gabels berger hatte also Sprache und Schrift in ihrem Wesen wie in ihren Bestandteilen bereits von Gesichtspunkten aus betrachten gelernt, die ihm zum Leitstern in der Behandlung seiner Aufgabe dienen konnten. Mit echt deutscher Gründlichkeit ging Gabelsberger daran, die »Nedezrichenkunst« zu erfinden. Um die Flüssigkeit der Buchstaben zu erzielen, untersuchte er die ganze deutsche Sprache auf ihre Mit- lautverbindungen uud ging zu diesem Zweck an die äußerst mühsame und sehr zeitraubende Arbeit, in den vier Ouartbänden von Adelungs großem Wörterbuch Seite für Seite alle deutschen Wurzel- und Stammsilben samt allen ihren Umlautungen auszuziehen und nach dem Zusammentreffen der Mitlaute lexikalisch zu ordnen. In der Zeit vom Juli bis Dezember 1818 brachte er sein Alphabet zum Abschluß, und schon in der ersten Ständeversammlung im Jahre 1819 machte er die ersten, allerdings noch unbeholfenen praktischen Ver suche mit seiner Schrift. Unablässig feilte Gabelsberger in der Folge zeit an seinem Werk. So arbeitete er auch die wichtigeren englischen und französischen Systeme durch. Ganz besonders aber studierte er die Tironischen Noten, die der Freund und Geheimschreiber Ciceros erfunden und zum Nachschreiben der Reden seines Freundes um 60 vor Christi benutzt hatte. Nachdem Gabelsberger sein System immer wieder theoretisch durchgearbeitet und im Bayrischen Parlament prak tisch erprobt hatte, konnte er im Jahre 1829 endlich wagen, es der Königlich Bayrischen Akademie der Wissenschaften zur Prüfung vor zulegen. Das Urteil war außerordentlich günstig. Sein stenografi sches System sei »handgerechter und flüssiger, gefälliger, bei größerer Zahl von Zeichen zulänglicher, also lesbarer und dennoch durch seine innere Konsequenz einfacher und in jedem Betracht origineller und deutscher als die bisherige» Versuche, die englische Stenografie auf unseren Boden zu verpflanzen«. Mit Hilfe einer Staatsunterstützung konnte Gabelsberger nun sein Lehrbuch ausarbeiten. Aber seine »Passion, alles möglichst genau und vollständig zu halten«, veran- laßte ihn nicht selten, »ganze Folianten um einer einzigen Stelle oder Aufklärung willen« durchzuarbeiten, und dazu kam, daß seine freie Zeit recht beschränkt war und ihm meist nur die Nachtstunden für seine Arbeit zur Verfügung standen. Zu Beginn des Jahres 1834 wurde endlich das Ergebnis seines siebzehnjährigen Ringens unter dem Titel: »Anleitung zur deutschen Nedezeichenkunst oder Stenographie« im Selbstverlag der Öffentlichkeit übergeben. Das umfangreiche Werk von 860 Seiten Großquart gliedert sich in zwei Teile. Der erste »Allgemeine, geschichtliche und theoretische Teil« von 142 Seiten in Buchdruck enthält eine für die damalige Zeit geradezu hervorragende Geschichte der Stenografie von den ältesten Zeiten an. Der zweite »Besondere, praktische Teil« ist in lithographischer Schrift hergestellt. Diese 366 lithographischen Tafeln stellte Gabelsberger eigenhändig her, um für die Richtigkeit und Ge nauigkeit der stenografischen Züge stehen zu können. Zu diesem Zweck mußte er seine stenografischen Zeichen erst verkehrt auf Stein schreiben lernen. Das Alphabet Gabelsbergers besteht im Gegensatz zu den eng lischen, sogenannten »Geometrischen Systemen«, die den Punkt, die gerade Linie, die Ellipse, den Kreis und Teile der beiden letzteren zur Bildung der Buchstabenzeichen verwenden, aus den Teilzügen der deutschen Schrift, deren Lage, Liniensystem und Einzeiligkeit bei behalten sind. Die Wahl seiner Zeichen erfolgte gemäß dem Grundsatz: Für ähnliche Laute ähnliche Zeichen und mit Rücksicht auf die ver hältnismäßige Häufigkeit der Wiederkehr der zu bezeichnenden Laute, auf die Verbindungen, welche die einzelnen Laute untereinander ein- gehen, auf die Art und Weise der Erzeugung der Laute durch die Sprechwerkzeuge. Schreibflüchtigkeit, Kürze und Deutlichkeit sind ihm die maßgebenden Faktoren. Die Schrift sollte ein getreues Abbild der Sprache sein und der Schreibende mit dem Redenden Schritt halten können. Wenn auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine Unzahl von Stenografie-Systemen in Deutschland entstand, sodaß man min destens 500 Kurzschrift-Systeme bzw. Abarten kennt, so gebührt dem Münchner Meister mit den beiden großen Sorgenfalten, die von der Nase zu den Mundwinkeln gehen, das unsterbliche Verdienst, daß er der Gründer der deutschen, der graphischen oder kursiven, auf ganz neue Grundlagen gestützten Kurzschrift ist. Mit größter Zähigkeit hielt er an seiner Idee fest, an die er glaubte und von der er voraussah, daß eine spätere Zeit sie in vollem Umfange würdigen werde. Er gab der Kurzschrift, die bis dahin nichts weiter als mecha nisches Regelwerk gewesen mar, ihre eigengesetzliche Form, die ihr erst das Wesen der Schrift verlieh, und verankerte sie fest in die deutsche Sprache. Das Wesen seiner Schrift ist bis auf den heutigen Tag wirksam