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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.12.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192312255
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231225
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231225
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-12
- Tag 1923-12-25
-
Monat
1923-12
-
Jahr
1923
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v least» g, ckea LS. ve»emder »«tt« » Vie -eutfthe Republi Ein Weihnachtsgruß des Reichskanzlers Herr Reichskanzler Dr. Marx sendet uns als Beitrag zu unserer Woih nachtsnummer die folgenden, vom Vertrauen in die Zukunft des deutschen Volkes getragenen Zeilen: Üm unser deutscdes ^eidaackts- kest Kaden uns schon manck« Ausländer de- neiltet, ^ber eeracle dieses ?est ist in der Tat so deutsch. 626 allen Versucken anderer, es nackruskmen. eerade das Leste ielilt: der Anteil des deutscken Oemütes. der den kei- ÜL«i ^dend erst ru dem eemackt Kat. was er uns allen seit der Kinderreit eÄrlieden ist- ^lan Kat draußen über dieses deutscke Oemüt und die deutscke 8entimentalitat okt gespöttelt, und tatsäcklick könnte oberftäck- licke öetracdtune ru dem 8cklu6 kommen, dast mindestens io der Politik etwas mekr männlicde dlückternkeit besser kür uns wäre, ^der ick muk gestekeo. da6 ick nickt einseke, warum sick Oemüt und klückternkeit aus- scklieken sollten. Oewiff trikkt « ru, da6 uns sentimentale Illusionen über unsere I^ge und k^öglick- keitso nickt rum ^ukstieg kükreo werden; aber ebenso deutlich Kat sick dock in den klackkrioesjakren drinnen und drsuken ge reift. d«6 auck durcd die kleinen 8cklsu- keiten der Kloben Oesckäkts- und Konjunktur politiker Deutschland und Europa nickt ge rettet werden können. Orolle Oedanken kommen aus dem Her ren. >Vss wir drauckcn, ist dies: Heikes Herr, aber küklen Kopk; Idealismus, aber ge paart nickt mit Ideologie, sondern mit nüch ternstem Realismus kür seine Verwirklichung Irotr aller ksMicken Erscheinungen der letrteo kakre Kade ick keinen Augenblick den Olauben an dasdeutsckeVolk ver loren. den Olauben. da6 der deutscke Idealis mus noch im deutscken Volke lebendig ist. Diese flamme wird uns — clarauk vertraue ick — in eine neue Zukunft leuchten. Spiel, Nie Persönlichkeit des Kaisers, Wert und Aufrichtigkeit seiner Ratgeber und sieht uns immer deutlicher ins Verderbe-' treiben. Auch er flüchtet sich in seine Tag her und fühlt erst jetzt die patriotische Pflia-c, der Nation die Wahrheit über die Zeit „des Aufstiegs und der Größe" zu sagen. Sie alle schweigen aus Monarch!- scher Gesinnung, aus jener Dasallentreue heraus, die Recht und Unrecht mit den Herren trägt und Recht und Unrecht des Herrn ver- teidigt. Ob uns diese Männer mit einem recht- zeitigen offenen Wort hätten retten können, bleibt zweifelhaft im Hinblick auf die Mitschuld der Oberschichten der Nation, die sich in dem falschen Glanze sonnten und in Aeußerlichkeit und Strebertum ihr Glück zu suchen gelernt hatten. „Zu Befehl, Euer Majestät!": mit dieser ewig wiederkehrenden Formel charakterisiert Graf Zedlitz das Verhältnis dieser Oberschichten zum Monarchen, vom Genevalstabschef Grafen Schliessen an bis hinunter zum letzten Reserveleutnant, der den Stolz auf seinen bür gerlichen Beruf beissitestellte, wenn er eine Weile des Königs Rock tragen und mit einem aktiven Offizier verwechselt