Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.05.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192405015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19240501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19240501
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-05
- Tag 1924-05-01
-
Monat
1924-05
-
Jahr
1924
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
8 wesentlich herabgesetzt ist, nicht noch weiter zu be einträchtigen. Steuerpflichtig sind die Unternehmer aller in Sachsen betriebenen stehenden bewerbe (auf fortgesetzte Gewinnerzielung gerichtete selbständige Tätigkeit, so auch Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Fischerei, Obst', Dein-, Garten-, Pergbau-, Steinbruchbetrieb und sonstige Bodenbewirtschaftung, ebenso die Tätigkeit der nicht auf den Kreis der Mitglieder beschränkten Erwerbs- und Wirtschaftsgenofsenschaften, sowie Versichernngs» vereine auf Gegenseitigkeit). Nichtsteuer' pflichtig sind wissenschaftliche, künstle« ische, schriftstellerische und erziehende selbständige Tätig keit, solang« mit dieser nicht besondere Anstalten oder Unternehmungen betrieben werden. Unter» nehmer, die außerhalb Sachsens ihren Betriebssitz haben, sind in Sachsen hinsichtlich des Gewerbe betriebes steuerpflichtig, den sic in einer sächsischen Betriebsstätte unterhalten. Die Vorauszahlungen sind verschieden festgelcgt. Es ist zu entrichten: 1. von allen Gewerbetreibenden lau» send die bereits seit Anfang dieses Jahres zur Er» Hebung kommende Abgabe nach Maßgabe der im Gewerbebetrieb gezahlten Gehälter und Löhne (Br» beitgebcrabgabe). Sie beträgt die Hälfte des Be» träges, den der Arbeitgeber vom Arbeitslohn der in seinem Betriebe beschäftigten Arbeitnehmer ge- muß 8 48 des Einkommensteuergesetzes einzubehalten und an das Reich ab'uführen hat (also die Hälfte des jeweiligen Lohnsteuerabzuges). Fälligkeit am 5., 15. und 25. jedes Monats mit dem auf die voraufgogangene Monatsdekate entfallenden De» trage. 2. von allen für das Rechnungsjahr 1923 zur Gewerbesteuer veranlagten oder nachträglich zur 4. Teilzahlung 1923 herangezogenen Gewerbetreiben» den (im Jahre 1923 entstandene oder wesentlich ver änderte Betriebe) und von den nach dem 31. De» zember 1923 neu entstehenden oder in ihrer Grund lage wesentlich veränderten Gewerbebetrieben ein. Gesamtbetrag von 30 Goldmark. Fälligkeit je zur Hälfte am 15. Mai und 15. November 1924, jedoch ist es ermöglicht, in vier Teilzahlungen, also je 7.50 Goldmark am 15. Mai, 15. August und 15. No» vember 1924 sowie 15. Februar 1925 abzusühren. 3. von allen vermögenssteuerpflichtigen Gewerbe' treibenden außerdem 1 Prozent des Betriebsver mögens. Betriebsvermögen ist das in der BermögenSsteuer-- erklärung 1924 angegebene Betriebsvermögen. Vom Be triebsvermögen dürfen ab gesetzt werden: a) die dem Betriebe dienenden Grundstücke. Geböude und sonstigen grundsteuerpslichttgen Bestandteile, b) die aus den Grund stücken und Gebäuden ruhenden Lasten sowie Schulden, sofern sie nicht etwa bet der Angabe des Betriebs vermögens in der BermögenSsteuererklärung bereits ab gezogen wurden, c) die zur Betrtcbsgründung. -Erwer bung oder -Erweiterung aufgenommcnen Schulden, falls ste nicht schon beim Betriebsvermögen in der Vermögens steuererklärung abgesetzt wurden. Di« Ausführungsverordnung des sächsischen Finanzministers vom 19. April 1924 hat im Wider spruch zu