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59, 10. März 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. die Gespräche wertvoll und wichtig machte. Mein Buchhändler war bescheiden, klug, verschwiegen und grenzenlos liebenswürdig. So wurde er wie ein Arzt der Vertraute meiner Bücherfreuden und -schmerzen. Die Bücher und ihr Bewahrer wurden mir doppelt wertvoll, da ich in dieser Zeit meinen Vater verloren hatte. Der Buchhändler gab mir eines Tages ein Buch, das für meine Entwick lung entscheidend wurde. Es blieb als Erlebnis, das mich irgendwie im Innersten anrührte, aus der etwas trauerhaften Stimmung auf- rlltteltc, mich so ansprach, das; ich am liebsten mein ganzes Leben da nach hätte einrichten mögen. Ein Führer erzählte sein Dasein, seinen Willen und seine Anschauungen. Das Urwüchsige, Blutehrliche und Starke dieses Lebens lies; meinen Eindruck so groß und eindringlich werden, daß ich keines der späteren Bücher mehr in dieser restlosen Bereitschaft zum innersten Erleben, vielleicht unbewußt, lesen konnte. Mit diesem Buch erhielt ich die geheimen Maßstäbe, die vorbildlich genug waren, um mein eigenes Leben an ihm zu messen. Das hatte mir den Auftrieb gegeben und ich bereitete ihn mir immer wieder, wenn ich mich in Schwierigkeiten befand oder im Leben nicht mehr weiter wußte. So gaben mir Bücher die Berührung mit dem Unend lichen und wurden Quell der Kraft in einem sehr harten Leben. Meine Käufe in der Bücherstube kosteten mich oft ein warmes Mittag essen. Dabei blieb ich trotzdem braun und gesund und konnte mit Genugtuung sehen, wie meine Treue zu den schönen guten Büchern und wie die Maßstäbe, die mir ein einziges Buch gab, auch mein Leben hinaufführten auf die Höhe jener persönlichen Leistung, die ich als Knabe immer von mir ersehnt hatte, sie aber ohne die Bücher bestimmt nicht erreicht hätte. Geist und Wille im neuen Schrifttum. Von Rudolf P a u l s e n. Das grundsätzlich Neue im deutschen Schrifttum ist die Betonung des Willens gegenüber dem Geist. In der liberalistischen Literatur herrschte der Geist über den Willen. Und zwar war dieser Geist nichts anderes als wurzellose Intelligenz. Er hatte keine Willens wurzel mehr und darum auch kein Wertgefühl. Nun ist es keineswegs so, wie verspätete Gegner des Neuen meinen, daß dem willensbetonten Schrifttum der Geist fehle. Nein! Aber im willensbetonten Schrifttum hat der Geist ein anderes Wesen. Er wächst hier aus der Wurzel der Volksverbundenheit. Als Geist gilt hier nicht mehr die vom Volksboden gelöste Willkür des Ver standes. Der willenlose Geist beschäftigte sich bald mit diesem, bald mit jenem Problem, das ihm zufällig begegnete. Heute ist der Geist willensmäßig ausgerichtet, indem er von den ihm begegnenden Pro blemen nur die anpackt, die zugleich Volksprobleme siud. Die Lösung des Problems selbst aber geschieht nun nicht rein geistig, sondern willentlich. Wille ist kein Gegensatz zu Geist, wie das früher scheinen konnte. Wille und Geist gehören vielmehr untrennbar zusammen. Geist ohne Wille wäre irrlichtelierender Verstand, Wille ohne Geist wäre nichts als Brutalität. In organischer Verbindung machen beide den deut schen Menschen aus. Im Liberalismus hatte sich der Geist entmach tet, der Wille sich entgeistet. Dem liberalistischen Streben nach Geld als dem höchsten Gut entsprach eine gefällige willenlose Literatur. Wurde Geld als herrschender Wert gesehen, dann mußte auch im Schrifttum der Wertmaßstab das Geld sein. Es kam dann auf die Verwertbarkeit geistiger Produkte an, nicht aber auf ihren wesent lichen Wert. Somit hatte sich der Geist entmachtet, indem er sich ihm wesensfremden Gesetzen unterwarf. Gewinnt nun der Geist seine Willenswurzel wieder, so kann er gar nicht entgleisen, vorausgesetzt, daß er wirklich im wesentlichen Willen des Volkes wurzelt. Es ist gar nicht möglich, daß aus der ewigen gottgewollten Volkswurzel die Pflanze »Kitsch« wächst. Wenn aus sogenannter guter Gesinnung irgendwo im Schrifttum deunoch »nationaler Kitsch« hervorkommt, dann ist das nur möglich, weil sich die liberalistische Literatur mit ihren falschen Vorstellungen und Maßstäben tief in das Volk eingefressen hat. Will da ein Mann des Volkes »literarisch« reden, verleugnet er seine urtümliche Sprache, schielt er nach irgendwelchen Mustern, dann muß natürlich alles schief werden. Der Geist als losgelöster Verstand hat dem Braven ein Bein gestellt, und nun stolpert er daher, komisch und betrüblich zu sehen. Er spricht nicht mit seiner Zunge, sondern radebreSt auf »gebildet«. Soll der Geist wieder jung und urtümlich werden, dann müssen wir sehr viel vergessen. Der Geist hatte sich ja mit dem Gelds ver mählt, und der Bastard aus dieser illegitimen Verbindung war die Halbbildung. Bis wir diese wieder ausstoßen, bleibt