werden durfte. Der Gehorsam — nicht aus tiefstem Pflichtgefühl, sondern aus Rücksicht auf das Vorwärtskonrmen, auf Titel und Orden — die Entäußerung der eigenen Persönlichkeit war die Quelle dieses Gehorsams. Die Monarchie war der fruchtbare Boden solcher Entartung, die gefeierte Mon- archie eines Hohenzollern, die angeblich von jeder Korruption freie deutsche Monarchie! Bismarck hatte einst in den 60er Jahren das ketzerische Wort gesprochen: für seinen König sei er bereit, in die Vendee zu gehen (d. h. ge gebenenfalls mit allen Mitteln für ihn zu kämpfen), aber für den „ganz unhistorischen gott- und rechtlosen Souveränitätsschwindel" der übrigen deutschen Fürsten auch nur einen Finger aufzuheben, fühle er „in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit". So unterschied bereits Bismarck, der Royalist, zwischen wahrer und falscher Monarchie, und man darf vielleicht die Frage aufwerfen, wie sich dieser leidenschaft liche Geist entwickelt haben würde, wenn ihm seit 1862 ein Wilhelm II. gegenübergestanden hätte. Niemand kann sich heute mehr darüber täuschen: Bismarcks Vasallentreue war in erster Linie das Ein stehen für sich selber — diese neue deutsche Monarchie galt ihm als voll- kommen und unantastbar, weil er sie geschaffen, e r sie leitete, e r sie verkörperte. Gewiß wirkten in ihm die alten preußischen Ueberlieferungen mit, gewiß war er preußischer Junker und preu ßischer Offizier in seinem ganzen Wesen, aber das Maß seiner revolutionären Taten, wie sie in der Umstürzung etlicher deutschen Throne und in der Gewährung des allgemeinen Stimmrechts hervortraten, war doch wohl nur um deswillen begrenzt, weil Preußen und Deutschland ihm dann den freien Spielraum zur Entfaltung seiner Kräfte gaben. So schnitt er die Reichsverfassung auf sich selber zu, und erst im erzwungenen Ruhestand« ging ihm die Er- kenntnis auf: er habe hinsichtlich der Kronrechte vielleicht doch des Guten etwas zuviel getan. Es ist eine unbeweisbare geschichtliche' Erkennt- nis, daß die Reichsverfassung Bismarcks nicht nur wie jedes derartige Werk durch die Zeit- umstände bedingt, sondern auch auf die Person- lichkeitrn Bismarcks und Wilhelms I. zugeschnit- ten war. Wilhelm I. war dem Kanzler gegen- über der modern verfassungsmäßige Monarch, der seinen Willen überall zugunsten eines Ge- meinschaftswillens ausschaltete, nur daß freilich Bismarck nicht die deutsche Gemeinschaft, ver körpert durch Regierung und Reichstag, dar- stellte, sondern ausschließlich er selber, «In zwei- ter Monarch mit völlig absolutistischen Gewöhn- heiten war. Wilhelm ll. aber verschob das Verhältnis zu seinen Gunsten: der Kaiser, nicht der Kanzler bismarckischer Herkunft sollte der absolutistisch« Herrscher sein. Sie volo, «ic So viel ist gewiß: von der Vergangenheit ist ein Schleier hinweggezogen worden, der sie sonst und noch lange verhüllt hätte. Wer die Wahr heit überhaupt erkennen will, vermag sie an der Hand dieser Werke zu sehen. Durch sie be kommt die große Zeit, in der wir vor dem Kriege zu leben glaubten, ein arideres, trüberes Ge sicht. Der tiefe innere Zwiespalt der Nation, die Ziellosigkeit der deutschen auswärtigen Poli- tik, die Unfertigkeit unseres ganzen staatlichen Zustandes tritt hervor als das wahre Verhäng- nis, das in den Abgrund hineinführte, und der Kaiser und seine Berater werden zwar zu Trägern dieses Verhängnisses, aber die