dieser Gesetzesbestimmung angeordnet, daß diese Grundstücks- sowie Detriebsschulden nicht abzugsfähig seien, wofür er sich auf 8 33b und c der Ausführungsverordnung zum Gewerb«steuerge^etz vom 20. Juli 1923 bezieht. Solange die Regierung das Gesetz vom 22. Januar 1924 (betr. die Voraus zahlung auf Gewerbesteuer 1924) in diesem Sinne nicht abändrrt, kann die gegenteilig« Auffassung des Finanzministers nicht maßgeblich sein. s Landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und gärtnerische Betriebe, bet denen das Betriebsvermögen ! nicht ztsfernmäbig festsieht, haben 25 Prozent des sinanz- j amtlich zur Vermögenssteuer festgcstclltcn Grundver mögens als Betriebsvermögen anznnehmcn. Für körperschaftS steuerpflichtige Er- § werbSgcs'Nkfchasten gilt als Mindcstbetrag des Betriebs vermögens die Summe der für die Anteile an der Ge sellschaft und für die von der Gesellschaft auSgegcbenen Genustscheine und Schuldverschreibungen festgesetzten SteuerkurS- oder ermittelten VerkaufSwerte (per 31. De zember 1923). Das Betriebsvermögen sächsischer Unternehmer, die > auch außerhalb Sachsens Betriebs st ätten unterhalten, und das Betriebsvermögen autzersächstscher - Unternehmer, die in Sachsen eine Betriebsstätte haben, ist für die Gewcrbesteuervorauszahlung 1924 nach dem Verhältnis der in einer Woche insgesamt auSgegcbenen Gehälter und Löhne zu dem von diesen auf den sächsischen Betrieb entfallenden Betrage fcstzustcllcn. Gewerbebetriebe, die nach dem 31. Dezember 1923 cntstehen oder sich in ihrer Grundlage wesentlich ändern, sind, falls ste bei Entstehung vor dem 1. Januar 1924 vcrmögcnsteucrpfltchtig gewesen wären, auch nach Ziffer 3 vorauSzahlungspsltchtig, und zwar mit einem Betrage, der den Vorauszahlungen entspricht, die gleich artige Gewerbe gleichen BetrtebsumsangcS entrichten. Gibt ein solcher Unternehmer eine von der Steuerbehörde geforderte Erklärung nicht oder nach der Auslassung der Steuerbehörde unrichtig ab, so setzt die Veranlagung-- bchördc die Vorauszahlung fest, gegen die lediglich die Beschwerde als Rechtsmittel gcgcor» ist. Die Vorauszahlungspflicht mit 1 Prozent be» Betriebsvermögens besteht auch dann, wenn der Wert des Betriebsvermögens allein den Betrag v„n 5099 Goldmark (V-rmögcnssteueranfangsbetrag) nicht überstieg, wohl aber durch das Zusammentreffen mit Grund- und Kapitalvermögen eine Dermögensteuer- pflicht entstanden war. Der Veranlagungsbehörde ist das Recht eingecäumt, die Vorauszahlung von sich aus besonders festzusetzen, wenn eg die Ücker» zeugung erlangt, daß der Steuerpflichtige das Be triebsvermögen nicht ordnungsmäßig nach den Vor schriften des Vermögenssteuergesetzes und dessen Durchführungsbestimmungen angegeben hat. Fällig- keil: je 14 Prozent am 15. Mai und 15. November 1924, es ist aber nachgelassen, in vier Teilzahlungen, also je !4 Prozent, am 15. Mai. 15. August, 15. No vember 1924 und 15. Februar 1925 zu zahlen. Eine Steuererklärung haben die zur Vermögenssteuer pflichtigen Unter- nehmer (oben unter drei Genannten) abzugcben. Die Erklärung hat das in der Vermögenssteuer erklärung vom Steuerpflichtigen angegebene Be triebsvermögen bzw. den diesem gleichgestellten, in der Vermögenssteuererklärung enthaltenen Der- mögensbetrag zu enthalten; gegebenenfalls ist ihr eine Abschrift der für die Vermögenssteuererklärung maßgebenden Bilanz anzuführen. Bei Beteiligung mehrerer Unternehmer