geblieben und lebt auch in der Deutschen Kurzschrift weiter. Eigenartig ist es, daß das Werk Gabelsbergers ein Kind des Parlamentarismus gewesen ist, während die einheitliche deutsche Kurz schrift in dem Augenblick durchgeführt wurde, wo der Parlamentaris mus des liberalistischen Zeitalters zerschlagen worden war, wo also für die Verwendung der Kurzschrift als Parlamentsstenografie keine Notwendigkeit mehr war. Und doch ist die Durchführung der deut schen Kurzschrift auch eine vaterländische Tat und wirk) unserem Volk zum Segen gereichen. Nachdem die Zeit der Parlamentsstenografie vorbei ist, wird die Kurzschrift in Zukunft wie seither unserem öffent lichen Leben wertvolle Dienste als Diktatstenografie leisten, darüber hinaus aber wird sie immer mehr zu einer allgemeinen Verkehrs- schrift im inneren Verkehr der Behörden und des wirtschaftlichen Lebens werden, je mehr das Geschlecht heranwächst, das die Kenntnis der deutschen Kurzschrift aus der Schule mitbringt. Der Sortimentslehrling. Noch rechtzeitig zu den Gehilfenprüfungen dieses Jahres erschien die neue Auflage des Sortimentslehrlings*). Sie weist gegenüber den älteren Auflagen zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen auf und wird nicht nur den Prüflingen, sondern allen, die mit der Ausbildung des buchhändlerischen Nachwuchses zu tun haben, von Nutzen sein. Wie der Bildungsausschuß in feinem Geleitwort sagt, kann die kleine Schrift »als Zusammenfassung der Grundzüge unserer Arbeit nur eine Ergänzung dessen bieten, was die Praxis lehrt«. Gerade weil wir Praktiker des Berufs unsere jungen Mitarbeiter ebenfalls zu Praktikern und nicht zu Klugschwätzern heranbilben wollen, können wir eine solche systematische und pädagogisch ausge reifte Darstellung unseres Arbeitsstoffes gut gebrauchen. Denn es wird bei der Ausbildung immer Einzelheiten geben, die im Drang des täglichen Dienstes zum mindesten nicht genügend erklärt wer den: das hängt wieder mit dem Wertvollsten unserer Lehrlingsaus bildung zusammen, nämlich daß sie die jungen Leute von Anfang an als Mit-Schaffende in den Organismus des Betriebes aufnimmt. In dieser »Einweisung in die buchhändlerische Arbeit« erhalten wir Ausbildenden Anhaltspunkte zur Kontrolle dessen, was wir un seren Lehrlingen in der Lehrzeit bieten. Den Lehrlingen aber be deutet das Büchlein die theoretische Klärung dessen, was sie sich in der Praxis erarbeiten. Ten einzelnen Arbeitsvorgängen folgend gliedert sich »Ter Sortimentslehrling« in die drei Hauptabschnitte Bezug, Lager haltung, Vertrieb. Voran geht eine wichtige Einführung über den Buchhändler als Kaufmann und Kulturträger, in welcher auch der Aufbau der Reichskulturkammer dargestellt ist. Den Be schluß bilden zwei Kapitel von Prof. vr. Menz: »Der Lehrling im Recht« und »Buchhändlerische Berufskunde«. Als Anhang sind die Prüfungsordnung und die Richtlinien für die Gehilfenprüfung sowie eine Auswahlliste der buchhäudlerischen Fachliteratur beigegeben. Das Beste an dem Büchlein scheint mir zu sein, daß es nicht doziert, sondern bei allen Gelegenheiten praktische Aufgaben stellt und den Leser zu eigenen Beobachtungen anregt. Daneben gibt es eine Fülle von Ratschlägen, welche ebenso der Schulung des Lehrlings wie der Verbesserung der Berufspraxis dienen können. Dabei wird ein Abgleiten in allzu komplizierte Berufsproblematik vermieden und bei zweifelhaften Fragen stets auf das Vorbild oder das Urteil des Lehrchefs verwiesen. Jedenfalls darf einem Sortimentslehrling, der so viel weiß wie dieser von vr. Friedrich tthlig vorgestellte, be stätigt werden, daß er die Gehilfenprüfung mit Auszeichnung be standen hat. Nichts ist so vollkommen, daß es nicht noch vollkommener gedacht werden könnte. So seien einige Hinweise gestattet, die m. E. künf tigen Auflagen zu weiterem Vorteil gereichen dürsten. Die »Tabel larische Übersicht der Prüfungsgegenstände und -gebiete« der Richt linien (Uhlig Seite 114/5) fordert mit Recht als Hauptgruppe II allgemeine kaufmännische Kenntnisse. Diese allgemeinen, einfachsten kaufmännischen Kenntnisse kommen aber bei Uhlig etwas kurz weg. Er beschränkt sich auf die knappesten Andeutungen (S. 57) und verweist im übrigen auf die Fachschule. Viele unserer Lehrlinge, welche nie eine Fachschule besuchen, würden sicher etwas konkretere Ausführungen über Soll und Haben und über Buchhaltung im allgemeinen dankbar begrüßen. Wenn auf zwei Seiten (S. 58/9) das schwierige Gebiet der Inventur und Lagerbewertung in durch aus brauchbarer Weise dargestellt werden kann, dann sollte das auch für die Elemente der Buchhaltung möglich sein. Daß die Haupt- *) Der Sortimentslehrling. Eine Einweisung in die buchhändle- rische Arbeit. Herausgegeben vom Bildungsausschuß. Neube- arbeitet von vr. F r i e d r i ch U h l i g. 4. Auflage 1934. Steif brosch. NM 2.—. Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deut schen Buchhändler. 221