letzten Ursachen liegen noch jenseits dieser Personen. Lieft man den 3. Band von Bismarcks Ge danken und Erinnerungen oder die Denkwürdigkeiten Waldersees, Eulenburgs und des Grafen Zevlitz- Trützschler, so stößt man immer wieder auf dieselbe Kernfrage: sie alle fühlen oder erkennen cs sogar ganz klar, daß "Wilhelm II. Deutschland in einen Abgrund führt, und dennoch schwei - gen sie. Bismarck diktiert in tiefstem Groll, in mancher Hinsicht ungerecht übertreibend, den 3. Band seines politischen Testamentes, von dem aber erst eine spätere Nachwelt etwas erfahren sollte. Waldersee, zwischen persönlicher >Snt- täuschung und vaterländischer Einsicht schwan- kend, trägt seine Sorgen in ein Tagebuch ein, das (wenn überhaupt) ebenfalls erst künftigeren Zeiten zugänglich gemacht werden sollte. Eulen- bürg schreibt ebenfalls Tagebücher — er ist ohne Ehrgeiz, kennt das Verhängnis kaiserlicher Freundschaft, sieht mit staatsmännischem Blick, wohin die Dinge unrettbar treiben, beruhigt aber jahrelang sein von aufrichtiger Hingabe an das Kaiserpaar und von vaterländischer Sorae beklommenes Innere mit der gewaltsamen Soff- nung, der Kaffer könne doch vielleicht noch durch Erfahrungen reifen. Graf Zedlitz beobachtet -ehr Jahre lang (INK—1S13) al» kaiserlicher Hof- »«schall au» allernächster Nähe da» höfisch» Republik und Monarchie Don Krol. 0r. Nkaltar Soatr (Leipzig) Di« Geschichtsforscher hcLen gute Zeiten. Während sie sonst jahrzehntelang warten nmß- leit, ehe sich ihnen die Quellen der letzten Ber ga: genheit erschlossen, ist in der leidvollen Gegenwart eine geradezu überwältigende Fülle von Denkwürdigkeiten der in den »rtz- ten Ank^zehnton führenden Persönlichkeiten zu- tag« gekommen, und die früher so geizigen Archive der Staatskanzleien wetteifern mitein ander, das amtliche Material auf den Markt zu bringen. Sich zurechtfertigen, ist dabei das allgemein« Losungswort; um deswillen haben Tirpitz und Ludendorff, der Kaiser und der Kronprinz, Betihmann-Hollweg und Graf Lzerntn und wie sie alle heißen, ihre Aufzeich- nungen herausgebracht. Mer auch die Jahr zehnte vor dem Weltkrieg sind gesprächiger ge worden, als es unter normalen Verhältnissen der Fall gewesen wäre. Es galt einst als eine gute Sitte, mit der Veröffentlichung intimer Tagebucl)aufzeichnungen oder Erinnerungen zurückzuhalten, bis Lobende in hoher Stellung nicht mehr dadurch getroffen und Staatsinter- essen nicht verletzt werden könnten. Als die Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, des dritten Reichs kanzlers, sechs Jahre nach seinem Ableben er schienen, belehrte eines jener hitzigen kaiser lichen Telegramme den Sohn des Verstorbenen, daß diese Veröffentlichung eine große Taktlosig- keit sei (obwohl die Geschichtsforscher dafür von Herzen dankbar waren!). Der Kaiser selber hat inzwischen freilich das Beispiel gegeben, daß man sich nicht nur verteidigen, sondern auch nicht mehr Lebende (wie Bethmann-Hollweg) sehr schroff angreifen und über noch Lebende recht offenherzig sprechen kann. judoo; Kexi» voliwt», «iprvm» I«. Bismarck war zu klug und zu groß gewesen, um sein« Stellung der Welt mit solchen Worten zu ent- schleiern. Mit einem Schlage, mit der Entlassung Bismarcks, zeigt« die Reichsverfas- sung ihr wahres und dauerndes Gesicht: die Kronrechte waren alles, die Regierung, der Reichstag, die Nation waren nichts. Aber die bisnmrckische