an einem Betriebe muß in der Erklärung das gesamte Betriebsvermögen ohne Berücksichtigung der Beteiligung angegeben werden. Für mehrere selbständige Betriebe eines Unternch» mers sind getrennte Erklärungen abzugeben. Körperschaftssteucrpflichtige Erwerbsgcsellschaften, die ihr Betriebsvermögen nach dem Gesamtbeträge der Stcuerkurse ihrer Anteile usw. bewerten müssen, können dessenungeachtet eine Erklärung über Las Betriebsvermögen cinreichen. Sie müssen in ihrer Erklärung jedoch die Summe der für die Anteile an der Gesellschaft und für die von der Gesellschaft ausgegebenen Genußscheine und Schuldverschrei bungen festgesetzten Steuerkurswerte oder ermittel ten Derkaufswerte angeben, wie sie si« in der Der- mögensteuererklärung als steuerbares Vermögen be ziffert haben. Falls sie beantragen, den wirklichen Wert des Betriebsvermögens nach dem Gewerbe» steuergesetze vom 22. Januar 1924 der Voraus zahlung zugrunde zu legen, so müssen sie neben dem bilanzmäßig berechneten Betriebsvermögen den Wert der dem Betriebe dienenden Grundstücke, Ge» bäude und sonstigen grundsteuerpflichtigen Bestand teile angeben, die sie vom Betriebsvermögensroerte absetzen dürfen. Nach der wie oben ausqcfllhrt an- greifbaren Auffassung des sächsischen Finanz ministers sind in der Erklärung dem Betriebsver mögen hinzuzurechnen die vom Betriebsvermögen a-bgesctzten Schulden und Lasten, die auf Betriebs» grundstücken pp. ruhen, und die zur Betriebs-Grün dung, -Erwerbung und -Erweiterung ausgenommen!!» Schulden. Das sich alsdann ergebende Goldmark» betriebsvermögen ist auf volle Hundert nach unten abgerundet für die Vorauszahlung maßgebend. In der gleichen Weise spezifiziert ist das Betriebsver mögen sonstiger Gewerbesteuerpflichtiger (die zur Vermögenssteuer pflichtig sind) in einer Erklärung anzruzeben, die natürlich den Passus der Kapital anteile nicht enthält. Die Vordrucke werden von den Steuer behörden entsprechend ausgegeben. Lin weiteres Formular besteht für die. landwirtschaftlichen, forst wirtschaftlichen und gärtnerischn Betriebe und ferner ein besonderer Anlagcvordruck für die Betriebe mir außersächsischen Betriebsstätten oder Betriebsstätten in verschiedenen sächsischen Gemeinden. Abgabetermin der Erklärung: 15. Mai 1924, spätestens 31. Mai 1924. Steuer bescheid wird über keine der oben zu Ziffer 1—3 «len 1. ' Dom Tage Mai-Spaziergang Zu den Leuten, die am I. Mai ihren Humor ver lieren und schimpfen, gehörte offenbar auch Wilhelm Raabe. Da siillr wir just diese Lesefrucht iu den Schoß: »Redet uns nicht von den Wonnen d^s Maien; der Akai ist ein Lump, und wer ihn aus dem Ka- lcnder striche, der würde ein gutes Werk an der durch den grinsenden Betrüger vergällten Menschheit tun. ..." Ob diese unfreundliche Begrüßung des Frühlingsmonats etwa heimlicherweise irgendwie mit der roten Färbung des 1. Mai zusammen hängt? Ein Freund des Sozialismus wird er wohl schwerlich gewesen sein, der bitter-lustige, alte Braunschweiger. Ab«r uns stört er nicht, der 1. Mai. wiewohl man heute diesen Frühlingsfeiertag der Ar- beiterschaft ganz anders spürt als damals in c«n siebziger Jahren. Si« haben ihn nun einmal er kämpft, diesen Tag; er ist für die Arbeiter ein Sym bol, und wenn man auch kein Sozialist, sondern ein fach nur ein Mensch ist. darf man sich mit ihnen über das Errungene freuen. Ich finde, daß der rote und g r L n e Anstrich des Tages eine ganz gute