noch viel zu tun. Das Echte wächst nicht dort, wo das Geldüenken den Willen okkupiert und den Geist benebelt, wie das in der Halbbildung der 220 Fall war. Das Echte wächst nur im organischen Boden von Willen und Geist der Volkheit. Diesen Volkheit-Boden freizulegen, erfordert noch schwere Mühe. Aber wir sind schon froh, daß er da und dort wieder sichtbar geworden ist und daß uns die Ausgabe gestellt ist, den liberalistischen Schutt und Sumpf zu beseitigen. Diese Aufgabe erfordert mehr als »gute Gesinnung«, die sich gelegentlich vordrängt, als genüge sie allein. Auf dem Gebiet des Schrifttums muß sie aber wie auf allen anderen Gebieten Wille werden. Wer am Schrifttum arbeitet, muß wissen, wie schwer seine Arbeit ist, muß wissen, daß er zu dienen und zu opfern hat wie jeder andere. Ernste Arbeit am Schrifttum ist nicht glänzender, nicht eitler als die Arbeit des Bauern auf seinem Acker. Nicht die Gelegentlichkeit macht es, sondern die Treue. Und wie der Bauer Mißernten haben kann, so gibt es auch im Schrifttum solche. Dann soll man das Ungeratene nicht für volle Frucht verkaufe«! Geist und Wille im neuen Schrifttum! — Der Wille muß sich am Geist prüfen und der Geist am Willen. Der Wille darf nicht, ohne Demut sein und der Geist nicht ohne Mut. Das heißt: wägen und wagen. Anders macht's der Bauer auch nicht. Er ist stolz, aber er ist auch bescheiden. Stolz auf gut getane Arbeit; aber er weiß: den Segen von oben kann er nicht selbst machen. Seine Arbeit ist frei, aber an die Bedingungen des Bodens und des Himmels ist er ge bunden. So ist die Arbeit des Schriftstellers frei, sich zu bemühen um die höchste Ernte; aber gebunden ist er in die Volkheit, wie sie ihm Gott bestimmt hat. Geist und Wille sind dem deutschen Schrift steller durch seine Volkheit gegeben. Niemand behaupte, daß in dem Gedanken Volkheit, der soviel größer ist als der Einzelne, nicht Geist genug sei! Geist ist darin mehr, als jemals auszuschöpfen. Darum aber auch ist die Aufgabe so unendlich groß. Und wie ist es mit dem Willen der Volkheit? Nun, auch er ist unendlich und unerschöpflich, solange es eine deutsche Geschichte als lebendiges Geschehen gibt, solange die deutsche Erde noch Frucht bringt. Wir täuschen uns nicht, daß wir ganz am Anfang stehen. Aber ist es nicht herrlich anzufangen? Ist es nicht schön im Morgenrot? Ist es nicht erhebend, zu marschieren unter der Fahne, der die Worte eingeschrieben sind, beide: Geist und Wille? Hundert Jahre Deutsche Kurzschrift. Von Professor Eduard Pfaff. Am 1. Oktober v. I. wurde der Kreis geschlossen, der hundert Jahre deutsche Kurzschrift umfaßt. An diesem Tage machte der nationalsozialistische Staat mit der Gründung der »Deutschen Steno grafenschaft« der noch bestehenden Zersplitterung auf stenografischem Gebiet ein Ende. Sämtliche deutschen Stenografieschulen schlossen sich zusammen, und in Zukunft wird in Deutschland nur noch die amt liche »Deutsche Kurzschrift« (bisher deutsche Einheitskurzschrift) gepflegt. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung aber bildet die geniale Tat des Münchner Sekretärs im Bayrischen Staatsministerium des Innern, Franz Xaver Gabelsberger, der vor hundert Jahren die deutsche Redezeichenkunst erfand. Als der Meister, von Schreibarbeit erdrückt, im Jahre 1817 anfing, sich mit der Schaffung einer Schnell schrift zu befassen, dachte er zunächst nur an eine verkürzte Lang schrift, um mit Hilfe einer solchen Schrift Diktate eines höheren Staatsbeamten aufnehmen und ihn so in seiner Arbeit unterstützen zu können. Aber die Zeit war für eine solche Anwendung der Kurz schrift noch nicht reif, und Gabelsberger fand mit seinem Plan keinen Anklang, der ihn aber trotzdem in seinen Mußestunden weiter- beschäftigte. Als Bayern am 26. Mai 1818 eine Verfassung mit einer aus zwei Kammern bestehenden Ständeversammlung erhielt, erfuhr Gabelsbergers Plan nicht nur einen neuen Antrieb, sondern es wurde ihm auch ein höheres Ziel gesteckt. Aus den Zeitungen wußte er, daß in England und Frankreich die Reden der Ständeversamm lungen mit Hilfe von Schnellschreibern festgehalten wurden. Sollte es nicht möglich sein, durch Schaffung einer deutschen Schnellschrift dem parlamentarischen Leben einen Dienst zu erweisen? Für seine Aufgabe war er genügend vorbereitet. Wie er selbst erzählt, hatte er sich in seinen Jünglingsjahren (Gabelsberger wurde am 9. Februar 1789 in München geboren) viel mit Sprach-Unterricht und Kalli graphie abgegeben und auch bereits im Jahre 1809 die Lithographie erlernt, die ein anderes Münchner Kind, Alois Senefelder. dessen Todestag am 26. Februar d. I. zum hundertsten Male wiederkehrte*), *) Wir verweisen auf Nr. 45 des Börsenblattes, in der wir eine größere Arbeit über Senefelder veröffentlichten. D. Schristl.