Zeit hatte die deutsche Bildungs schicht mit dem täuschenden Glauben erfüllt, daß die Reichsverfassung ein fertiges Gleichgewicht der Gewalt bedeute, das sich von Kanzler zu Kanzler und von Kaiser zu Kaiser forterben werden. Daß es sich bsi Btsinarck und Wilhelm I. um eine geschichtliche Ausnahme gehandelt habe, handeln mußte, blieb dem deutschen So bst. bewußtsein jener Tage fremd. Und deshalb ver- mochte die Kritik gegenüber Wilhelm II. mH seinen beunruhigenden Taten nicht da einzu- setzen, wo der Kernpunkt lag: bei der ver- fassungsmäßigen Stellung des Monarchen, son dern die Kritik richtete sich, wo sie von rechts und aus der liberalen Mitte geäußert wurde, aus schließlich gegen die Person des Kaisers, die doch zuletzt nur das Ergebnis einer einseitigen Der- fassungsform war. An diese Verfassung selber wagte man sich nicht heran, denn sie schien ge heiligt als das Werk Bismarcks, als das Erzeug- nis einer großen Zeit, als das Ergebnis der deutschen Geschichte, in deren kritischen Betrach, tung man sich seit 1818 überraschend schnell um- gestellt hatte, nachdem große Erfolge zu neuer Anschauung erzogen hatten, zu deren vorurteils freier Würdigung man aber selbst nach Bis- marcks Sturz den Wog nicht wieder zurückfand. Denn im tiefsten Gegensatz zu 1848 war der Glaube jetzt tief eingewurzelt, daß Republik und Demokratie (da sie die deutsche Ein- heit nicht hatten schaffen können) minderwertig an sich seien. „Gegen Domokvaten helfen nur Soldaten", schrieb Bismarck im Januar 1888 dem Prinzen Wilhelm, und mit solchen Lehren waren nicht nur Bismarck und der Prinz ge sättigt, sondern sie bedeuteten das Evangelium dieser ganzen Generation, soweit sie nicht frei- sinnig, sozialdemokratisch oder katholisch-demo kratisch (d. h. also einflußlos) war. Wer gar in fürstlicher Sphäre derart freisinnig zu denken wagte, verfiel denn Bismarckschen Bannwort der politischen Unklarheit, bedeutete eine Gefahr für Preußens und Deutschlands Zukunft. Mit sol chen Urteilen wurde Kronprinz Friedrich Wilhelm geächtet. Mitte der 80er Jahre hat dieser zu seinem Bibliothekar Dohmsn gesagt: er sehe die Zeit kommen, wo alle europäisck)en Staaten ReprMiken sein wüvdon, er glaube aber, daß diese Zeit für Deutschland noch relativ fern sei. War in diesem „unklaren" Kopfe nicht größerer Weitblick als bei seinen Gegnern? Was wir andern nun läirast wußten, hat Fürst Philipp Eulenburg als erster aus dein altpreußischen Mel öffentlich in seinen Erinnerungen aus- gesprochen: das eigentliche Verhängnis Deutsch, lands war der Ausfall der Regierung Kaiser Friedrichs, denn er würde Deutschland — so sagt Eulenburg — in eine Periode des lieber- ganges zu liberalerer Entwicklung gesteuert haben. O Diese Möglichkeit gab es nach der bismarckischen Zeit: Entwicklung der Reichsverfassung in ein wahres Gleichgewicht der Gewalten, das nach den, Vorbild der englischen Verfassung zu ge stalten zweien wäre. Dann würde Deutschland heute wahrscheinlich keine Republik sein, und dann würde uns das Erlebnis einer ebenso un- modernen wie innerlich brüchigen Monarchie er- spart werden sein. Um diese rettende Entwick lung a r.rbahnen, waren die Oberschichten der Nation unfähig. Lieber schwiegen die Bismarck, die Waldersee, die Eulenburg und wie die Sehenden und Sorgenden alle hießen, lieber schwiegen sie, als daß sie der Demokratie auch nur einen Schritt entgegenkommen