Farbenmischung ergibt. Rot angestrichen ist er auf jeden Fall, sowohl für jene, die ihn unfreiwillig und grollend mitfeiern als auch für den großen Teil unserer Mitbürger, denen er den höchsten Feiertag bedeutet. Nun, wer das Rot absolut nicht vertragen kann, freue sich wenigstens des mai- lichen Grüns, wandere hinaus in Wald und Busch und hole sich eines jener Hellen Birkenstämmchen, die oussehen wie weißgekleidete Konfirmandinnen mit grünen Schleischen im Kleid und Haar. Dieser Massensvaziergang ins Grüne ist ja nicht rerboten. Wenn es nicht regnet —- und seit der 1. Mai politisch geworden ist, regnet es grundsätzlich — werden wir zu Tausenden in mehr oder minder ge schlossenem Zuge hinauswandern. Hingegen dürfen die Arbeiter an ihrem höchsten Feiertag nicht ge schlossen spazieren gehen. Das ist ihr Pech. Der fast schon klassische Maispaziergang der Arbeiterschaft, bei dem sie sich gemeinsam des Erkämpften freuen, ist diesmal der eifrigen Regiererei zum Opfer gefallen. Die Arbeiter dürfen wohl in abgegrenzten Räumen zusammenkommcn. aber draußen bewegen dürfen sie sich nicht. Einzeln wohl, aber der Masscnschritt der Ar- beiterbataillone ist doch nun einmal die typische Mai- Bewegung. Und Bewegung ist doch s o gesund! Man strampelt sich das, was man in den Versammlungen gehört hat, ordentlich von der Seel«. Damit ist es nun diesmal nichts. Und während wir Bürger an dem Feiertag, der nicht der unsere ist. nass; Herzens- k-ust spazieren gehen können, dürfen die Arbeiter an dem Feiertag, der ganz der ihre ist. nicht so spa zieren gehen, wie sie wollen. Eine solche ironische Blüte des 1. Mai müßte uns bürgerliche Spazier- ganger ein wenig nachdenklich stimmen und uns zu einer stillen Freundlichkeit jenen Mitbürgern gegen über verpflichten, denen wir den schönen, durch- schmarotzten Feiertag zu verdanken haben. X« <4. Sächsische Gewerbesteuer 4924 Don Syndikus Otto ttoudors (Leipzig) Rach dem Gesetz vom 22. Januar 1924 erfolgt vorläufig keine Veranlagung zur Gewerbesteuer für das Rechnungsjahr 1924, jedoch sind Vorauszah lungen darauf zu leisten, deren Höhe eine ganz be- trächtliche Belastung der sächsischen Wirtschaft dar» stellt. Es wäre sehr zu wünschen, daß die Steuer nach Maßgabe des Ertrages der Unternehmungen neu geregelt und dadurch eine Minderung der Be lastung herbeigeführt würde, um die Konkurrenz fähigkeit der sächsischen Industrie, die an sich durch die Ungunst der heutigen Wirtschaftsverhältniss: SdWMM IMelm Iilen«n spricht vonnorrto«, tton 1. Ittol, «donü« 8 vkr, iw zrolrso Saals dsi Lonoraock üdsr „I^edevskra^eii äsr Loamtevsokatt" Mit einem Kindertransport nach Dänemark Don ttkalior Noovnelovor Freunde, die nach Dänemark fuhren, forderten mich auf, einen Transport deutscher Kin de r in dieses gastliche Land zu begleiten. An einem hellblauen Tage versammelten wir uns früh um 8 Uhr auf dem Stettiner Bahnhof. Am Abend vor her hatten die Schnellzüge eine große Schar kleiner Gäste, Knaben und Mädchen meist zwischen 6 und 12 Jahren, aus vielen Städten Deutschlands nach Berlin gebracht, wo sie an den verschiedenen Dahn- Höfen von Mitgliedern des Roten Kreuzes empfan gen, verpflegt und in geheizten Wagen zweiter Klasse die Nacht verbracht hatten. Nun saßen sie, Stullen und Apfelsinen futternd, Pappschachteln und Teddybär«» auf den Schoß, friedlich und erwar tungsvoll in zwei geräumigen Waggons, die an den Schnellzug Berlin—Kopenhagen angehängt waren. Die Reise begann; vielmehr ste begann nicht. Aus heiterem Himmel in des Wortes wahrer Be deutung, denn eine unwahrscheinlich warm« Sonne strahlte, hatte den Lokomotivführer ein drohendes Signal erschreckt. Beamte rasten den Zug entlang. Waren Brücken gesprengt. Schienen aufgerissen, Bahn höfe eingestürzt? Nichts von alledem. Ein kleines Fräulein aus München, um den Hals eine riesige Botanisiertrommel, in der Hand die Reste eine» heimatlichen Stollens, hatte in Unkenntnis der ewigen Gesetze des Eisenbahnministeriums die Not brems« gezogen, weil ihr Mantel daran hing. Und obwohl die Verfassung bei der Ahndung so schrecklichen Frevels keine Ausnahme kennt, ich muß es zur Ehre der Gesetzgebung sagen: selbst d-e älte sten Schaffner lächelten gutmütig, als sie den Schaden wieder flickten. Und in gehobener Stimmung, wenn auch mit einiger Verspätung, fuhren wir endlich gen Norden ab. Der elfjährig« Sohn einer Dresdner Bekannten sitzt eifrig plaudernd im letzten Loupee. Seine Nach barin, ein blondes Mädchen aus Blasewitz hört ihm voll Aufmerksamkeit zu. Plötzlich, um ihrerseits die Unterhaltung zu beleben, fragt sie ihn ernsthaft: „Harald, du schätzt wohl die Weiber?" Im Inner- sten getroffen, ziehe ich mich zurück. Im Nebencoupä herrscht die bayrische Urkraft. Mit einem respektab len Messer säbelt ein zukünftiger Hitler-Gardist an seinem Laib Brot herum; ich bewundere die ange borene Geschicklichkeit, mit der er das Messer mit dem aufgespießten Stück Brot durch seinen Mund zieht, eine vereinfachte Technik des Essens, die dem völkischen Gedanken alle Ehre macht. Warnemünde naht. Eine glatte, blaue Meeresfläche, nur von fernen Seglern bewegt, be wahrt uns vor sämtlichen Schrecken der Seekrank- heit; bald landen wir auf dänischem Boden. Eine kleine, blauäugige Freundin mit langen Zöpfen au» Wilmersdorf hat plötzlich Heimweh; fassungslos weint si«. Die grüne Schleife ist schon bedenklich ge- lockert. Vergebens bemühe ich mich, ihr den Unter schied zwischen der Intel Bornholm, wo sie auf- genommen ist, und dem Wannsee zu erläutern; ver gebens preise ich die Wunder der dänischen Schlag sahne; erst als wir das Taschentuch aus dem fest verschnürten Rucksack ausgraben, versiegen die Tränen, und als der Zug fährt, lächelt sie wieder. Erika hat mir diesen Trost im Unglück nicht ver gessen. Als wir zum zweitenmal das Schiff be treten, bringt sie mir einen kleinen Strauß blauer Blumen, den ihr ein dänisches Kind am Quai zur Begrüßung geschenkt hat, und lagt schüchtern: „Für den Herrn Lehrer"! Wenn auch alle männlichen Be- gleiter auf einem Kindertransport „di« Herren Lehrer" sind, erinnere ich mich dunkel, einst einem besseren Beruf gefrönt zu haben . . . Eine alte Fabel behauptet zwar, der Dichter stehe vor Gottes Thron, und auch Schiller sagt es; aber vielleicht irrt er. Ich erkläre meinen Lesern ernsthaft, daß ich auf keinen Erfolg eines Werkes jemals so stolz gewesen bin, al» wie auf Erikas Blumen. Das Paradies der Kinder ist mir näher al» der Gott der Literaten. So stecke ich die Blumen an meinen Mantel. „Das steht Ihnen gut", sagt Erika kritisch. Die weißen, friedlichen Bauerngchöfte, käst alle schon mit Radioantennen versehen, ziehen auf der weiten Ebene vorüber. Dicke, stramme, paus bäckig« Kinder, frisch und gesund wie rote Erdbeeren, spielen in den Gärten — ein trauriger Kontrast zu - den