wollten. Jetzt aber sind sie alle späte Ankläger gegen die Monarchie geworden, jetzt haben gerade sie uns die Augen darüber ge öffnet, daß die Monarchie auch den Weg ins Verderben bedeuten kann. Sie, die alt preußischen Grafen, die preußischen Staats männer und Generale, sagen es uns und flehen mit dem nachträglichen Bekenntnis ihrer Ein sicht um Milderung eines unvermeidlichen Schuldspruchs! Wir aber wollen rechtzeitig lernen, ehe es wieder zu spät ist. Die Zeit Wilhelms II. wird hoffentlich die Deutschen der Gegenwart und der Zukunft belehren, daß die Monarchie gut und schlecht sein kann, wie alle Geschichte es uns ebenso von der Republik lehrt. Es gibt keine ideale Staatsform auf dieser Erde, aber der von echtem Selbstbewußffetn erfüllte Mensch wird doch der Staatsform den Vorzug geben, die auf dem freien Selbstbestimmungs- recht einer reifen Gemeinschaft und auf der aufrechten Persönlichkeit aller einzelnen Staatsbürger beruht, gegründet auf Selbst- Verantwortung und Freiheit. Eben nach den Einblicken in die Monarchie Wil- Helms II., in ihre vollkommene Unzulänglichkeit, in ihre Vernichtung moralischer und persön licher Werte (wie Zedlitz es uns unwiderleglich schildert), steigt die RepuÄik nicht nur als un- vermeidliche geschichtlich« Gegensätzlichkeit, son- dern auch als Befreiung von unerträglich ge wordener Belastung empor. Bismarck, Walder- see, Eulenburg, Graf Aedlitz-Trützschler sind die Erzieher zur Deutschen Republik geworden. Ich glaube nicht der einzige zu sein, der sich nach diesen Einblicken kn die Monarchie Wilhelm» II. vor aller Öffentlichkeit zu dem Bekenntnis gezwungen sieht, daß für ihn die Monarchie ihren Nimbus endgültig verloren hat und daß wir der Wahrheit ruhig ins Gesicht sehen müssen: daß sie unser Verhängnis geworden ist. Wir verkennen die Mängel dieser jungen Republik gewiß nicht, aber in uns lebt das befreiende Bewußtsein, daß wir ihr nicht schweigend zu gehören brauchen, sondern daß wir sie mit freiem Worte kritisieren und die Hand zu ihrer Besserung anlegen dürfen und sollen. Das ist die große Lehre jener Zeit: daß die zu bessernde Republik mehr ist als die un verbesserliche Monarchie. Wir fühlen die Pflicht der Verantwortung gegen- Uber dem deutschen Volke und seiner Zukunft und dienen deshalb der Deutschen Republik. Entfaltung -er Kräfte Don HZsodor ttsull (Berlin) War es das Schicksal der Deutschen Republik, in dec trübsten Stunde der deut schen Geschichte geboren zu wenden, war und ist es ihre Last, die Schritte der ersten Jahre in dem Schäften eines Verhängnisses zu wandern, der alle Freude und Glanz im Grau der ewig gleichen seelischen und wirtschaftlick)en Not ver linken laßt, so muß doch dies ihre Aufgabe sein: sen Glauben an die eingeborenen Kräfte eines seine Selbstbestimmung und Selbst. Verantwortung suchenden Volkstums nicht verderben zu lassen. Wenn unser Sinn uns unsere Sorge in den Hoffnungslosigkeiten des Tages gefangen sind, in den Wirrnissen des staatlici-en Kräfteausgleichcs, die ost genug einen Ausweg nicht mehr zu kennen sck-einen, in der baren Not, die Brot und Arbeit sucht, so müssen wir für das Denken und Begreifen einen Stand punkt retten, der sich über die Verstrickungen der Nähe zu heben weiß. Dann rücken die Riesenlasten der Gegenwart zusammen zu einer leidvollen, vielleicht zu der leidoollsten Episode unserer vaterländischen Geschichte — hinter ihr