blassen, abgezehrten Gesichtern. Viele können den Transport nur mit Mühe ertragen, erbrechen sich vor Erschöpfung und liegen ermattet auf den harten Bänken. Meine Herren Politiker in allen Ländern! Möge der Fluch dieser armen, elenden Jugend nie über Ihr Haupt kommen! Bevor Sie in Ihren stei nernen Parlamenten zur Abstimmung schreiten, lassen Sie sich von Ihrer Partei einen Tag Urlaub geben und fahren Sie mit einem Kinder transport nach Dänemark. Zwingen Sie Ihre Führer und Generäle, das wahre Bild des Volkes zu sehen, über dessen Schicksal sie entscheiden. Mit einem Kindertransport nach Dänemark! 2 Vielleicht wären Sie ebenso erschüttert wie ich, wenn Sie gesehen hätten, wie an den kleinen dänischen Stationen einfache Leute die Kinder in di« Arme nahmen, sie streichelten und küßten und zu sich nach Hause führten mit jener selbstverständlichen Güte, die von keiner Phraseologie verdorben ist. Vielleicht, meine Herren von den Kommissionen, ist di« Liebe wichtiger als Programme. 1917, mitten im Kriege, rief der Folkethingsmann Z. P. Nielsen,- ein einfacher Bäcker, der seitdem den ehrenvollen Beinamen „dcu deutsche Kindervater" erhalten hat, eine Hilfsaktion für die deutschen Kin der ins Leben, die an die Seite anderer Bewegun gen für die vom Kriege am schwersten betroffenen Länder trat, und mit diesen in dem „Komitee zur Hilfe der Kinder in den kriegsver heerten Ländern" zu einer großen Gemein schaft zusammengeschlossen wurde. Aufgabe des Ko mitees war nicht nur di« Aufnahme der Kinder in Dänemark, sondern auch ein großzügiger, musterhaft organisierter Vcrpflegungsplan innerhalb Deutsch lands und Oesterreichs. Die finanziellen Lasten dieses Unternehmens wurden zunächst fast ausschließ, lich von den dänischen Gewerkschaften ge tragen, und zwar wurde jedes Mitglied zu einem monatlichen Beitrag von 5 Kronen verpflichtet: spater erreichte Nielsen die Unterstützung der Regierung; die sich verpflichtete, ein Drittel des im Lande auf gebrachten Geldes ihrerseits dem Komitee zu geben. Bon l9l7 bis jetzt sind ungefähr 40 000 deutsche Kinder in Dänemark ausgenommen und monatelang verpflegt worden, was um so erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, daß da« ganz« Land kaum mehr Eia- genannten Vorauszahlungen erteilt, zu den Voraus» zahlungen lediglich durch öffentliche Bekanntmachung aufzefordert. Verzug der Vorauszahlung verwirkt für jeden angefangenen Kalendermonat einen Verzugs, zu sch lag von 20 Prozent auf den Rückstand, be ginnend mit dem 1. Tage de» auf den Fälligkeit»» termin folgenden Kalendermonat», bei dreimona tigem Verzug einen Zuschlag von 30 Prozent auf Rückstand an Steuer und Zuschlag. G G » Gegen die Höhe des 4. Termins der Gewerbe steuer auf 1923 sind, wie uns der Rat der Stad» Leipzig mitteilt, Einsprüche in großer Zahl er hoben, und es sind auch viele Erlaßgesuche beim Stadtsteueramt eingereicht worden. Es besteht nun vielfach die Meinung, daß das Stadtsteueramr oder sein Dezernent ohne weiteres in der Lage sei, die Steuer herabzusetzen. Das ist ein Irrtum. lieber den Einspruch hat derjenige Gewerbcsteuerausschuß zu entscheiden, der die Veranlagung vorgcnommen hat. Den demokratischen Tcndezen unserer Zeit entsprechend ist auch bei der Steuerveranlagung das Schwergewicht in die von der Gemeindevertretung gewählten Ausschüsse gelegt morden; sie ruht also nicht beim Stadtsteueramt selbst. Was weiter die Erlaßgesuche angeht, so kann das Stadtsteuer amt nur Beträge bis zu 300 Mark staatliche Ge werbesteuer erlassen; über den Erlaß höherer Be tröge entscheidet das Finanzministerium, dem im Einzelfalle Bericht zu erstatten ist. I» jsäsr vlledbsllällmx lliiKMMßi'.r erkalten 8ie deute clis soeben ersekisneoeu neuesten Helte von rvvi Mustrlvrlou LoltseLrMell Lis tsxtliek uad illustrativ djtzcksrum erstklassig ausgestattet xvurdeo. Lmrvlprvls: vm 1.SV Im Abonnement berogsni SaldjSdrlird 6m. 8.— Mrllck . . „ 16.- llir Hie Im Hk. S NnLSlprok: vw. 0.50 lin ^bonllsuieut berogen: NaldjSkrUttr (12 ttskte) 6m. S.40 Mrlick (24 Nekte) . . „ 10.80 Vater den Mitarbeitern lür diese llette dellockan sieb ckiesma! u. a. clis 8<driktsteller: tteinr Tovot«, Otto klaks, ^Verner Scksll, Lva Oräün von kaudissio, K. Oeilller, Kola Stein, Vorst Vodemvr, sovie namkatte ttüllatler. bereiten Sie sieb clurod clsn krvsrd clieser deicksn interessanten Tsitsokrikten eine gvouL- reicds ^dvveckslung naok des Alltags küaerlei! ZVo keine lZuobbandlunA am Orte, ivencle man siek an die l-eipriger VerIagsdruckerei 6. m.d.H. vorm. kiscder L Ilürst«», I-elprrlg, sodaanlsgaase 8 .4dt«IIuaz <j«r illustrisrteo 2elt»cdrikteo . „Vie Orosts >VeIt" „Vas beben" / „Vvr Vie Vas" „Kinder-Kurier" wohner hat als Berlin! So war Dänemark der erste neutrale Staat, der durch Aufnahme der Kin der aus dem Ruhrgebiet einen indirekten Pro- test gegen die Besetzung zum Ausdruck brachte; die Leiterin der dänischen Hilfe in Deutschland, Fräu lein Masson, die im Roten Kreuz mit ungemeiner Hingabe und Organisationsfähigkeit tätig ist, fuhr unter den entsetzlichsten Schwierigkeiten, bedroht von allen Härten der okkupierenden Macht, ins Ruhr gebiet und sammelte die Kinder. Sämtliche Kosten dieses großzügigen Liebeswerkes trägt nach wie vor Dänemark; diedänische Regierung hat den kosten losen Transport der Kinder innerhalb ihres Landes bereitwilligst gewährt: die deutsche Regierung konnte sich zu diesem Entschluß für ihr Eisenbahnnetz erst seit Januar dieses Jahres durchrinqen, bis dahin gingen alle Transporte zu Lasten des Roten Kreuzes. Es ist schwer, den Bericht an dieser Stelle nicht mit einer Satire zu unterbrechen! Der Zug hält. Wir sind in Kopenhagen. Die große Halle des kmuptbahnhofes verschlingt uns; es hcißt Abschied nehmen. Noch einmal stellen sich alle, auf, drei und drei in langer Reihe mit ihren Papp schachteln, Rucksäcken und Botanisiertrommeln. Frau Möller, die Helferin in Dänemark, löst uns ab und übernimmt den Transport; bald wird jeder seinen Bestimmungsort erreichen. Lin letztes Winken, Händeschütteln, Grüßen; ein Kuß von Erika. Lebt wohl, süße Kinder! Ein Hauch von Zärt lichkeit begleitet euch in die neue Heimat. Der Schlaf wird euch leicht sein. Seid geliebt! Seid gesegnet! Proletarier. Diese Menschen, die oync Zwei fel geboren sind, um schön zu sein, denn jedes Ge- schöpf hat seine entsprechende Schönheit, haben sich ron ihrer Kindheit an unter den Befehl der Gewalt gestellt, unter die Regierung des Hammer», der Blechschere, der Spinnerei, und haben sich schnell „vulkanisiert". Ist nicht Vulkan mit seiner Häßlich, kett und seiner Kraft das Sinnbald diese» häßlichen und starken Volkes, das erhaben ist in mechanischer Intelligenz, geduldig zu seinen Gründen, schrecklich «inen Tag im Jahrhundert und entzündbar wie da» Pulver.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)