aber sehen wir einen neuen Weg, auf dem das Frühlicht eines jungen Tages liegt. Demokratie und Republik sind keine Garan tien der Glückseligkeit, den „besten Staat" gibt es nur in dec Systemwelt des Philosophen oder in den hallenden Versprechungen des Dem- agogen. Alle Formen der staatlichen Geinein schaft, wenn sie aus der Idee in die Brechungen einer Wirklichkeit treten, bekommen die Farben eines sehr bedingten Menschentums, nationaler Konventionen, sozialer Verwickelungen, zeitlicher Bindungen. Alle haben ihr bestimmtes Risiko, für das von den Völkern dauernd eine Prämie bezahlt wird. Alle haben auch ihre Ideologie, an der gemessen ein geschauter Tatsachenbestand zum Stolz oder zur schmerzlichen Resignation werden kann. Was ist nun im staatlichen Ablauf der innere Sinn demokratisch-repu blikanischen Lebens? Man mag manche Formeln finden: Selbsterziehung des Volkes, Selbstverwaltung, Selbstverantwortung; man mag auch sagen: der Glaube an die ewige Jugend des Volkes. Nimmt der autoritäre, der mon- archische Staat die dem Volke zuwachsendcn Generationen in die Hand als Rohstoff seiner Zielsetzungen, seien sie wohlwollend ausholcnd oder dyirastisch beschränkt, so liegt der Sinn feiner Maßnahmen oder Institutionen doch eben urd notwendig in einem System, das seine Recht fertigung ewig aus dem geschichtlichen So-Sein, So-gewesen-Sein bezieht. Die Demokratie ist immer der Zukunft zugervandt, indem sie die neuen Geschlechter als die Mitträger und Erben eines sich wandelnden Lebens begrüßt. Das l)eißt nicht: daß sie die Tradition verachtet. Auch sie braucht das Blutsgefiihl, das den Enkel dem Ahnen verpflichtet weiß; sie muß darunter leiden, daß die demokratische Legende unserer Heimat Bruck) und Stoß erlitten hat, daß sie mit auf Volksschichten ruht, die von dem gewalt- tätigen Rhythmus der Oekonomie entwurzelt wurden und für ihre Seele noch keinen Ruhe punkt wieder fanden. Es liegt in der demokratisch-republikanischen Politik ein Clement der Unruhe, weil sie dem Einströnwn neuer Schichten, dem Tatwillen neuer Generationen offen liegt, sich offen hält. Darüber klagen viele. Aber man muß die Ding« sehen, wie sie sind. Der Pat-.i- archalismus, die Hierarchie, das bürokratische System besitzen eine geschlossene Struktur, sind, so gestuft ihr Bau sein nrag, übersehbarer, sind beruhigter. Sie haben ihre Würde und ihre Verdienste; ihr« Gegenwart trägt, am Fluten des sich hebenden Lebens betrachtet, den Zug des starren Gestern. Die Demokratie ist ihrem inne ren Wesen nach optimistisch und glaubt, jede neue Zukunft zeitgemäß formen zu können. Da sie alle ruft, glaubt sie, mit ihrem Ruf auch die einzelnen zu erreichen, die aus den vielen hervortreten und deren Willen ausdrücken, in- bem sie ihn selber prägen. Das Führungs problem ist aller Republik und Demokratie das zulgeich schwierigste und entscheidendste. Es ist der Abenteuer und Gefahren voll, aber auch der größten Bestätigungen. Wahlrecht und Mehrheit sind die technischen Formen der Demo kratie, die Rationalisierung eines Methoden- wegs, deren keine Herrschaftsform entraten kann. Die inhaltliche Frage liegt nicht bei diesen For- men, deren Wichtigkeit niemand verkleinern soll; sie liegt in der tausendfältig erneuten, im Kleinen und Großen, im Sozialen, Wirtschaftlichen, Staatlichen sich ewig wiederholenden Ansein-
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